Es sollte gut drei Jahre dauern, bis sich die Zeitenwende nicht nur rhetorisch, sondern auch in der Haushaltspolitik vollzogen hat. Im Februar 2022 bemühte Olaf Scholz den seitdem viel bemühten Begriff erstmals in Reaktion auf Russlands Überfall auf die Ukraine, im März dieses Jahres stellte der deutsche Bundestag schließlich die Weichen für unbegrenzte Ausgaben in der Verteidigung. Erste größere Bestellungen für die Ausrüstung der Armee wurden zuvor bereits mit dem Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro getätigt.
Nicht nur in Deutschland, auch in den anderen europäischen NATO-Staaten ist das Thema Verteidigung in den Fokus gerückt. Die Ausgaben fürs Militär sind insgesamt deutlich gestiegen. Verändert hat sich auch, wofür das Geld aufgewendet wird: Investitionen in Gerät und Ausrüstung sind anteilig höher als früher. Die NATO gibt ihren Mitgliedstaaten hier einen Zielwert von mindestens 20 Prozent vor. Während 2014 noch 23 NATO-Staaten dieses Ziel verfehlten, waren es 2024 bloß noch Belgien und Kanada, die die Marke nicht erreichten. Deutschland hat zuletzt knapp 29 Prozent seines Verteidigungsbudgets in Ausrüstung gesteckt, der Rest entfällt etwa auf Personalkosten für Soldaten, Pensionen, Instandhaltung und Administration.
„Die Dynamik in der Beschaffung ist deutlich größer geworden“, resümiert Guntram Wolff. Der Ökonom hat kürzlich gemeinsam mit dem Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW) eine Studie vorgestellt, die die Fortschritte bei der militärischen Beschaffung in Deutschland auswertet. Ein Vorgänger dieser Studie ist im September vergangenen Jahres erschienen. „In den ersten anderthalb Jahren nach Kriegsbeginn in der Ukraine ist fast nichts passiert“, so Wolff. „Aber dann haben die Bestellungen angezogen, gerade in den letzten zwölf Monaten ist noch mal viel passiert.“ Allein im vergangenen Jahr wurden durch den Bundestag 97 sogenannte „25-Millionen- Euro-Vorlagen“ gebilligt. „Die Frage ist: Wie schnell verwandelt sich das in Kapazitäten?“, so Wolff.
Die derzeitigen Bestände von Kampfpanzern, Haubitzen und Co. sind weit entfernt von den Zielgrößen der europäischen Truppen. In ihrem neuen Bericht legen die Ökonomen vom IfW zwei verschiedene Szenarien zugrunde: eines, wonach 25 zusätzliche Brigaden nötig sind, und eines, wonach 50 zusätzliche Brigaden gebraucht werden. Letzteres Szenario rechnet mit einem signifikanten Rückzug des amerikanischen Militärs in Europa oder einer baldigen Beendigung des Ukrainekriegs. Dann gäbe es keine Verluste mehr an der Front, und die Aufrüstung Russlands könnte bedeutend schneller vorangehen.
Selbst im vorsichtigen Szenario würde in Europa viel Gerät fehlen, trotz größerer Bestellungen. So verfügen die europäischen NATO-Staaten derzeit über 13.042 Schützenpanzer, 161 sind bereits bestellt. Doch insgesamt wären mindestens 17.116 Schützenpanzer nötig – womit „bestenfalls“ eine Lücke von 3913 bleibt. Auch bei Kampfpanzern und Luftabwehrsystemen ist der Weg noch weit.
Für die deutsche Rüstungsindustrie lägen große Chancen darin, diese Lücken zu schließen. Doch mit dem Leopard 2 A8 entwickelt KNDS einen der teuersten Kampfpanzer überhaupt, wie ein Bericht des Thinktanks Bruegel im vergangenen Jahr zeigte. 29 Millionen Euro kostet der moderne Leopard, wenn man eine Bestellung der Bundeswehr aus dem Jahr 2024 zugrunde legt. Darin enthalten ist auch ein Wartungspaket, das die Einsatzfähigkeit der Panzer sicherstellen soll. Das US-Pendant, der Abrams-Panzer, kommt auf circa 18 Millionen Euro.
Die Kosten für einen russischen Panzer schätzen die Ökonomen auf gerade einmal vier Millionen Euro. „Sicherlich ist der Leo 2 einer der besten Panzer, die auf dem Markt sind“, gibt Guntram Wolff mit Blick auf die Vergleichbarkeit dieser Zahlen zu bedenken. „Andererseits haben es die Russen geschafft, immer wieder Upgrades für ihr Gerät zu machen – weil sie es an der Front erproben können.“ So seien die russischen Panzer inzwischen gut gerüstet in der elektronischen Kriegsführung. „Komplexe Waffensysteme können hingegen auch schnell störungsanfällig sein. Auch unsere Panzer haben große Verwundbarkeiten.“
Ein wichtiger Grund für die teuren deutschen Panzer sind allerdings nicht nur die hohen technischen Ansprüche – sondern auch vergleichsweise geringe Stückzahlen. Dass eine höhere Produktionsmenge das Gerät günstiger macht, zeigt sich am Beispiel der Haubitzen. Auch hier sind die Modelle aus Deutschland teurer als die der Konkurrenz. Von der Panzerhaubitze 2000, hergestellt von KNDS, verlassen im Jahr nur sechs Stück die Fabrik, schätzen die Ökonomen. Kostenpunkt je Stück: etwa 17 Millionen Euro, wenn man einen 2022 geplanten Vertrag mit der Ukraine zugrunde legt. Die Franzosen stellen 72 Haubitzen her, die Kosten belaufen sich auf knapp 6 Millionen Euro je Haubitze. Die Ukraine kann eine Haubitze für etwas mehr als zwei Millionen Euro produzieren – was sie im Jahr bis zu 180 Mal tut.
Trotzdem kauft die Bundeswehr vor allem zu Hause ein. 151 Milliarden Euro gab Deutschland zwischen Januar 2020 und April 2025 für Militärausrüstung aus, die Hälfte davon im eigenen Land, weitere 35 Prozent flossen an Unternehmen mit deutscher Beteiligung. Nur 15 Prozent wurden außerhalb Europas beschafft, vor allem in den USA. „Trotzdem bleiben wir bei vielen modernen Technologien auf die USA angewiesen“, sagt Wolff. Zu nennen seien etwa Raketenwerfer, Softwarelösungen und Kampfjets wie der F-35. „Aber es geht nicht nur um Hightech“, so Wolff weiter. Marschflugkörper wie der Tomahawk seien „eine etablierte Technologie“. Hier muss Deutschland aufholen – auch wenn das vermutlich teuer wird.