Mit Chat-GPT trat Sam Altman die KI-Revolution los. Zwei Bücher gewähren neue Einblicke in seinen Werdegang und zeichnen ein vielfältiges Porträt des Unternehmers.

Sam Altman, der CEO von Open AI, wird von Wegbegleitern als Ausnahmetalent beschrieben, aber auch als berechnend und egozentrisch.
Fragt man Chat-GPT, wer Sam Altman ist, listet der Chatbot biografisches Allerlei auf – und fügt dann eine Prise Schmeichelei über den eigenen Chef hinzu: Altman habe «immer auch eine nachhaltige Entwicklung im Blick».
Es ist der schönste Beleg dafür, dass KI-generierte Antworten oft oberflächlich bleiben und wieso sich tiefere Recherchen lohnen. Gelegenheit dazu geben zwei jüngst erschienene Biografien zu Altman von amerikanischen Journalistinnen. Beide sind sehr lesenswert und zeichnen ein kritisches Bild von dem Mann, der die KI-Revolution losgetreten hat.
Für «The Optimist» hatte die «Wall Street Journal»-Reporterin Keach Hagey direkten Zugang zu Altman und recherchierte zudem ausgiebig in seinem Bekannten- und Verwandtenkreis. Entsprechend fokussiert sie sich auf Altmans Werdegang und Persönlichkeit.
Für «Empire of AI» hingegen blieben der freien Journalistin und KI-Expertin Karen Hao Gespräche mit dem Open-AI-Gründer zunächst verwehrt. Dies mutmasslich auch darum, weil sie 2020 als Erste ein Porträt der Firma geschrieben hatte, das Open AI allerdings missfiel. Sie konzentriert sich in ihrem Buch deswegen auf die KI-Revolution. Doch auch Hao recherchierte in Altmans privatem Umfeld und sprach unter anderem mit dessen jüngerer Schwester Annie, die sich von der Familie abgewandt und den Bruder verklagt hat.
Beide Bücher zeichnen das Bild eines hochintelligenten und enorm ehrgeizigen Mannes, den vor allem Macht und wirtschaftlicher Erfolg motivieren. Überdies hat er ein bemerkenswertes Talent darin, Leute auf seine Seite zu ziehen. Deutlich wird ebenfalls, dass seine Ambitionen mit Open AI noch lange nicht enden.
Als Grundschüler half Altman den Lehrern bei IT-Problemen
Auf den ersten Blick ist Altmans Werdegang schnell erzählt: mittlerer Westen, jüdische Familie, gehobener Mittelstand, Spitzen-Uni. Wer genauer hinschaut, sieht eine karriereorientierte Mutter, die ihren vier Kindern Vernunft, Disziplin und Ehrgeiz eintrichtert. Und sieht auch einen Vater, der lieber Sozialbauprojekte verfolgt als das grosse Geld. Und ausserdem sieht er einen jungen Samuel «Sam» Harris Gibstine Altman , der hochbegabt ist: Als Zweijähriger bedient er den Videokassettenrekorder der Eltern, mit drei repariert er ihn. In der Grundschule nehmen ihn Lehrer aus dem Unterricht, damit er ihnen mit Computerproblemen helfen kann.
Altman realisiert früh, dass er anders ist, auch weil er Männer mag. An den typischen Teenager-Partys fühlt er sich unwohl. Lieber liest er daheim Bücher und bringt sich Programmiersprachen bei. Er hat eine poetische Seite und schreibt gern. Von einer Karriere als Autor sieht er aber letztlich ab, weil man so nicht viel Geld verdienen könne.
An der Stanford University findet Altman endlich Brüder im Geiste. 19-jährig gründet er mit Kommilitonen seine erste Firma namens Loopt: ein soziales Netzwerk, für das man seinen Aufenthaltsort teilt. Dass sich Nutzer um ihre Privatsphäre sorgen und Stalking befürchten, überrascht die Gründer. An solche ungewollten Konsequenzen hatten sie nicht gedacht.
Erstmals zeigt sich, welche Talente Altman als Unternehmer vereint: Zum technologischen Fachwissen kommen enormer Ehrgeiz und ein Charme, dem die Investoren verfallen. Die grössten US-Telekomfirmen investieren in Loopt, Altman wirft sein Studium hin. Das Startup wird kein Hit, wird aber für 43 Millionen Dollar verkauft.
Vergleiche mit Steve Jobs
Altman gebe seinem Gegenüber stets das Gefühl, «als ob er gerade mit dem wichtigsten Menschen der Welt spricht», schreibt Hagey. Er könne «Leute davon überzeugen, dass er die Zukunft sieht». Mehrere Wegbegleiter vergleichen diese Fähigkeiten mit Steve Jobs’ Talent, Zuhörern das schier Unmögliche als erreichbar darzustellen. Andere sehen Parallelen zu Robert Oppenheimer und Bill Gates.
Altman ist das Tech-Genie der Millennial-Generation: kompetent, optimistisch und ein begnadeter Netzwerker. Er verkörpert den Gründertypus, den Silicon-Valley-Investoren in den 2010er Jahren suchen. Das macht ihn zur idealen Besetzung für seinen nächsten Job: Mit gerade einmal 28 Jahren wird er Präsident von Y Combinator (YC), der wichtigsten Startup-Schmiede im Silicon Valley. Unter seiner Ägide wächst das Gründerzentrum rasant, expandiert nach China, und Altman selbst sitzt am Schalthebel der Startup-Welt.
Doch wie so oft bei Genies offenbart sich auch bei Altman eine komplexe Persönlichkeit. Schon bei Loopt versuchen die Mitgründer ihn wegzudrängen, weil er seine eigenen Ideen ohne deren Einverständnis verfolgt. Auch bei YC bemängeln mehrere Partner bald «eine unangemessene Ausnutzung der Marke YC für Altmans persönliche Projekte», wie Hagey berichtet.
Ausserdem leitet er bereits insgeheim die Geschäfte bei Open AI, noch während er Präsident von YC ist. Und er verwendet deren finanzielle Mittel, um Angestellte zu Open AI zu locken. Geheimnistuerei zieht sich wie ein roter Faden durch seine Karriere.
Verblüffend sind Schilderungen darüber, wie Altman Elon Musk um den Finger wickelt. Er überzeugt den Milliardär, dass sie beide ein «Manhattan Projekt für KI» aufbauen sollen: künstliche Intelligenz zum Wohl der Menschheit, verpackt in eine Nonprofit-Firma, und vor allem bevor es ein vermeintlich böser Tech-Konzern wie Google schafft. Musk ist begeistert, er verspricht eine Milliarde Dollar als Gründungskapital und schlägt «Open AI» als Namen vor. Altman wiederum nutzt Musks Namen, um führende KI-Forscher in das Startup zu holen.
Doch Altman bricht sein Versprechen: Dank einer komplizierten Firmenstruktur – eine weitere Spezialität des jungen Tech-Genies – kann das Nonprofit-Startup seinen Investoren trotzdem die Aussicht auf Milliardengewinne bieten. Als Musk sich mit Altman deswegen 2018 überwirft, geht er mit leeren Händen, kurz bevor das Startup richtig abhebt. Musks Klage gegen Altman und Open AI wegen Vertragsbruchs läuft noch.
Auch intern stossen sich viele an dem neuen Kurs: Mehrere Schlüsselfiguren verlassen die Firma und gründen Konkurrenten wie Anthropic. Mira Murati, die lange Technologiechefin bei Open AI war, beschrieb Altmans Vorgehen laut Hagey einmal so: Sag, was auch immer du musst, um zu bekommen, was du willst. Wenn das nicht klappt, zerstöre die Glaubwürdigkeit der anderen Person oder demütige sie öffentlich.
Ein Verfechter «vieler kleiner und einiger grosser Lügen»
Altmans Führungsstil führte im November 2023 zum Umsturz im Verwaltungsrat. Hao geht ausführlich auf die Episode ein. Offiziell wurde Altman hinausgeworfen, weil er Informationen falsch oder gar nicht geteilt hatte. Hao schildert detailliert, welcher Mitarbeiter was Altmann hinter den Kulissen vorwarf, und beschreibt Altman als Verfechter «vieler kleiner und einiger grosser Lügen».
Doch der Verwaltungsrat unterschätzte Altmans Netzwerk im Silicon Valley. Nach nur fünf Tagen ist der Gründer zurück am Steuerrad – und nicht er, sondern die aufständischen Verwaltungsräte müssen gehen.
Der YC-Gründer Paul Graham, ein langjähriger Wegbegleiter, sagt über Altman: «Man könnte ihn mit dem Fallschirm auf einer Insel voller Kannibalen absetzen und in fünf Jahren zurückkommen, und er wäre König.» Tatsächlich war von der vierköpfigen Führungsriege von Open AI, die die Zeitschrift «Wired» 2023 noch auf seinem Cover abgebildet hatte, ein Jahr später nur noch Altman übrig. «Der König der Kannibalen steht alleine da», schreibt Hagey.
Die Welt mag Altman als KI-Experte und CEO von Open AI kennen. Tatsächlich sind seine Interessen und Investitionen viel breiter gefasst. Dank YC hatte er früh in Tech-Firmen wie Airbnb, Stripe und Reddit investiert, was ihn zum Milliardär machte. Er hat auch in fast jeder Zukunftstechnologie seine Finger: Kryptowährungen, Mini-Kernkraftwerke, zellulare Verjüngung, Hirnimplantate.
Bisweilen investiert Altman auch aus persönlichem Interesse, so etwa in ein Biotech-Startup, das es homosexuellen Paaren ermöglichen soll, Kinder zu zeugen, die genetisch mit beiden Elternteilen verwandt sind. Noch ist das ein Zukunftstraum: Altman und sein Mann haben im Februar ein Kind mit einer Leihmutter bekommen; wer von beiden der leibliche Vater ist, ist nicht bekannt.
Ein präzises Bild dank vielen Anekdoten
«The Optimist» verliert sich bisweilen in biografischen Details, etwa zu den Vorfahren von Altman oder den Lebensläufen von Nebenfiguren. «Empire of AI» wiederum kommt bisweilen aktivistisch daher: Die Autorin beschreibt generative KI-Modelle als «Monster», die zu viel Energie, Rohstoffe und Arbeitskräfte verschlängen. Sie vergleicht Amerikas KI-Industrie mit einer «modernen Version einer kolonialistischen Weltordnung» und nimmt den Leser als Beweis dafür mit in Schwellenländer.
Die Leistung der Journalistinnen besteht darin, dass sie das öffentliche Bild von Altman und Open AI mit vielen Anekdoten anschaulich machen. Ihre Porträts bestehen aus vielen kleinen Pinselstrichen, dank denen man den Facettenreichtum des Ganzen erkennt. Dafür haben sie enorm sorgfältig und weitläufig recherchiert. Sie bieten das Gegenteil dessen, was einem Chat-GPT gerne manchmal unterjubelt: Fakten statt Halbwahrheiten.
Keach Hagey: Sam Altman. Open AI, Künstliche Intelligenz und der Wettlauf um unsere Zukunft. Aus dem Englischen von Thomas Wollermann und Christa Prummer-Lehmair. Quadriga-Verlag, Köln 2025. 464 S., Fr. 41.90.
Karen Hao: Empire of AI. Inside the reckless race for total domination. Penguin Press 2025. 496 S., 32 Dollar.