Mit dem „natürlichen Klimaschutz“ verhält es sich wie mit der Technologieoffenheit: Es klingt gut und ist oft gut gemeint. Außerdem entlastet es. Und das allein schon macht die Idee attraktiv, den klimaschädlichen Emissionen durch Anpflanzen von Wäldern aktiv entgegenzuwirken und damit das Klimaproblem in diesen krisengeschüttelten Tagen quasi sanft zu lösen – ohne harte Einschnitte beim Verbrauch von Öl, Gas und Kohle. Klimapolitisch jedenfalls hat diese Erzählung Konjunktur. Auch die Öl- und Gaskonzerne halten das Versprechen hoch. Klimaschutz, behaupten sie, sei auch ohne fossilen Ausstieg leistbar – durch Kompensation. Sprich: Was hier verbrannt wird, kann anderswo durch großflächige Aufforstungen und irgendwann noch durch technische Lösungen wie Carbon Capture and Storage (CCS) klimaneutral ausgeglichen werden. Bis zum Jahr 2030, hat beispielsweise Shell angekündigt, werde das Unternehmen jährlich 120 Millionen Tonnen Kohlendioxidemissionen kompensieren.
Wie realistisch jedoch ist es, mit solchen Klimazertifikaten bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral zu wirtschaften – weltweit und in allen Sektoren, wo derzeit fossile Brennstoffe eine Rolle spielen? Die Antwort haben französische Ökonomen und britische Wirtschaftsgeographen der University of Exeter soeben in „Communications Earth and Environment“ geliefert. Sie lautet: Es ist praktisch unmöglich. Betrachtet man allein die nutzbaren und für die nächsten fünf bis zehn Jahre extrahierbaren Öl-, Gas- und Kohlereserven der zweihundert wichtigsten Unternehmen, kommen zusätzliche Kohlendioxid-Emissionen in Höhe von 673 Milliarden Tonnen auf uns zu. Diese Reserven allein übersteigen bei Weitem das Restbudget von 400 Milliarden Tonnen, die noch zum Einhalten des Pariser 1,5-Grad-Klimaziels möglich sind.
Raumbedarf größer als die Fläche Nordamerikas
Die grüne Kompensation all dieser fossilen Reserven wäre schon räumlich nahezu ausgeschlossen. Um nämlich die zur Ausbeutung vorgesehenen Öl- und Gasreserven allesamt durch Wiederaufforstung zu kompensieren, müsste bis 2050 weltweit eine Waldfläche größer als die Landfläche Nordamerikas entstehen. Was aus Sicht des Natur- und Artenschutzes zwar einen großen Charme hätte, was allerdings mit Blick auf die Vernichtung an Infrastrukturen kaum auszudenken ist. Zumal diese Flächen gedeihen müssten und langfristig nicht etwa wieder schrumpfen dürften.
Finanziell würde sich die Kompensationsstrategie selbst für die reichen Ölkonzerne den Forschern zufolge kaum lohnen. Hinzu kommt: Derzeit leiden viele Wälder. Immer mehr brennen wegen des Klimawandels, der Trockenstress setzt den Bäumen vielerorts zu, sie sind geschwächt, und die Flächenkonkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion wächst.
Nicht nur räumlich und finanziell, sondern auch biologisch ist ein so gewaltiges Wiederaufforstungspotential unter den Bedingungen des Klimawandels kaum realisierbar. Die alte Hoffnung, das Kohlendioxid aus den Verbrennungsabgasen würde das Pflanzenwachstum anheizen, weil zur Photosynthese genau dieses Spurengas gebraucht wird, ist längst gestorben. Ernüchternde Einsichten gab es in dieser Hinsicht nun auch von US-Forschern in „Nature“. In einer vom amerikanischen Geologischen Dienst finanzierten groß angelegten Studie wurde gezeigt, dass der für das Pflanzenwachstum essenzielle natürliche Stickstoff viel weniger zur Verfügung steht als bislang gedacht.
Ungenügende Versorgung der Bäume mit Stickstoff
Konkret: Die Bodenmikroben, die den Stickstoff aus der Luft fixieren und für die Pflanzen verfügbar machen, wurden bisher stark überschätzt. In der Realität bringt die mikrobielle Stickstofffixierung in den meisten Regionen nur ein Siebzehntel dessen, was man aus alten Stichproben abgeleitet hatte. Anders formuliert fehlt den angepflanzten Klimawäldern an vielen Stellen der Stickstoff, um so üppig wie gewünscht zu gedeihen. Jährlich fehlen demnach etwa 25 Millionen Tonnen Stickstoff – eine Menge, die 113 bis zum Rand mit Kunstdünger beladenen hochseetauglichen Containerschiffen entspricht.
Die Stickstoffforscher kommen zum selben Ergebnis wie die Klimaökonomen: Natürlicher Klimaschutz sei nur als langfristige Teillösung sinnvoll.