In der Türkei sinken die Zinsen. Die Notenbank reduzierte den Leitzins am Donnerstag stärker als von den meisten Marktteilnehmern erwartet, um drei Prozentpunkte. Mit 43 Prozent bleibt der wichtigste Zins, der für einwöchige Repo-Geschäfte, gleichwohl hoch. Die Rate für Übernachtausleihungen wurde auf 46 von 49 Prozent abgeschwächt. Die Notenbank führt seit zwei Jahren einen verschärften geldpolitischen Kurs, mit dem sie die hohe Inflation bekämpft. Die geht zwar schrittweise zurück, betrug aber im Juni immer noch 35,1 Prozent.
Der geldpolitische Ausschuss begründet die Senkung mit der abnehmenden Inflation, die man weiterhin genau beobachten werde. Der straffe geldpolitische Kurs werde beibehalten, bis Preisstabilität erzielt sei. Die Abschwächung der Binnennachfrage und die reale Aufwertung der türkischen Lira würden den Prozess unterstützen. Zugleich stellte die Notenbank klar, dass sie „im Falle unvorhergesehener Entwicklungen an den Kredit- und Einlagenmärkten“ zusätzliche Schritte unternehmen werde. Der Umfang künftiger Kürzungen werde „von Sitzung zu Sitzung mit Schwerpunkt auf den Inflationsaussichten“ bewertet.
Mit der Entscheidung dürfte Notenbankgouverneur Fatih Karahan zu seinem Kurs einer sukzessiven Rückführung des Zinsniveaus zurückgekehrt sein, den er zum Ende des vorigen Jahres eingeschlagenen hatte. Der war im März jäh unterbrochen und wieder umgekehrt worden. Zuvor hatten Anleger kurzfristig große Mengen Kapitals abgezogen, was die Währung schwächte und Börsenkurse fallen ließ. Grund dafür war die Verschärfung der innenpolitischen Repression der Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und die Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters, Oppositionsführers und schärfsten Rivalen Erdoğans, Ekrem İmamoğlu. Der wurde inzwischen zu mehreren Haftstrafen verurteilt, auch wurde die Repression gegen seine Partei, die CHP, ausgeweitet.
Doch die innenpolitischen Proteste dagegen haben inzwischen nachgelassen. Auch die Kritik des Westens an Erdoğan blieb verhalten. Das wird mit der geopolitischen Entwicklung und dem gewachsenen militärischen und machtpolitischen Einfluss der Türkei in der Region erklärt. Sie dürfte auch ein Grund sein, warum Deutschland nun der Lieferung von 40 Kampfflugzeugen vom Typ Eurofighter an die Türkei zugestimmt hat.
Die Bevölkerung leidet
Internationales Kapital ist jedenfalls zuletzt wieder in die Türkei zurückgeströmt, wie amtliche Zahlungsbilanzdaten zeigen. Auch die Kurse an der Aktienbörse in Istanbul haben am Donnerstag das Niveau vom 17. März überschritten, jenem Tag, an dem Imamoğlu festgenommen wurde.
In der Zwischenzeit hatten Erdoğan und vor allem sein Wirtschafts- und Finanzminister immer wieder hervorgehoben, dass das Land seinen nun eingeschlagenen Weg wirtschaftlicher Reformen mit einer strikten Bekämpfung der Inflation und Konsolidierung des Haushaltes fortsetzen werde. Dazu gehören auch die Ausweitung der Steuerbasis und die Bekämpfung der informellen Wirtschaft. Unlängst erhöhte die Regierung die Quellensteuer auf Lira-Anlagen.
Helfen soll auf dem Weg auch die „Friedensdividende“. Die wird davon erwartet, dass die (auch in Deutschland als Terrorgruppe charakterisierte) kurdische Unabhängigkeitsbewegung PKK die Waffen im Kampf gegen die Türkei niederlegen will. Zudem sinken die Belastungen für den Wiederaufbau der nach dem Erdbeben vor zwei Jahren zerstörten Gebiete.
Der regierungsamtliche Sparkurs ist indes mit Härten für die Bevölkerung verbunden, weil Renten und staatliche Leistungen nicht – wie in den vergangenen Jahren – regelmäßig an die Inflation angepasst werden. Die hohen Zinsen lassen zudem den Konsum und Investitionen erlahmen, was geldpolitisch erwünscht ist, aber das Wachstum drückt.
Unternehmer, vor allem jene, die im Export ihr Geld verdienen, klagen über die hohen Zinsen und die Inflation. Gegenüber dem Euro – die EU ist der wichtigste Handelspartner der Türkei – ist der Wert der Lira seit Januar um ein Viertel gesunken, von 2,7 auf 2,1 Eurocent. Auch wenn Erdoğan sich kritische Kommentare der Wirtschaft zu seinem Regierungskurs verboten hatte, hatte der türkische Wirtschaftsverband MÜSIAD Anfang Juli eine Zinssenkung um 350 bis 400 Basispunkte verlangt, weil der Realzins zum Wechselkurs zu hoch sei.
Analysten erwarten nun in den kommenden Monaten – der Zentralbankrat tagt im September das nächste Mal – weitere Zinsschritte nach unten. Das dürfte vor allem von den weiteren Erfolgen bei der Inflationsbekämpfung abhängen. Die Notenbank strebt bis zum Jahresende ein Inflationsniveau von 24 Prozent an, Beobachter halten das für sehr optimistisch und kalkulieren eher mit 30 Prozent.