Ohne Umzug: Frankfurterin wohnt seit 96 Jahren im selben Haus

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25. Juni 2025 · Gisela Stay ist 96 Jahre alt und niemals in ihrem Leben umgezogen. Seit ihrer Geburt lebt sie in demselben Haus in der Siedlung Praunheim in Frankfurt. Seltsam findet sie das überhaupt nicht.

Frau Stay, seit 96 Jahren wohnen Sie immer in demselben Haus: einem Reihenhaus in der Siedlung Praunheim. Die Siedlung gehörte zu dem Wohnungsbauprogramm „Neues Frankfurt“, das vor 100 Jahren begann und das Gesicht der Stadt radikal veränderte. Wie kamen Ihre Eltern dazu, das Haus zu kaufen?

Die Reihenhäuser waren supermodern und für die Zeit damals sehr gut ausgestattet, sogar mit eigenem Bad. Mein Onkel, der als Architekt bei der Stadt angestellt war, hatte meinem Vater den Tipp gegeben: Guck mal, da wird ganz neu gebaut. Meine Eltern lebten mit meiner älteren Schwester Irmgard in einer kleinen Wohnung im Nordend. Meine Mutter war schwanger, sie wussten also, dass sie bald mehr Platz brauchen würden. Eigentlich wurden die Häuser in der Siedlung bevorzugt an Familien von Männern vergeben, die im Ersten Weltkrieg schwer verletzt wurden. Das war bei meinem Vater zum Glück nicht so. Aber er konnte trotzdem eines der Häuser kaufen, auch weil er insgesamt 1000 Reichsmark anzahlen konnte. Ich habe noch den alten Heimstättenvertrag: 15.000 Mark hat das Haus gekostet, das wurde alles über Banken und Hypotheken abbezahlt. Schlimm war, als Anfang der Dreißigerjahre die große Arbeitslosigkeit kam. Da konnten viele ihre Tilgungen nicht mehr zahlen. Kaum eingezogen, mussten sie schon wieder ausziehen.






Das Foto zeigt die Familie im Garten des neugebauten Hauses in Frankfurt-Praunheim, den Kaufvertrag der Immobilie hat Gisela Stay aufbewahrt.

Ihre Eltern sind im November 1928 in das Haus gezogen. Kurz danach, im Februar 1929, kamen Sie auf die Welt.

Ja, im Krankenhaus im Stadtteil Bockenheim. Und von dort kam ich dann hierher und habe nie irgendwo anders gelebt. Damals herrschte ein bitterkalter Winter. Der Main war zugefroren, man hatte ein Karussell auf dem vereisten Fluss aufgebaut. Und wir hatten dieses Haus, in dem alles offen war und großzügig geschnitten. Öfen gab es zwar, ein gusseiserner großer Ofen im Wohnzimmer und oben im Schlafzimmer ein kleiner Ofen, aber die waren primitiv. Aus der Stadt hatten meine Eltern einen Küchenherd besorgt, der gab noch ein bisschen Wärme ab. Neben ihn hat meine Mutter das Körbchen gestellt, in dem ich lag.