Thailands geschäftsführender Ministerpräsident hat davor gewarnt, dass sich der Grenzstreit mit dem Nachbarland Kambodscha zu einem schweren militärischen Konflikt ausweiten könnte. „Falls die Situation eskaliert, könnte sie sich zu einem Krieg entwickeln, auch wenn es bislang bei Zusammenstößen bleibt“, sagte Phumtham Wechayachai am Freitag in Bangkok.
Die Warnungen wurden von heftigen Artilleriegefechten begleitet, die auch den zweiten Tag in Folge aus dem Grenzgebiet gemeldet wurden. Die thailändische Armee sprach von starkem Beschuss in den Provinzen Ubon Ratchathani und Surin. „Kambodschanische Streitkräfte haben anhaltende Bombardements mit schweren Waffen, Feldartillerie und BM-21-Raketensystemen durchgeführt“, hieß es. Thailand habe entsprechend auf die Angriffe reagiert.
100.000 Menschen in Thailand mussten Dörfer verlassen
In den Gefechten sind in Thailand bisher mindestens 15 Menschen getötet worden, darunter 14 Zivilisten und ein Soldat. Mindestens 46 Menschen wurden verletzt. Auf der thailändischen Seite wurden den Behörden zufolge 100.000 Anwohner aus ihren Dörfern geholt und in Sicherheit gebracht.
Aus Kambodscha gab es zunächst nur wenige Angaben über die dortigen Opfer. Einem Bericht zufolge soll ein 70-jähriger Geistlicher bei der Bombardierung eines Tempels durch einen thailändischen F-16-Kampfjet getötet worden sein. Unbestätigte Berichte gingen von mindestens 24 getöteten kambodschanischen Soldaten aus. In der Provinz Oddar Meanchey mussten der „Phnom Penh Post“ zufolge 5000 Einwohner ihre Dörfer nahe der Grenze verlassen.
Der seit Wochen schwelende Konflikt war am Donnerstag eskaliert, als es zu Raketenbeschuss und dem Einsatz von Kampfflugzeugen kam. Die beiden Seiten beschuldigen sich gegenseitig, den Schusswechsel an der Grenze begonnen zu haben. Zuvor waren am Mittwoch fünf thailändische Soldaten durch eine Landmine verletzt worden. Einer hatte in der Folge sein Bein verloren. Es war der zweite derartige Vorfall innerhalb einer Woche.
Eine Frau erzählt von ihrem getöteten Enkel
Kambodscha wies die thailändischen Vorwürfe zurück, wonach die Minen in dem Gebiet neu verlegt worden seien. Nach diesem Vorfall hatte Thailand seinen Botschafter aus Phnom Penh zurückgerufen und den kambodschanischen Gesandten ausgewiesen. Die USA zeigten sich laut einer Mitteilung „zutiefst besorgt“ über die Eskalation und besonders über die Verletzung „unschuldiger Zivilisten“.
Die Website „Khaosod“ zitierte am Freitag eine Frau, deren Enkel in dem Granatenhagel in der Provinz Surin gestorben sei. Die Enkelkinder seien gerade von der Schule nach Hause zurückgekehrt, als es plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall gegeben habe. Im Rauch sah sie mehrere Familienmitglieder auf dem Boden liegen, darunter das acht Jahre alte Kind mit dem Gesicht nach unten. „Ich versuchte, meinen Enkel wiederzubeleben, aber er lag regungslos da“, sagte sie. Mehrere Familienmitglieder waren verletzt, darunter ihr Sohn und eine Enkelin. Trotz solcher Ereignisse ist die Gefahr für Thailand-Touristen begrenzt, da keine der typischen Urlaubsregionen betroffen sind. Das Auswärtige Amt in Berlin riet aber vor Reisen in das Grenzgebiet zu Kambodscha ab.
Kambodscha beschuldigte Thailand am Freitag, mit seinen Geschossen den historischen Preah-Vihear-Tempel beschädigt zu haben, der im Zentrum des seit Jahrzehnten schwelenden Grenzkonflikts steht. Die „Phnom Penh Post“ veröffentlichte Bilder zerbröckelten Mauerwerks, das Teil des seit 2008 zum Weltkulturerbe der UNESCO gehörenden Tempel sein soll. Dem Kulturministerium zufolge hätten Artilleriefeuer und Luftangriffe schwere Zerstörungen an der „heiligen Stätte verursacht, die für das kambodschanische Volk von immenser kultureller, historischer und spiritueller Bedeutung ist“. Der Internationale Gerichtshof hatte den Tempel an der in der Kolonialzeit gezogenen Grenze Kambodscha zugesprochen.