Ob Waschmaschinen, Staubsaugerroboter, Konsolen oder Smartphones: Das Sortiment in einem Elektronikmarkt von Mediamarkt oder Saturn dürfte zu einem großen Teil aus China kommen. Doch jetzt läuft der Versuch, dass auch Verkaufserlöse dieser Produkte dorthin zurückfließen. Der chinesische Onlinehändler JD.com, einer der größten Konzerne der Volksrepublik, befindet sich laut einer Mitteilung der Muttergesellschaft von Mediamarkt und Saturn in „fortgeschrittenen Gesprächen“ zu einer Übernahme der Elektronikhandelsketten. Ceconomy, wie die Holding hinter den bekannten Elektromärkten heißt, reagierte damit am Donnerstag auf einen Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg. JD erwäge, ein freiwilliges öffentliches Übernahmeangebot in bar abzugeben und Ceconomy-Aktionären einen Preis von 4,60 Euro je Stammaktie zu zahlen.
Damit würde die Elektronikhandelskette mit gut 2,2 Milliarden Euro bewertet. Unterzeichnet wurde der Mitteilung zufolge noch nichts, weshalb auch nicht absehbar sei, ob es tatsächlich zu einem Angebot komme. Nach der Mitteilung stieg der Aktienkurs von Ceconomy gleichwohl zeitweilig um mehr als 15 Prozent auf 4,33 Euro. JD äußert sich auf Nachfrage nicht und verweist auf die Mitteilung.
Über das Interesse von JD an Ceconomy wird seit einigen Jahren spekuliert. Bislang hatte der Vorstand der Elektronikhandelsketten die Kaufgerüchte nie kommentieren wollen, auch nicht, als sie zum Jahresbeginn wieder aufflammten. Auch deshalb hat die Bestätigung der „fortgeschrittenen Gespräche“ eine neue Qualität. Die Chinesen sollen in der Vergangenheit immer wieder versucht haben, mit einzelnen Großaktionären von Mediamarkt und Saturn über ihr Kaufinteresse zu verhandeln. Die Interessen der Ankeraktionäre unterscheiden sich nämlich – und mit Zukäufen etwa der Anteile von Haniel und anderen könnte JD.com den größten Aktionär unter Druck setzen.
Wer ist der Kaufinteressent?
JD gilt als das umsatzstärkste Privatunternehmen Chinas. Der Gründer Liu Qiangdong, im Ausland auch als Richard Liu bekannt, hat immer wieder deutlich gemacht, dass er von chinesischen Billigapps wie Temu und Shein wenig hält. „Diese Welle des grenzüberschreitenden E-Commerce-Modells kann nur billige Waren verkaufen, und billige Waren schaden dem Ruf unseres Landes erheblich“, sagte Liu im Juni. Hinter Temu steht mit Pinduoduo einer der größten JD-Konkurrenten. Temu und Shein führten zu einem Verlust von Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen in Europa und den USA, sagte Liu. Über kurz oder lang würden die sich dagegen wehren. Nicht nur in Deutschland, sondern auch in Großbritannien versucht JD.com gerade Fuß zu fassen.

Liu sagte, er setze auf „lokalen Handel, lokale Infrastruktur, lokale Mitarbeiter, lokale Beschaffung, lokale Lieferung“. Es könne Jahrzehnte dauern, bis chinesische Marken in Europa oder den USA akzeptiert würden. Das schreckt den Unternehmer, der zu den reichsten Chinesen zählt, bisher nicht ab.
Ein Einstieg bei Ceconomy sei ein „sinnvoller und strategisch nachvollziehbarer Schritt“, sagte Damian Maib, Inhaber einer Agentur für Onlinehandel in Shanghai. JD sei in China führend im Online-Elektronikhandel und behaupte seit Jahren einen Marktanteil von rund 20 Prozent. Die Übernahme beschleunige die globale Expansion, JD könne nicht nur Strukturen, „sondern auch Markenvertrauen und ein flächendeckendes Filialnetz“ nutzen.
Schlechte Konsumstimmung zieht Chinas Konzerne ins Ausland
JD investiert innerhalb Chinas gerade hohe Summen in den umkämpften Markt für Essenslieferungen, in humanoide Roboter und ins Online-Reisegeschäft. An der Börse war der Konzern zuletzt deutlich weniger beliebt als andere chinesische Großkonzerne wie Alibaba, die vom KI-Boom in der Volksrepublik profitieren. JD kämpft mit einer niedrigeren Profitabilität und der schlechten Konsumstimmung in der Volksrepublik. Viele Konzerne aus dem Land streben deshalb verstärkt ins Ausland.
Liu ist seit einigen Jahren offiziell nur noch Aufsichtsratsvorsitzender und soll die meiste Zeit in London und anderswo außerhalb Chinas verbringen. Berichten zufolge trifft er wichtige Entscheidungen jedoch weiterhin selbst. In der chinesischen Öffentlichkeit hat er eigentlich einen guten Ruf als Philanthrop, 2018 bezichtigte ihn eine chinesische Studentin in Minnesota jedoch der Vergewaltigung. Liu wurde festgenommen, die Behörden erhoben indes keine Anklage, weil die Hinweise auf eine Straftat nicht ausreichten. Liu einigte sich später außergerichtlich mit der Studentin.
Eine Übernahme durch ein chinesisches Unternehmen ist angesichts der globalen Handelsverwerfungen ein Politikum. Unter der Ampelregierung waren einige Übernahmen von deutschen Unternehmen durch chinesische Käufer gestoppt worden, was meistens mit dem strategischen Interesse begründet wurde. Gleichzeitig wird oft darauf verwiesen, dass ausländische Investitionen gewünscht seien. Bisher galt der Elektronikhandel eher nicht als kritische Infrastruktur.
Unruhe bei Ceconomy
JD könnte die Unruhe bei Ceconomy nützen. Die beiden wichtigsten Posten werden gerade neu besetzt. Ende April gab der Vorstandsvorsitzende Karsten Wildberger sein Amt ab, um Bundesdigitalminister im Kabinett von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zu werden. Ceconomy wird seitdem interimistisch vom vorigen Finanzvorstand Kai-Ulrich Deissner geleitet.

Auch an der Spitze des Aufsichtsrats gibt es einen Wechsel. Am Donnerstag ging es in einer turnusmäßigen Sitzung unter anderem um die Wahl von Christoph Vilanek zum neuen Aufsichtsratsvorsitzenden. Der langjährige Chef des Mobilfunkkonzerns Freenet, der seit 2019 im Aufsichtsrat sitzt, soll den früheren Telekom-Manager Thomas Dannenfeldt ablösen. Die Mitteilung zu den Übernahmegesprächen dürfte zu einigen Diskussionen über die eigentlichen Tagesordnungspunkte hinaus geführt haben. Zum Inhalt der Sitzung wollte sich Ceconomy nicht äußern und bestätigte lediglich, dass sie stattgefunden hat.
Für JD hätte es in der Vergangenheit schon günstigere Gelegenheiten gegeben, zeitweilig war Ceconomy, das mit seinen knapp 50.000 Mitarbeitern mehr als 22 Milliarden Euro Umsatz erzielt, an der Börse nicht mal eine Milliarde Euro wert. Unter Wildberger hatte sich der Konzern gut entwickelt, sein Nachfolger konnte kürzlich eine Prognoseanhebung vermelden. Im vergangenen Jahr hat der Aktienkurs von Ceconomy gut 50 Prozent an Wert gewonnen.
Aktionärsstruktur schützte bislang vor einer feindlichen Übernahme
Vor einer feindlichen Übernahme hat Ceconomy stets seine Aktionärsstruktur geschützt, weil nur gut ein Drittel der Aktien im Streubesitz ist. Zudem sind die Ankeraktionäre Freenet, Haniel, die Metro-Erben und die Familie des Mediamarkt-Gründers mit dem Unternehmen schon lange verbunden.
Das heißt aber nicht, dass sie es auch weiterhin bleiben wollen. Freenet etwa ist zwar im Jahr 2018 bei einem Kurs von 8,50 Euro je Aktie eingestiegen, hat den Werteverfall aber schon einige Jahre ausgesessen. Der Aktienkauf diente vor allem dazu, die eigene Verkaufsplattform Media-Saturn strategisch abzusichern, inzwischen ist Freenet, das einen Anteil von knapp sieben Prozent an Ceconomy hält, von diesem Vertriebskanal nicht mehr so abhängig. Zu den Verhandlungen mit JD.com äußerte sich Freenet zunächst nicht.
Von einem strategischen Interesse an dem Düsseldorfer S-Dax-Konzern schon lange verabschiedet hat sich das traditionsreiche Familienunternehmen Haniel. Zwar hält die Duisburger Handels-Holding 16,7 Prozent an Ceconomy, weist das aber seit geraumer Zeit nur noch als „Finanzbeteiligung“ aus.
Kein Kommentar von den Eigentümern
Auf Nachfrage will Haniel die Verkaufsgespräche nicht kommentieren. Der mehr als 250 Jahre alte Mischkonzern, der im Bergbau und mit dem Kohlehandel groß wurde, ist heute ein eher spezialisierter Mehrheits-Investor: von Matratzen über Baustellenüberwachung und Reinigungszubehör bis Bürobedarf. Von seinem früheren, langfristigen Engagement, der Beteiligung an dem Großhändler Metro, hat sich Haniel im Jahr 2019 getrennt, bei dem ersten gescheiterten Übernahmeversuch des tschechischen Investors Daniel Křetínský war Haniel der einzige Großaktionär, der seine Anteile andiente. Aus der alten Metro-Zeit kommt auch Haniels Anteil an Ceconomy, gehörten doch einst nicht nur die Kaufhof-Warenhäuser zur Metro, sondern auch die Elektronikmärkte von Mediamarkt und Saturn. Als sie in Ceconomy abgespalten wurden, blieben die Metro-Großaktionäre auch dort an Bord.
Neben Haniel sind das die Erben der Metro-Gründerfamilien Beisheim und Schmidt-Ruthenbeck, die über Stiftungen sowohl bei der Metro als auch bei Ceconomy engagiert sind. Während die Meridian-Stiftung (Schmidt-Ruthenbeck) 11,1 Prozent hält, liegen 4,8 Prozent bei Beisheim. Beide Stiftungen kommentieren die Kaufgespräche mit den Chinesen ebenfalls nicht, Beisheim hat seinen Aufsichtsratssitz aber schon vor einiger Zeit an den Großaktionär Convergenta abgetreten.
Beziehung zu Gründerfamilie Kellerhals entscheidend
Ohne eine gute Beziehung zu Convergenta wird es für einen möglichen Käufer schwierig, so viel ist sicher. Mit 29,2 Prozent ist die Beteiligungsgesellschaft der Familie des Mediamarkt-Gründers Erich Kellerhals der größte Einzelaktionär von Ceconomy. Die Geschicke von Convergenta leitet Jürgen Kellerhals, Sohn des Mediamarkt-Gründers, der seine Ausbildung zum EDV-Kaufmann bei dem Elektronikhändler gemacht hat. Seit den frühen Neunzigerjahren hat sich Kellerhals zunächst mit Immobilienentwicklung und -verwaltung beschäftigt und im Laufe der Jahre immer mehr Aufgaben in den Beteiligungsgesellschaften der Familie übernommen.
Kellerhals ist es aber auch, der einen jahrelangen Streit im Gesellschafterkreis mit befriedete, schon zu Metro-Zeiten hatte es zwischen seiner Familie und dem Großhändler gekracht – auch später bei Ceconomy gab es immer wieder Unstimmigkeiten über die strategische Ausrichtung der Elektronikhandelsketten. Durch ein kompliziertes Firmengeflecht – die Familie Kellerhals war Minderheitsgesellschafter der Media-Saturn-Holding (MSH) – und den Streit im Gesellschafterkreis lähmte sich Ceconomy lange Zeit, verschliss zahlreiche Vorstandsvorsitzende und musste immer wieder seine Prognosen korrigieren. Ende 2020 einigten sich Kellerhals und Ceconomy über eine Neuordnung der Gesellschafterstruktur, wodurch die MSH zu einer Konzerntochtergesellschaft und Convergenta zu einer Großaktionärin von Ceconomy wurde.
Auch Convergenta wollte zunächst keinen Kommentar zu den Kaufverhandlungen abgeben. Die Rolle des Großaktionärs dürfte aber eine besondere sein, auch wegen der Historie. Der heutige Bundesdigitalminister Wildberger hatte – noch in seiner Rolle als Ceconomy-Chef – vor einigen Monaten im Gespräch mit der F.A.Z. den stets „sehr engen Kontakt“ mit der Familie Kellerhals betont. Die Gründerfamilien hätten nicht nur den Grundstein des Unternehmens gelegt, sondern auch die Werte geprägt. „Diesen Gründergeist gilt es wertzuschätzen.“ Die Vertreter des größten Anteilseigners seien zudem an denselben Zielen interessiert: einer Begeisterung für neue Technik und ihrer Schnelllebigkeit, an Wachstum und Skalierbarkeit und irgendwo auch der Verwurzelung in den Regionen der Märkte.
Gleichzeitig verwies Wildberger schon damals darauf, dass das nicht als Sentimentalität missverstanden werden sollte und man nie wisse, was die Zukunft bringe. Das hat sich nicht zuletzt bei Wildberger selbst gezeigt. Am Ende könnte es für die Großaktionäre auch eine Frage des Preises sein. Es wäre zumindest nicht der erste Abschied einer Gründerfamilie aus einem Traditionsunternehmen. Die Schwestergesellschaft Metro könnte ein Beispiel dafür sein, wie ein Eigentumsmodell aussehen kann: Der Investor Křetínský hat den Großhändler zwar von der Börse genommen, die Gründerfamilien Beisheim und Schmidt-Ruthenbeck sind mit ihren Stiftungen aber weiterhin im Gesellschafterkreis vertreten.