Langjähriges Musizieren und Musiktherapie kann den Verlauf einer Demenzerkrankung positiv beeinflussen. Das zeigen Studien. Trotz der positiven Effekte kämpft die Musiktherapie in Deutschland um Anerkennung.
Wer lebenslang musiziert, hält sein Gehirn bis ins Alter fit und kann dadurch den Verlauf neurodegenerativer Erkrankungen positiv beeinflussen. Das zeigt eine neue Studie, die im Fachmagazin PLOS Biology veröffentlicht wurde. Die neuen Ergebnisse untermauern die gesundheitsfördernde Wirkung von Musik, die inzwischen in einer Vielzahl wissenschaftlicher Studien untersucht wurde.
Neue Studie: Langjähriges Musizieren verbessert Gehirnleistung im Alter
Mithilfe von funktioneller Magnetresonanztomografie (fMRT) wurde in der Studie untersucht, wie das Gehirn älterer Menschen arbeitet, während sie gesprochene Sätze inmitten störender Hintergrundgeräusche hören. Dabei zeigten ältere Musikerinnen und Musiker ein deutlich effizienteres neuronales Verarbeitungsmuster als Nicht-Musiker. Sie mussten bestimmte Gehirnbereiche weniger stark vernetzen, um das Gesprochene trotz der Störgeräusche gut zu verstehen.
Das sei ein Hinweis auf eine sogenannte kognitive Reserve, die durch jahrzehntelanges aktives Musizieren aufgebaut wird. Das heißt, das Gehirn der Musiker ist in der Lage, Schäden oder altersbedingten Abbau eine Zeit lang auszugleichen.
Eine Studie der Universität Exeter von 2024 stellte zuvor bereits fest, dass Menschen, die im Laufe ihres Lebens aktiv musizierten, vor allem auf dem Klavier oder mit Blasinstrumenten, im Alter bessere Gedächtnisleistungen aufwiesen.
Musik weckt Erinnerungen
Dass sich Musik positiv auf das Gedächtnis auswirkt, liegt daran, dass musikalische Fertigkeiten – ebenso wie Fahrradfahren – im prozeduralen Gedächtnis gespeichert werden. Dieser Gedächtnisteil bleibt häufig länger erhalten als der semantische, der für bewusst abrufbare Informationen wie Namen und Allgemeinwissen verantwortlich ist.
Musik kann bei Menschen mit Demenz so Erinnerungen an Kindheit und Jugend wachrufen. Denn in dieser frühen Lebensphase werden besonders prägende musikalische Erfahrungen gemacht, die tief im Gedächtnis verankert bleiben.
“Wir arbeiten in der Musiktherapie sehr stark biografiebezogen”, erklärt Musiktherapeut Jan Sonntag, “das heißt, wir orientieren uns sehr stark daran, mit welcher Musik sind die Menschen aufgewachsen, was haben sie in ihrer sogenannten Prägezeit gehört.” Sonntag ist Professor für Musiktherapie an der Medical School Hamburg und Beauftragter für Musik und Demenz der Deutschen Musiktherapeutischen Gesellschaft.
Mehr Lebensqualität bei Demenz
Selbst wenn kognitive Fähigkeiten bereits eingeschränkt sind, lassen sich über vertraute Musik emotionale Reaktionen hervorrufen. “Musik fördert unglaublich die Gedächtnisfunktionen und das im Zusammenhang mit der Emotionalität”, so Sonntag.
Dadurch können alte Erlebnisse wieder erzählt und die Kommunikationsfähigkeit angeregt werden. Auch die äußere Beweglichkeit und wichtige Vitalfunktionen profitieren von der Aktivierung durch Musik. Laut Sonntag lassen sich dabei zwei Wirkungsrichtungen beobachten: Musik kann beruhigen, entspannen und zentrieren oder auch aktivieren, zum Bewegen und Kommunizieren anregen.
Bei Demenz kann Musiktherapie zwar nicht die Ursache des Gedächtnisverlustes beheben. Doch sie kann positive Emotionen auslösen, Begleiterscheinungen wie Depression mildern, soziale Teilhabe ermöglichen und so den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Auch die Lebensqualität pflegender Angehöriger verbessere sich, so die Bundesinitiative “Musik und Demenz”. Aufgrund dieser positiven Effekte wird Musiktherapie bereits in Behandlungsleitlinien empfohlen.
Musiktherapie für alle?
In den vergangenen Jahren gab es viele Studien zur Musiktherapie und ihrer möglichen gesundheitsfördernden Wirkung. Eine Auswertung der Weltgesundheitsorganisation WHO von mehr als 3.000 Studien zeigt: Musikinterventionen können in jeder Lebensphase positive Effekte auf psychisches Wohlbefinden, Schmerzverarbeitung und kognitive Gesundheit haben – vorausgesetzt, sie sind als fester Bestandteil im Gesundheitssystem verankert.
Musiktherapie ringt in Deutschland um Anerkennung
In Deutschland ist die Musiktherapie allerdings noch nicht flächendeckend etabliert. Es gibt sie nur punktuell in Pflegeeinrichtungen oder als Modellprojekt – obwohl der Bedarf durch die alternde Bevölkerung steigt. Laut der Deutschen Alzheimer Gesellschaft leben in Deutschland derzeit rund 1,84 Millionen Menschen mit einer Demenzerkrankung. Der Bedarf an musiktherapeutischen Maßnahmen wird laut der Bundesinitiative “Musik und Demenz” jedoch weder in Einrichtungen der Altenhilfe noch in Krankenhäusern und der häuslichen Umgebung gedeckt.
“Die Musiktherapie grundsätzlich kämpft derzeit sehr stark um ihre gesundheitspolitische Anerkennung”, sagt Musiktherapeut Sonntag. Trotz einer sehr fundierten akademischen Ausbildung fehle es bislang an einer gesetzlich geregelten Anerkennung im Gesundheitswesen.
Das sei auch ein Risiko für die Patientensicherheit, “denn im Moment kann sich jede und jeder Musiktherapeut nennen, und das ist wirklich teilweise dramatisch”, so Sonntag.
Kreativtherapien in anderen Ländern besser etabliert
Anders als in Deutschland ist der Beruf des Musiktherapeuten in Österreich gesetzlich geschützt. Auch in Großbritannien gelten berufsrechtliche Standards für sämtliche kreativtherapeutischen Tätigkeiten. Zudem übernimmt das staatliche Gesundheitssystem teilweise die Kosten für die Kreativtherapien.
Der internationale Vergleich zeigt: Deutschland hinkt bei der strukturellen und finanziellen Umsetzung von Kreativtherapien hinterher. Das zeigt auch ein Bericht des Deutschen Bundestags aus 2021.
Aus diesem Grund diskutieren die Teilnehmenden des Europäischen Musiktherapie-Kongresses in Hamburg vom 23. bis zum 27. Juli 2025 unter anderem über musiktherapeutische Ansätze bei Demenz und darüber, wie kreative Therapien künftig besser verankert und internationaler gedacht werden können. “Das ist wunderbar, dass wir dann eben diesen Kongress auch einmal in Deutschland ausrichten dürfen, um die Internationalisierung unserer Forschung und den Praxisaustausch so weiter vorantreiben zu können”, sagt Musiktherapeut Jan Sonntag.