Kommentar zu Katherina Reiche zur Rente: Leben und Arbeit gehören zusammen, nicht getrennt

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Was Katherina Reiche zu den Sozialsystemen sagt, spricht wohl jedem aus dem Herzen, der seit Jahren darauf wartet, dass die Politik Konsequenzen aus deren chronischer Überlastung zieht. Den Arbeitgebern zuallererst. Bislang warten sie (und alle anderen Steuer- und Abgabenzahler) darauf leider vergeblich.

Besonders schlimm ist die Inkonsequenz in der Rentenpolitik. Dass sich die Koalition auf nicht mehr als die Einsetzung einer Kommission einigen konnte, ist ein Zeichen dafür, dass auch sie nicht vom Fleck kommen wird. Denn wie viele Kommissionen gab es dazu schon? Wie viele Studien? Wie viele Vorschläge?

Immerhin gibt es Bewegung in einem Punkt, den auch die Bundeswirtschaftsministerin erwähnte: das Renteneintrittsalter. Die Koalition will auch daran eigentlich nicht rütteln, führt aber eine steuervergünstigte, freiwillige Verlängerung ein.

Arbeitgeber mit doppeltem Boden

Da darf man gespannt sein, wie sehr die Arbeitgeber auf entsprechende An­gebote eingehen. Bislang waren sie ebenso sehr Freunde des ganzen Ge­genteils, der Frühverrentung. Gewerkschaften und SPD waren dabei ihre Verbündeten, ließ sich doch so die schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 quasi neutralisieren. Auch jetzt hält die SPD nicht viel von dem Gedanken, dass länger gearbeitet werden muss. Sie schiebt dabei gern den Pfleger vor, der mit 70 niemanden mehr heben könne, oder den Zimmermann, der dann nicht mehr aufs Dach steigen könne. Beide aber würden vielleicht an anderer Stelle ganz gern weiterarbeiten.

Klassisches sozialdemokratisches Gedankengut ist der hohe Wert von Arbeit. Wie ein Unterschied zwischen „Work“ und „Life“ gemacht werden kann, um eine zeitgeistig attraktive Balance einzufordern, müsste der SPD eigentlich fremd sein.

Ohne es zu wollen, macht sie sich aber zum Anwalt solcher Ansprüche und nicht etwa zum Anwalt von Arbeitern und Angestellten mit traditionellem Ethos. Auf dem Weg in den „effektiven Sozialstaat“, auf dem sich die SPD wähnt, hat Katherina Reiche deshalb Lars Klingbeil erst einmal überholt.