Holzhandwerk in Rumänien: Für Gott und die Touristen

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Tief beugt sich Mihnea Petru über das Gesicht des Gemarterten. Den linken Arm auf dem Holzkreuz aufgestützt und den Stechbeitel mit der breiten Klinge mit der Faust umklammert, arbeitet er sich vorsichtig an der Schläfe Jesu Christi ab.

Anschließend nimmt er das schmalere Stecheisen, setzt ein paar kurze Schläge mit dem Holzhammer auf den Schaft des Beitels. Das lässt die Wange noch ausgemergelter, das folgende Kratzen mit einem kleinen Schnitzhaken die Augenhöhle noch plastischer erscheinen. Dann greift Petru zur Druckluftpistole und bläst dem Gekreuzigten die Fichtenholzspäne aus dem Gesicht.












Codrea Petre betrachtet das Werk seines Holzschnitzers mit Wohlgefallen. Petre ist Eigentümer einer kleinen Holzwerkstatt in Valea Stejarului. Der Weiler liegt im Norden Rumäniens, dort wo die Theiß die ukrainischen Karpaten von den rumänischen scheidet, nahe der Kleinstadt Sighetu Marmației. Die ist bekannt als Geburtsort des Schriftstellers, Holocaustüberlebenden und Nazijägers Elie Wiesel. Doch das ist eine andere Geschichte als die des Codrea Petre.

Die steht für die Rückkehr einer längst abgeschrieben geglaubten Zeit in der Maramuresch (Maramureș). Die Region liegt wie märchenhaft abgeschieden von Zeit und Raum hinter Bergrücken, grünen Wiesen und dunklen Wäldern. Industriebetriebe und Investoren haben auch nach dem EU-Beitritt Rumäniens 2007 einen Bogen um die Region gemacht, ein paar Holzräuber ausgenommen. Jetzt, wegen des Kriegs in der Ukraine, wird immerhin eine neue Brücke über die Theiß gebaut, und unten, am rumänischen Fuß des Mittelgebirges, müht man sich ab mit der Gründung von Industrieparks.




Oben geht es wieder mehr ums Holz. Aber nicht um den Einschlag für den Weltmarkt mit Ikea und Co., sondern um die Wiedergeburt eines jahrhundertealten Handwerks, an dessen Untergang zuerst der Sozialismus, dann der Kapitalismus gearbeitet haben. Dass die Tradition überlebt und einen Aufschwung genommen hat, ist einem ungleichen Paar zu danken: Kirche und Tourismus.

Und Leuten wie Petre. Der wurde 1984 geboren, als der Sozialismus schon im Niedergang begriffen war. Seit 15 Jahren ist er nun im Zimmermannsgeschäft. Seine Kreuze stehen an Wiesenrainen und Dorfrändern. Traditionelle Holztore, die die Einwohner bei ihm bestellen, künden auch heute wieder, viele Meter breit und hoch, von deren Wohlstand.

Ein bisschen liegt der Aufschwung auch an jenen, die auf der Suche nach Lohn und Brot in den Westen zogen, um sich in Fabriken, auf Bauernhöfen oder dem Bau zu verdingen. Heute lassen sie sich in Spanien, Italien, Frankreich oder Deutschland Holzhäuser und Kapellen als Reminiszenz an die alte Heimat aufstellen.

Hunderte Handwerker in Dutzenden Betrieben sollen so heute wieder im Holzbau ihr Auskommen haben. Genaue Zahlen sind nicht bekannt, viele arbeiten unter dem Radar des Finanzamtes.

Als Petre aufgewachsen ist, waren Nationalsozialismus und Krieg lange vorbei. Den Niedergang des Sozialismus hat er als Kind erlebt. Er baut imposante traditionelle Holztore, mit denen die Einwohner der Maramuresch (Maramureș) an eine Tradition anknüpfen, er fertigt Veranden für Familien-, Mobiliar für Gotteshäuser.







Mit festen Schlägen bearbeitet Codrea Petre das Holz für einen Torpfosten.






Kulturinteressierten ist die Maramuresch bekannt für ihre vielen kleinen, hoch aufragenden Holzkirchen mit ihren steilen Holztürmen. Manche tragen die Patina von Jahrhunderten, viele stehen unter dem Schutz der UNESCO. Ebenso stilbildend für die Region sind die riesigen Holzportale und geduckten Häuser, Letztere meist eingeschossig gezimmert aus Eichenbalken und bedeckt mit Schindeln der reichlich vorkommenden Fichten und Tannen der Umgebung.

Über Jahrhunderte habe sich das kaum verändert, sagt Mirela Barz, die Direktorin des Heimatmuseums in Sighetu Marmației. Die Bautechnik sei die gleiche, seit die Österreicher Ende des 17. Jahrhunderts die Schwalbenschwanzverbindung eingeführt hatten. Das auch heute im Holzbau verwandte Verfahren ermöglicht ein sicheres Verzapfen von Balken und Brettern, ohne dass Nägel oder Bänder zur Befestigung herhalten müssen. Manche in der Maramuresch nennen sie auch heute die „deutsche Technik“.

Doch dann sei die sozialistische Baureform gekommen, seufzt Kunsthistorikerin Barz. 1972 legte die Regierung in Bukarest ein halbes Dutzend Bautypen fest, die für Wohnhäuser verwandt werden durften. Solche aus Holz waren nicht darunter. So begann der Niedergang der Bautradition, der sich in den Neunzigerjahren noch einmal verschärfte, als plötzlich alle „wie im Westen“ leben wollten: mit Einbauküche, Bad mit Dusche und WC, in einem steinernen Haus. Rumänische Arbeitsmigranten in Italien, Spanien oder Deutschland brachten nicht nur die Ideen, sondern auch das nötige Kleingeld mit.




Das Kloster Sapanta: angeblich die höchste Holzkirche der Welt




Wer konnte, verkaufte seine alte Holzhütte, deren Eichenbalken bestenfalls im Ausland noch tragende Dienste leisten durften. Andere wurden zu Parkett zersägt und teuer verkauft, der Rest als Bau- oder Brennholz verwertet. Tausende Häuser seien auf diese Weise verloren gegangen, klagt Barz. Das Straßenbild hat sich seither verändert. Mehr Stein, Stahl und Beton. Doch der Trend scheint gebrochen.

Wann genau die Wende kam, lässt sich nicht genau festmachen. Die einen sagen, der Startschuss sei Ende der Neunzigerjahre gefallen, als das orthodoxe Kloster in Bârsana, ein überregionales Pilgerzentrum, mit seinen hölzernen Kirchen und Wohngebäuden neu errichtet worden sei. Andere machen es an dem Wiederaufleben des Tourismus im Jahrzehnt danach fest. Der Immobilienmarkt spricht jedenfalls ein eindeutiges Urteil: „Vor zehn Jahren konnte man ein altes Haus für 2000 Euro kaufen, heute findet man keines mehr für unter 10.000 Euro“, sagt Museumsdirektorin Barz.

„Die Gäste wollen nicht in Steinhäusern wohnen, sie verlangen nach den alten Holzhäusern“, sagt Mărioara Buta. Das liege weniger am Umweltbewusstsein oder und den Vorteilen des nachwachsenden Rohstoffs als an der traditionellen Lebensweise, der die Gäste als Urlaubserlebnis nachspüren wollten.

Tatsächlich hängen vor vielen renovierten alten, aber auch neuen Holzhäusern Schilder, die auf Zimmervermietung hinweisen. Insbesondere im Sommer ist der ländliche Landstrich ein beliebtes Urlaubsgebiet, Voriges Jahr zählte man 311.000 Besucher. Doch aktuell halten sich viele Rumänen wegen der schlechten Wirtschaftslage mit Buchungen zurück. Im Frühling ist davon noch wenig zu spüren. Wie jedes Jahr sind um die Zeit mehr Störche als Touristen in der Gegend mit ihren Bächen, grünen Wiesen und ausgedehnten Wäldern anzutreffen.




Das hölzerne Ferienhaus, das Mărioara Buta vermietet, ist das gut 100 Jahre alte Haus ihrer Großeltern. Nach deren Tod hat sie es abbauen und auf ihrem Grundstück in Călinești wieder aufbauen lassen – innen jetzt mit einem modernen Bad versehen, außen blieb alles wie gehabt. Sie selbst wohnt gegenüber, in einem modernen Steinhaus. Aber das Tor, das das Grundstück zur Straße abgrenzt, ist neu, mächtig und aus Holz. Das Material haben sie selbst gestellt, dennoch kostete der Bau noch 6000 Euro.

Gute Handwerkerarbeit hat auch in der Maramuresch ihren Preis. Ein großes Holzportal an der Straße kann den Kunden leicht mehrere Zehntausend Euro kosten – dafür hält es eine Ewigkeit. Der Preis für ein neues hölzernes Einfamilienhaus liegt darüber, der für eine Kirche geht schnell in die Hunderttausende.

Das ist viel Geld in einer Grenzregion, in der es wenig Arbeit gibt und das durchschnittliche Einkommen eher unter den 1142 Euro im Monat lag, die der Landkreis 2023 in einer Broschüre für Investoren als „sehr wettbewerbsfähig“ beschrieb – auch wenn gute Holzhandwerker bis zu 100 Euro am Tag nach Hause bringen sollen.

Beim Schindelmacher Hotea Ioan in Budești sieht das schon anders aus. Er sitzt in seiner garagengroßen Werkstatt, zerteilt unterschenkelgroße Blöcke aus frischem Fichtenholz mit Hammer und Spatel, bevor er die so gewonnenen Holzschindeln mit einem Zugmesser glatt streicht. Es ist eine zeitraubende Arbeit. Um über die Runden zu kommen, betreibt er noch eine kleine Landwirtschaft. Seine Frau fährt jeden Sommer zehn Wochen nach Deutschland – um Geld in der Erdbeerernte zu verdienen.








Gut eine Autostunde weiter südlich, die vielen Kehren der malerischen Passstraße hinunter, in der Kreisstadt Baia Mare, sind Arbeitsplätze nicht so rar und die Durchschnittslöhne höher. Auch dort spielt das Holz die erste Rolle. „Wir sind das Land des Holzes“, sagt Landkreisdirektor Gabriel-Valer Zetea. Da kann Ikea nicht weit sein. Größter Arbeitgeber in der Region, in der eine halbe Million Leute wohnen, ist zwar die Aramis-Gruppe. Doch bei der schneiden mehr als 5000 Leute Holzteile für Ikea zurecht und verarbeiten sie. Das erklärt die überraschende Antwort des Politikers auf die Frage nach dem größten Problem: „Die steigenden Holzkosten.“ Der Rohstoff sei in Rumänien teurer als in Österreich.

Grund dafür sind strikte Begrenzungen des Holzeinschlags – eine Folge jahrelangen Raubbaus und illegaler Fällungen in großem Maßstab. Für die Zukunft der Holzwirtschaft oben, in der dicht bewaldeten Bergregion der Maramuresch ist er deshalb so wenig optimistisch wie ihm die Zuversicht dafür fehlt, dass die alten Traditionen in modernen Zeiten überleben würden.

In Sighetu Marmației arbeitet Museumsdirektorin Barz daran, dass sie das doch tun. In einem von der EU finanzierten und von der örtlichen Handwerkskammer begleiteten Projekt erstellt sie mit Wissenschaftlern aus Ungarn und der Ukraine ein Handbuch, das alle in der Region verwendeten Holzarbeitstechniken und Symbole aufnehmen soll.








In dem Projekt geht es um mehr, als die Tradition zu bewahren. Am Ende sollen 20 Betriebe genannt werden, die einerseits traditionelle Techniken anwendeten, sich andererseits auch um die Ausbildung des Nachwuchses kümmern und auch für interessierte Besucher offenstehen. Tradition und Tourismus werden auch hier zusammengedacht. Das alles soll bis Ende nächsten Jahres auf Papier und im Internet publiziert werden.

Auch Barz weiß, dass Tradition nicht alles ist. Man müsse mit der Zeit gehen und Kompromisse finden. Im Zimmereibetrieb von Mihai Bledea etwa werden die Bauteile wie gehabt zusammengesetzt, doch den genauen Zuschnitt erledigt zuvor das Sägewerk. Sein Sohn bereite das am Computer vor, sagt der Zimmermann. Er war Grenzpolizist, bevor er seine Leidenschaft zum Beruf machte.

Einer, der mit Sicherheit zu den 20 ausgewählten Handwerkern auf der Liste gehören wird, ist Teodoroader Bârsan. Er steht vor dem prachtvollen Eingangstor seiner Werkstatt in Bârsana und erklärt gerne die Mischung aus christlichen und heidnischen Symbolen an Pfosten und Bögen. Da ist die Sonne als Zeichen der Fruchtbarkeit und des Wohlergehens.








Gezackte Wolfszähne über dem Durchgang sollen bösen Geistern den Zutritt verwehren. Schlangen- und Drachenköpfe verweisen auf zweitausend Jahre Daker-Geschichte, verschlungene Kreisbögen auf keltischen Ursprung, drei ineinander verschlungene Seile sollen die Heilige Dreifaltigkeit bezeugen. Kreuzesdarstellungen sprechen für sich.

Der Hof quillt über von frischen Holzbalken aus dem Sägewerk und vor Ort geschnitzten Torpfosten. Dazwischen ein Lastwagen mit Kran. Am Heck prangt Grau auf Rot die Aufschrift „Brennholzhandel“. Die Telefonnummer weist auf einen Vorbesitzer im Hunsrück hin. Das sei, sagt Bârsan lachend, auf das Fahrzeug angesprochen, die Frucht eines Auftrags in Deutschland gewesen. Den Gewinn habe er gleich in den Lastwagen investiert.

Teodoroader Bârsan ist 46 Jahre alt und eine Größe im Holzbau der Maramuresch. Er war Mathematiklehrer, übernahm dann aber das Zimmereigeschäft seines Vaters. Der war eine über die Grenzen der Region bekannte Baumeister-Legende, wovon Fernsehsendungen, Zeitungsausschnitte und eine Auszeichnung des Smithonian Folklife Festival 1999 in Washington auch nach dessen Tod zeugen.

Der Sohn beschäftigt an die 20 Leute, ist im In- und Ausland unterwegs, baut Mobiliar, Tore, Häuser, Stühle, Kirchen und Kapellen. Eine wird soeben in traditioneller Bautechnik auf der Rückseite des Hofes zusammengesetzt. Wenn sie fertig ist, wird sie demontiert, und die Einzelteile werden zum endgültigen Bestimmungsort gefahren, um dort schließlich wieder zusammengesetzt zu werden.

„Die Tradition kommt zurück“, sagt Bârsan, dessen kräftige Statur die tägliche Arbeit mit dem schweren Material widerspiegelt. Er sieht das an den vielen Aufträgen. „Wir kommen kaum nach.“ Anderen gehe es ähnlich. Er macht keinen Hehl daraus, „dass man damit gut Geld verdienen kann“.








Aber darauf komme es nicht an, sagt er und sorgt sich darum, als eitel oder selbstsüchtig zu erscheinen. Das sei nicht gottgefällig. Denn Teodoroader Bârsan ist nicht nur Vater, Baumeister und Geschäftsmann, der mehrere Sprachen beherrscht, sondern auch ein Mann Gottes. Als Priester der orthodoxen rumänischen Kirche liest er regelmäßig sonntags die Messe im nahe gelegenen Kloster.

Gott, Kirche und der Glauben spielen auch heute noch eine große Rolle in der Maramuresch, die für ihre alten Holzkirchen berühmt ist. Neue kommen hinzu, manche aus Stein, viele aus Holz. Gleich zwei Klosteranlagen sind in den vergangenen 30 Jahren in der Region neu entstanden. Neben dem Pilgerzentrum Bârsana zum Beispiel ein weiteres eine halbe Autostunde weiter westlich.

Um das Kloster Săpânța Peri mit Kirche, Sommerkirche, Tagungszentrum und Haus für die vier Nonnen zu bauen, wurde hektarweise Eichenwald gefällt. Heute gilt die dem Erzengel Michael gewidmete Kirche mit der charakteristischen Doppeltraufe als die höchste Holzkirche der Welt.

Schwester Monica führt gerne durch die Gebäude und erklärt geduldig Ikonen, Ausstattung und Bau der Anlage. Alles Massivbau aus Eiche. Hier müssen Tausende Festmeter Holz verbaut sein. Nur der 46 Meter hohe Mast im Innern des Kirchturms, der ihn bei starkem Wind stabilisiere, sei aus Fichte. Schwester Monica zeigt auf das glänzende Kreuz auf dem 78 Meter hohen Turm. Das sollen die Gläubigen am ursprünglichen Standort des Klosters in der Ukraine sehen können – wo die Behörden einen Neubau des alten Klosters abgelehnt hätten.




Es ist nicht immer die Kirche, die Bauaufträge vergibt. Bei den Klosterbauten wurden viel freiwillige Arbeitsleistung und Spenden gesetzt. Allein 200 Holzkreuze seien auf die Weise in den vergangenen zehn Jahre neu aufgestellt worden oder hätten alte ersetzt, sagen Ortskundige.

Codrea Petre fertigt Wegkreuze auf Bestellung, wie jenes vier mal zwei Meter große Teil, an dem Holzschnitzer Petru sich in Codrea Petres Werkstatt soeben abmüht. Den passenden Baum für das Holz sucht er selbst im Wald aus. Dem Kunden berechnet er für Material und zwei Wochen Arbeit 2000 Euro, Aufstellen inklusive. Wie in dem Fall sind Privatleute oft Auftraggeber für Kreuze und Kapellen, die dann gespendet werden.

Gefragt, wie das Geschäft laufe, reagiert Petre defensiv und ausweichend: „Nicht gut, nicht schlecht, es reicht zum Überleben.“ Doch wer mit einem neuen Auftrag kommt, muss warten. Monate sind es bei Petre. Der Priester und Zimmermann Bârsan sagt, die Wartezeit betrage ein Jahr. „Morgen ist sie vielleicht schon länger.“ Im Zimmereibetrieb von Mihai Bledea im benachbarten Vadu Izei muss man sich bis zu drei Jahre gedulden, bis das neue Haus gebaut und aufgestellt ist – solange man kein „Freund der Familie“ sei, wie er augenzwingend hinzufügt. Keine schlechten Zahlen für ein Handwerk, das noch vor wenigen Jahren als ein sterbendes galt.

Mitarbeit: Constantin Lazu