Es war unangenehm anzuschauen, wie sich Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zum Auftakt des entscheidenden Treffens zum Zollkonflikt mit US-Präsident Donald Trump am Sonntag im schottischen Turnberry selbst verzwergte. Keine Widerworte geben, „den harten – sogar fairen – Dealmaker“ Trump umschmeicheln und seine gönnerhafte Attitüde über sich ergehen lassen. Das war offenkundig die Strategie, um den in der Luft liegenden Deal auf keinen Fall zu gefährden.
Etwas mehr als eine Stunde später stand der Deal und von der Leyen nahm für sich in Anspruch, alles richtig gemacht zu haben. Das Schlimmste ist verhindert. Die EU und die USA taumeln keinem offenen Handelskrieg entgegen. Trump wird die Zölle auf den Großteil der Einfuhr aus der EU in die USA nicht auf 30 Prozent anheben. Wäre es dazu gekommen, wäre es wohl schwierig gewesen, wieder deutlich darunter zu kommen, betont von der Leyen nicht zu Unrecht.
Stattdessen gilt für die EU nun ein Zollsatz von 15 Prozent auf beinahe alle Produkte, genau wie es die Europäische Kommission in der vergangenen Woche schon skizziert hatte. Das ist sogar ein Höchstsatz. Die schon vor dem Konflikt geltenden Zölle werden auf den Höchstsatz angerechnet. Vor allem aber gilt er sogar für die bei Trump so verhassten deutschen Autos, für die die USA momentan einen Zoll von insgesamt 27,5 Prozent erheben.
Zu Jubel gibt es keinen Anlass
Bürger und Unternehmen auf beiden Seiten des Atlantiks erhalten, soweit man das bei Trump jemals sagen kann, Planungssicherheit. Er selbst sagte, dieser „größte Deal aller Zeiten“ (der wievielte eigentlich?) werde Jahre halten. Auch das hält sich von der Leyen zugute.
Dennoch gibt es zu Jubel keinen Anlass. Ein großer Erfolg ist dieser Deal nur, wenn man ihn mit dem denkbar schlimmsten Ausgang vergleicht. 15 Prozent mögen auch noch besser sein als der von Trump im April angekündigte Basiszollsatz von 20 Prozent für die meisten EU-Waren. Verglichen mit der Situation vor dem Zollkonflikt aber ist es für die europäischen Exporteure eine drastische Verschlechterung.
Dieser Deal ist hart für die EU und Deutschland. Für die Autohersteller versechsfacht sich der Zoll verglichen mit der Zeit vor Trumps Zollorgie. Zugleich senkt die EU ihre Zölle für die Einfuhr von Autos aus den USA von zehn Prozent auf null. Auch der Zollsatz von 15 Prozent auf Pharmazeutika trifft Deutschland besonders stark – und es ist noch nicht einmal klar, ob Trump sich damit zufriedengeben wird. Er stritt am Sonntag zumindest ab, dass höhere Zölle für Medikamente vom Tisch seien.
Zugleich zahlt die EU im wahrsten Sinne des Wortes einen hohen Preis dafür. Die Zusagen für den Kauf von amerikanischem Gas, Öl, nuklearem Material und Rüstungsgütern sowie von Investitionen in den USA belaufen sich auf mehr als eine Billion Euro. Damit stellt die EU die Zusagen, die Japan für seinen Deal machen musste, in den Schatten.
Diesen Deal hat die Kommission in den vergangenen Tagen zur Messlatte ausgerufen. Lässt man sich darauf ein, hat sie sogar geliefert. Beide Abkommen sind vergleichbar, soweit das auf Grundlage der bekannten Details möglich ist.
Nur hatte die Kommission nicht eigentlich das schon vor Wochen von Großbritannien mit den USA erzielte Abkommen zur Messlatte erklärt? Mehr noch: Sie hatte stets betont, so billig werde Trump in den Verhandlungen mit der EU nicht davonkommen. Die EU habe als größter Handelspartner der Vereinigten Staaten mehr Gewicht. Welch ein Irrtum. Verglichen mit dem Zehn-Prozent-Basiszoll-Deal der Briten steht die EU denkbar schlechter da. Der wichtigste Handelspartner der USA hat sich selbst verzwergt.
War es richtig, auf keine Provokation zu reagieren?
Das wirft die Frage nach der Verhandlungstaktik der EU-Kommission auf. War es richtig, auf keine Provokation Trumps zu reagieren? Bis zuletzt auf jedweden Gegenzoll zu verzichten? Dem Präsidenten die Bühne zu überlassen und die Verhandlungen von vorneherein darauf anzulegen, dass er als strahlender Sieger daraus hervorgeht?
Andererseits haben die Mitgliedstaaten der Kommission auch kaum eine andere Wahl gelassen. Selbst das stets so stolze Frankreich scheute den offenen Konflikt, als Trump mit Zöllen von 200 Prozent auf Champagner drohte. Bundeskanzler Friedrich Merz setzte alles auf einen schnellen und zur Not schmutzigen Deal, um der deutschen Wirtschaft einen eskalierenden Zollkonflikt zu ersparen. Zugleich schadete er dem geschlossenen Auftreten der EU durch eigene Nebenverhandlungen mit Trump.
Die EU war nicht geschlossen genug, um Trump wie Kanada und China Zölle entgegensetzen zu können. Sie glich in diesem Konflikt tatsächlich eher einen Zusammenschluss von 27 Zwergen als einem europäischen Riesen. Zur Wahrheit gehört indes auch, dass es für sie angesichts der Abhängigkeit in der Sicherheitspolitik schwer möglich war. Ihr fehlt das Drohpotential, wie es China mit seiner Kontrolle über kritische Rohstoffe hat. Trump hat das eiskalt erkannt und ausgenutzt.
Ob sich das für ihn und die amerikanische Wirtschaft am Ende auszahlt, ist eine ganz andere Frage. Es spricht vieles dagegen, auch wenn die Zolleinnahmen momentan sprudeln und die stabilen Finanzmärkte ihm aus seiner Sicht recht geben.
In der EU werden die Zölle unweigerlich Spuren hinterlassen. Umso mehr muss sie die zu erwartenden Verluste kompensieren, indem sie den eigenen Binnenmarkt stärkt. Sie muss ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen und die Handelsbeziehungen zum Rest der Welt ausbauen.
Die jüngst verkündete Grundsatzeinigung auf ein Abkommen mit Indonesien ist ermutigend. Ein Abkommen mit Indien könnte schon im Herbst folgen. Als erstes sollte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nun das im Dezember vergangenen Jahres unterzeichnete Abkommen mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten endlich zur Abstimmung in Europaparlament und Rat stellen. Die Kommission hat das auch aus Sorge vor dem Nein aus Frankreich viel zu lange herausgezögert. Nun ist es für alle europäischen Akteure Zeit, Farbe zu bekennen.