Ökonomen: Zoll-Einigung stürzt Europa nicht in die Rezession

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Die Zolleinigung der europäischen Union und der Vereinigten Staaten wird die deutsche und die europäische Wirtschaft deutlich belasten, aber nicht in eine Rezession stoßen. So lassen sich die ersten Reaktionen von Ökonomen auf die Absprache zusammenfassen, die der amerikanische Präsident, Donald Trump, und die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, am Sonntag in Schottland erreicht hatten. Wichtigster Bestandteil der Vereinbarung ist ein genereller Einfuhrzoll von 15 Prozent auf europäische Waren in die Vereinigten Staaten.

„Mit den 15 Prozent kann die deutsche Wirtschaft leben“, sagte der Präsident des Ifo-Instituts in München, Clemens Fuest, der F.A.Z. „Gegenüber der Situation vor dem neuerlichen Amtsantritt von Trump ist das aber eine erhebliche Verschlechterung.“ Der deutsche Export werde geschätzt etwa 15 Prozent niedriger sein als vor den Trump-Zöllen, sagte Fuest. „Das wird teilweise durch höhere Exporte in andere Länder ausgeglichen, aber eben nur teilweise.“

Von „überschaubaren“ ökonomischen Auswirkungen des Zoll-Deals für Deutschland sprach Monika Schnitzer, die Vorsitzende des Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. „Das Wachstum könnte dadurch um 0,2 bis 0,3 Prozent niedriger ausfallen als ohne diese Zölle“, sagte Schnitzer der F.A.Z. „Wie gut die einzelnen Unternehmen damit zurechtkommen werden, wird davon abhängen, ob und wie schnell es ihnen gelingt, ihre Produktivität zu steigern.“

Monika Schnitzer im Mai in Berlin.
Monika Schnitzer im Mai in Berlin.AFP

Deutsche Schulden gleichen aus

Für die Europäische Union sei die Handelseinigung mit dem 15 Prozent Zoll „erträglich“, kommentierte Holger Schmieding, der Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Beide Seiten hätten einen eskalierenden transatlantischen Handelskrieg vermieden. Der unerwartet große fiskalische Stimulus in Deutschland werde die Zollbelastung für Deutschland ganz und für den Euroraum weitgehend ausgleichen, schrieb Schmieding in einer ersten Analyse. Er bleibt bei seiner Einschätzung, dass die Wirtschaft im Euroraum vom vierten Quartal signifikant an Dynamik gewinnen werde. Auch nach der Handelseinigung bestehe für die Europäische Zentralbank kein Anlass, die Zinsen weiter zu senken.

Holger Schmieding
Holger Schmiedingprivat

Im Vergleich zum Jahresbeginn, also vor der zweiten Amtszeit von Donald Trump, wird der durchschnittliche amerikanische Zollsatz für europäische Güter um etwa zehn Prozentpunkte steigen. Das trifft die Europäer besonders, weil die Vereinigten Staaten der wichtigste Absatzmarkt für hiesige Exporteure sind. Mehr als 500 Milliarden Euro oder etwa 20 Prozent des gesamten europäischen Exports gehen dorthin. „Für sich genommen, wird das die europäische Wirtschaft spürbar belasten“, kommentierten die Volkswirtschaftler von der Commerzbank.

Nach einer ersten Berechnung der Ökonomen des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel (IfW) wird die Zolleinigung das deutsche reale Bruttoinlandsprodukt auf Sicht von einem Jahr um 0,15 Prozent senken. Diese Belastung kommt zu einer Zeit, in der für dieses Jahr in Deutschland ein schwaches Wirtschaftswachstum und für das kommende Jahr eine deutliche Beschleunigung auf ein Prozent oder mehr erwartet wird.

Das besonders exportabhängige Deutschland wird nach den Berechnungen aus Kiel unter den großen Mitgliedstaaten innerhalb der Europäischen Union stark getroffen. Für Frankreich und Italien ergibt sich nach der Kalkulation ein Minus von nur 0,01 beziehungsweise 0,02 Prozent im ersten Jahr. Für die gesamte Europäische Union hat der Ökonom Julian Hinz vom IfW ein Minus von 0,1 Prozent ermittelt.

Autos wichtiger als Stahl und Aluminium

Die Berechnung aus Kiel ist vorläufiger Natur, weil viele Details der Vereinbarung noch nicht endgültig klar sind. Fuest vom Ifo-Institut bezeichnete es als wichtig, dass der europäische Autoexport künftig von Amerika mit 15 Prozent verzollt werde und nicht mehr mit den derzeit geltenden 25 Prozent. Es sei bedauerlich, dass für Stahl und Aluminium weiter ein Zoll von 50 Prozent gelte, sagte Fuest: „Die Bedeutung dieser Produkte ist mit Autos aber nicht vergleichbar.“

Die Last für europäische Exporteure von Stahl und Aluminium dürfte geringer werden dadurch, dass nach Aussage von der Leyens noch über Zollquoten für diese Produkte verhandelt werde. Das hieße, dass ein Teil des europäischen Exports dieser Produkte in die Vereinigten Staaten geringer verzollt würde. Unklar ist auch, wie stark die Vereinigten Staaten pharmazeutische Produkte verzollen werden oder für welche speziellen Produkte beide Seiten sich nach dem Worten von der Leyens auf Null-Zölle geeinigt haben.

„Demütigung für Europa“

Politisch werten die Ökonomen die Zolleinigung als asymmetrisch. Die Vereinigten Staaten erhöhen ihre Einfuhrzölle auf europäische Waren deutlich, während die Europäische Union keine Gegenmaßnahmen ergreift. „Der Deal ist eine Demütigung für die EU“, sagte Fuest. „Aber das reflektiert nur die realen Machtverhältnisse. So lange die EU-Staaten militärisch von den USA abhängig sind, können sie mit den USA nicht wirklich hart verhandeln.“

„Die EU sollte sich nicht zu früh in Sicherheit wiegen“, sagte Schnitzer vom Sachverständigenrat und warnte, dass Trump weitere Zolldrohungen stellen könne. „Von einer Verhandlung auf Augenhöhe kann nicht die Rede sein“, sagte die Ökonomin. „Es ist befremdlich, dass die EU nicht stärker aufgetreten ist, sondern ihre eigene wirtschaftliche Stärke unter Wert verkauft hat.“

Schnitzer verglich Trumps Vorgehen mit dem Verhalten eines aggressiven Kinds auf dem Schulhof: „Der Bully auf dem Pausenhof hat erst das Pausenbrot und das Taschengeld gefordert. Für den Moment gibt er sich mit dem Pausenbrot zufrieden. Bald könnte er aber das Fahrrad und das Smartphone fordern. Würde die EU dann froh sein, nur das Fahrrad abgeben zu müssen?“