28. Juli 2025 · In den Niederlanden kitzelt ein Roboter Versuchspersonen – zu Forschungszwecken. Unser Autor hat sich in seine Fänge begeben.
Ein bisschen so wie Achterbahnfahren, wenn man weiß: Gleich passiert’s, gleich geht’s runter – so fühle ich mich, während ich darauf warte, dass mir ein Roboterfinger an die Fußsohlen fährt. Ich sitze auf einem ausladenden Sessel, der an einen Behandlungsstuhl beim Gynäkologen erinnert. Ich schwitze, mein Hemd klebt am hellgrauen Kunstleder, ich rede mir ein, dass das an der Frühsommerhitze liegt.
Schuhe und Socken durfte ich vorhin ablegen, nun habe ich eine EEG-Kappe auf dem Kopf. Ich sitze aufrecht, den Blick nach vorn gerichtet, meine Beine werden von Schaumstoffpolstern in Position gehalten, die Füße stehen auf zwei für sie vorgesehenen Öffnungen. Aus In-Ear-Kopfhörern dröhnt ein lautes Störgeräusch in meine Ohren, ich höre nichts anderes mehr. Dann ein Piepton, unter meinen Füßen beginnt es zu vibrieren, gleich geht es los.
Ich bin zu Besuch im Gargalesis laboratory im niederländischen Nijmegen, auch bekannt als: Kitzellabor. Hier kitzeln Forscher regelmäßig die Füße von Versuchspersonen. Beziehungsweise: lassen kitzeln. Denn die Arbeit macht eine mechanische Vorrichtung, die sich in dem Podest unter meinen Füßen befindet. Ein Roboterarm mit fingerartigem Fortsatz am Ende, der am Tag bis zu acht Versuchspersonen durchkitzelt.
Warum sind wir kitzelig? Warum an den Fußsohlen mehr als an den Händen? Was unterscheidet eine kitzelige von einer anderen Berührung? Und warum können wir uns eigentlich nicht selbst kitzeln? Aristoteles, Galilei, Bacon, Descartes, Darwin – keine Geringeren haben sich darüber schon den Kopf zerbrochen. „Von einigen der größten Geister der Menschheitsgeschichte sind Ideen, Überlegungen, ganze Abhandlungen dazu überliefert“, sagt Konstantina Kilteni. „Empirische Forschung gibt es bislang kaum.“ Die Neurowissenschaftlerin leitet das Labor in Nijmegen. Um mich auf meinen Besuch vorzubereiten, treffe ich sie vorab online für ein Gespräch: „Meine Antworten werden Sie vermutlich langweilen“, sagt sie gleich zu Beginn. Denn von richtigen Antworten sei man noch weit entfernt.
Die US-amerikanischen Psychologen Stanley Hall und Arthur Allin haben 1897 erstmals zwei Arten von Kitzeln unterschieden: Knismesis und Gargalesis. Knismesis wird durch eine leichte, oberflächliche Berührung ausgelöst, etwa mit einer Feder. Sie kann überall am Körper auftreten und löst Juckreiz aus. Ihre Funktion liegt auf der Hand: Knismesis schützt uns vor Parasiten wie Mücken oder Zecken.
So weit die Literatur. Und in echt? Die Vibration unter meinen Füßen stoppt, der Roboterfinger ist in Position gegangen. Ein paar Sekunden passiert nichts, dann spüre ich, wie etwas meine rechte Fußsohle berührt und sich schnell hin und her bewegt. Meine erste Reaktion bestätigt wohl eher die „Pädagogik-Theorie“ zum Kitzeln. Ich zucke instinktiv zusammen.
Ich weiß nicht, ob es genau 500 Millisekunden dauert. Aber kurz darauf passiert das, womit ich selbst nicht gerechnet hatte: Obwohl ich mich in einer unangenehmen Situation befinde, in einem kleinen, kahlen Raum, mit drei Forschern, die mich beobachten, und einem Fotografen, der mir seine Kamera ins Gesicht hält, kann ich nicht an mich halten. Ich breche in Lachen aus. „Eight“, keuche ich – die Forscher hatten mich vorher gebeten, die Intensität des Kitzelreizes auf einer Skala von eins bis zehn zu bewerten. Die erste Runde hat mich voll erwischt.
Dann wieder Rauschen, Piepsen, Vibration. Die Maschine geht erneut in Position. Runde zwei beginnt mit einer sanften Berührung, diesmal an meiner linken Hacke, die sich in kleinen Kreisen fortbewegt. „One“, lautet mein Urteil. Richtig, wie mir später Konstantina Kilteni bestätigen wird. „Um herauszufinden, welche Berührungen überhaupt als kitzelig wahrgenommen werden, präsentieren wir auch Kontrollreize.“
Was genau unterscheidet eine kitzelige von einer nicht kitzeligen Berührung? Das ist die erste Frage, die der Roboter in Nijmegen beantworten soll. Er erlaubt, Dauer, Druck, Geschwindigkeit und den Ort des Reizes präzise zu justieren. Die Forscher gleichen diese Parameter dann mit der Empfindung der Versuchspersonen ab, in manchen Experimenten sogar mit deren Gehirnaktivität, Herzrate, Atemfrequenz.
Das Geheimnis für den perfekten Kitzelreiz konnten die Forscher noch nicht entschlüsseln. Fest steht, dass alle Werte in einem bestimmten Bereich liegen müssen. Eine zu leichte Berührung lässt uns kalt, eine zu starke tut weh. Die Bewegung darf weder zu schnell noch zu langsam sein. Auch die Dauer muss stimmen. „Kitzeln baut sich nach und nach auf“, sagt Kilteni. Ein kurzer Stupser bringt uns nicht zum Lachen. Dauert die Berührung zu lange, wird sie unangenehm. Der Übergang scheint fließend zu sein: von Juckreiz über Kitzel zu Schmerz.
„Kitzeln baut sich nach und nach auf.“
KONSTANTINA KILTENI
Wichtig ist auch der Ort. Ein Reiz, der an der Fußoberseite die meisten Versuchspersonen unbeeindruckt lässt, kann an der Fußsohle unerträglich sein. Warum bestimmte Körperregionen kitzeliger sind als andere – ein weiteres Rätsel. Seine Lösung ist jedenfalls weder in der Dicke der Haut noch in der Dichte der Nervenenden zu finden. Wäre etwa Letzteres der Fall, würden unsere Hände zu den kitzeligsten Körperteilen gehören, die Füße wären ziemlich unempfindlich. „Wir haben bislang nicht einmal eine brauchbare Theorie dazu, warum einige Stellen kitzeliger sind als andere“, sagt Konstantina Kilteni.
Nach dem Interview mit der Wissenschaftlerin will ich wissen, was jenseits der Forschung über das Phänomen bekannt ist. Ich gehe auf Tiktok. Und stoße schnell auf ein Video, in dem der Schauspieler Robin Williams und eine Gorilladame namens „Koko“ sich gegenseitig durchkitzeln. Beide, Mensch und Tier, sind sichtlich amüsiert.
Teile des somatosensorischen Kortex sind während des Kitzelns besonders aktiv.“
SHIMPEI ISHIYAMA
Wir Menschen sind nicht die einzigen kitzeligen Lebewesen. Affenarten wie Bonobos, Orang-Utans oder Schimpansen kitzeln sich untereinander. Auch unsere weiter entfernten Verwandten tun es – Ratten zum Beispiel. Um mehr darüber zu erfahren, rufe ich Shimpei Ishiyama an. Er erforscht Gargalesis ohne Roboter – und ohne Menschen. In seinem ans Zentralinstitut für Seelische Gesundheit angegliederten Labor in Mannheim kitzelt er höchstpersönlich Ratten. Und die sind nicht nur kitzelig – sie lachen sogar. „Ratten stoßen währenddessen ein Geräusch im Ultraschallbereich aus“, sagt Ishiyama. Dass Forscher die ausgestoßenen 50-Kilohertz-Schallwellen als Lachen interpretieren, liegt an einigen Parallelen zum Menschen: Junge Ratten machen es häufiger als alte, Berührungen am Bauch lösen es eher aus als am Rücken, und wenn die Tiere sich unwohl fühlen oder Angst haben, etwa weil sie auf einer hohen Plattform stehen, „lachen“ sie weniger. Ishiyama hat an seinen Versuchstieren untersucht, was Kitzeln im Hirn auslöst. Er hat dazu 2016 im Magazin Science eine Studie veröffentlicht: „Teile des somatosensorischen Kortex sind während des Kitzelns besonders aktiv“, sagt er. Jene Region also, der eine besondere Bedeutung bei der Verarbeitung von Sinneseindrücken zukommt.
Der Roboter in Nijmegen soll nun für mehr Systematik sorgen. Aber lohnt sich der Aufwand, nur um Klarheit über ein kurioses Phänomen zu bekommen? Für Tilman Stephani geht es um viel mehr als das: „Kitzelforschung klingt natürlich erst einmal ein bisschen exotisch“, sagt er. Aber die Erkenntnisse, die man sich davon erhoffe, seien das keineswegs. Denn wie bei kaum einem anderen Phänomen hängen bei Gargalesis Berührung, Wahrnehmung und Emotionen unmittelbar miteinander zusammen. „Wir hoffen, durch die Forschung hier Grundlegendes darüber herauszufinden, wie das menschliche Gehirn funktioniert“, sagt Stephani.
Mit diesem Ziel vor Augen werde eine Versuchsperson in echten Experimenten 180 Mal gekitzelt, erklärt er. Bei meinem Selbstversuch sind es etwa 50 Durchgänge. Stephani gibt wieder Zahlen in den Computer ein, der Metallfinger unter meinen Füßen geht erneut ans Werk. Ich erschrecke mich inzwischen nicht mehr, wenn er meine Füße berührt. Lachen muss ich trotzdem regelmäßig. Die „Soziale Bindung“-Theorie zum Kitzeln kann ich nicht bestätigen: So richtig warm miteinander werden der Roboter und ich heute nicht. Das Gefühl, von einer Maschine gekitzelt zu werden, bleibt unangenehm.