Im Getöse um die Handelsabkommen, die Präsident Donald Trump gegen die EU und andere Länder durchgesetzt hat, droht eine Frage unterzugehen: Darf Trump die Zölle überhaupt verhängen? Gibt ihm die amerikanische Verfassung das Recht dazu, Zölle nach Gutdünken zu erlassen, um Handelspartner auf eine gewünschte Linie zu bringen? Das ist völlig unklar.
Wie die meisten Vorstöße des Präsidenten landete auch seine Zollpolitik vor Gericht. An diesem Donnerstag werden elf Bundesrichter am Berufungsgericht für den Federal Circuit mündliche Argumente zum Fall anhören. Die Anzahl der Richter ist ungewöhnlich, weil gewöhnliche Berufungsverfahren durch drei Richter abgehandelt werden. Alle Richter kommen nur dann zusammen, wenn ein Fall es in sich hat. Eine Entscheidung wird dann für Ende August erwartet.
Für die meisten Zölle, die Trump entweder einseitig dekretiert oder nach Verhandlungen mit wichtigeren Handelspartnern verkündet hat, bildet der International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) von 1977 die rechtliche Basis. Er gibt dem Präsidenten besondere Befugnisse, um auf ungewöhnliche und außergewöhnliche Bedrohungen zu reagieren. Die Regierung leitet daraus auch die Berechtigung des Präsidenten ab, Zölle in beliebiger Höhe, für eine beliebige Dauer und auf beliebige Produkte aus beliebigen Ländern zu verhängen.
„Dieser Fall ist wichtig“
Die Rechtsposition ist allerdings hoch umstritten. Vor dem United States Court of International Trade gewannen die klagenden Unternehmen und Bundesstaaten. Die Richter verneinten die Position, dass der Kongress mit dem International Emergency Economic Powers Act sein ureigenes Recht zur Verhängung und Eintreibung von Zöllen auf den Präsidenten delegiert habe. Sie setzten die Zölle außer Kraft. Einen Tag später setzte das Berufungsgericht für den Federal Circuit das Urteil aus und entscheidet nun in voller Besetzung über den Fall.
Die Bedeutung des Verfahrens liegt auf der Hand: Es kann nicht nur Trumps Zollpolitik in großen Teilen außer Kraft setzen, sondern im extremen Fall dazu führen, dass Unternehmen die abgeführten Zölle, mit denen sich der amerikanische Finanzminister Scott Bessent gerade brüstet, zurückfordern können.
„Welchen Maßstab man auch immer anlegt, dieser Fall ist wichtig“, sagt Ilya Somin. Der Professor für Verfassungsrecht an der George Mason University hat gemeinsam mit Kollegen kleine Unternehmen erfolgreich vor dem US Court of International Trade vertreten. Nach seiner Darstellung hat Trump den größten Handelskrieg seit der Großen Depression der Zwanzigerjahre entfesselt und dabei dem eigenen Land sowie Handelspartnern – inklusive der EU und Deutschland – enormen Schaden zugefügt: mit der „womöglich größten Machtanmaßung, die wir, die sich mit Verfassungsrecht beschäftigen, in ihrer Lebenszeit gesehen haben.“
Kein anderer Präsident hat Somin zufolge versucht, den International Emergency Economic Powers Act zur Verhängung von Zöllen zu nutzen. Einer der Gründe laut Somin: Im Gesetz fehlt das Wort „Zölle“ ebenso wie sinngleiche Umschreibungen. Überdies verlangt es das Vorliegen eines Notstands, durch den die Wirtschaft oder die nationale Sicherheit in außergewöhnlicher Weise bedroht wird. Die vom Weißen Haus zur Begründung der Zölle angeführten Handelsbilanzdefizite seien weder außergewöhnlich noch eine Bedrohung und kein Grund, den Notstand auszurufen, so Somin. Dass Trump sich um konkrete Begründungen für die Zölle weniger schert, lässt der Fall Brasiliens erahnen. Mit dem Land unterhalten die USA einen Handelsbilanzüberschuss.
Sollte Trump den Fall verlieren, verschwinden Zölle nicht. Er hätte andere rechtliche Instrumente, Zölle zu erlassen. Diese sind jedoch weniger handlich, da sie das Ergebnis langer Abstimmungsprozesse sind und nur für begrenzte Zeiträume und in begrenzter Höhe verhängt werden dürfen. Ziemlich sicher ist, dass die unterlegene Partei den Supreme Court anrufen wird, der dann entscheidet, ob er den Fall annimmt.
Die andere Frage ist, ob Trump sich an das Urteil halten würde. „Offensichtlich ist das ein Thema“, sagt Somin. Er wolle aber anmerken, dass es politisch nicht leicht wäre, der Entscheidung des höchsten Gerichts nicht zu folgen. Die Zölle seien höchst unpopulär mit 60 bis 70 Prozent der Amerikaner, die sich in Umfragen gegen sie aussprechen.