Gefahr aus der Luft: Das Drohnen-Dilemma der Bundeswehr

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Dass Drohnen über Militärstandorten kreisen, gehört für deutsche Sicherheitsbehörden inzwischen fast zum Alltag. Dabei kommen auch unbemannte Fluggeräte zum Einsatz, die offenbar nicht von Hobbypiloten gesteuert werden: Sie sind ungewöhnlich groß, schnell und schwer abzufangen. Zuletzt sei wieder ein Anstieg der Drohnensichtungen verzeichnet worden, heißt es von der Bundeswehr – das sei auch auf die erhöhte Wachsamkeit der Soldaten zurückzuführen.

Die Sicherheitsbehörden verdächtigen in vielen Fällen Russland der Spionage. Mantraartig pochen Politiker und Fachleute darauf, endlich die große Lücke in der Drohnenabwehr zu schließen. Und nach Angaben der Streitkräfte tut sich mittlerweile etwas.

Man habe auf die aktuelle Sicherheitslage reagiert, teilte ein Sprecher des Operativen Führungskommandos der Bundeswehr mit. In den vergangenen Monaten seien „vielfältige Maßnahmen“ zum Schutz von militärischen Liegenschaften eingeleitet worden. Der Bestand von Abwehrsystemen und Detektionssystemen, die Drohnen aufspüren können, sei „deutlich erhöht“ worden. Um welche es sich dabei handelt, will die Bundeswehr aus Gründen der militärischen Sicherheit nicht preisgeben.

Die Industrie jedenfalls wittert Morgenluft. „Die Bundeswehr hat die stra­tegische Bedeutung der Drohnenabwehr erkannt“, sagte Manuel Pinten. Er ist Betriebsleiter von Aaronia, einem deutschen Hersteller von Drohnenabwehr­systemen. Es seien nun endlich die finanziellen Mittel vorhanden, um zügig mo­derne Lösungen zu beschaffen, sagte er mit Blick auf die gelockerte Schuldenbremse. Es gebe positive Signale, dass der Beschaffungsprozess an Fahrt aufnimmt, „und es ist im Interesse aller, diese Entwicklung weiter zu beschleunigen“. Dennoch brauchten der Entscheidungs- und Vergabeprozess „noch immer zu viel Zeit“, kritisierte Pinten, dessen Unternehmen von einer schnelleren Beschaffung freilich selbst profitieren würde.

Erste Erfolge infolge der Nachrüstung

Konkret wird die Bundeswehr bei diesem sensiblen Thema üblicherweise nicht – der Russe könnte ja mitlesen. Aber sie nennt erste Erfolge infolge der Nachrüstung: Demnach konnten in mehreren Fällen Verdächtige ermittelt werden, die mit unbemannten Fluggeräten über Truppenstandorte eindringen wollten. Etwa im April in Wilhelmshaven. Über dem dortigen Marinestützpunkt wurde laut dem Operativen Führungskommando der Bundeswehr eine unbekannte Drohne gesichtet. Sie flog den Angaben zufolge über eine besonders sensible Dienststelle der Truppe: dem Marinearsenal, das die Einsatzbereitschaft der Seestreitkräfte sicherstellen soll und unter anderem für die Instandhaltung von Waffensystemen zuständig ist.

Auch wenn die Polizei russische Spionage mittlerweile ausschließt, verbucht die Bundeswehr ihr Vorgehen als gelungenes Beispiel der Drohnen­abwehr. Das Fluggerät sei mittels eines elektronischen Aufklärungssystems erkannt und die aktuelle Position des Drohnenpiloten ermittelt worden, erklärte der Bundeswehrsprecher. Die Polizei habe den Verdächtigen daraufhin ausfindig machen können.

Das ist allerdings eines von wenigen öffentlich bekannten Positivbeispielen. Häufig gelingt es der Truppe nicht, verdächtige Drohnen abzuwehren und Piloten festzusetzen. Das zeigen zahlreiche Vorfälle in diesem Jahr: seien es Überflüge über einem Luftwaffenstützpunkt in Schleswig-Holstein, über einer wichtigen Funksendestelle der Marine in Niedersachsen oder über Militärflugplätzen in Bayern. Die Herausforderungen seien groß, heißt es aus Kreisen der Bundeswehrführung. Deutschland stehe mit dem Problem nicht allein da. Zum einen sei das Risiko von Kollateralschäden hoch, wenn man eine Drohne einfach abschieße. Gleichzeitig sei es schwierig, einen Piloten ausfindig zu machen, wenn das Fluggerät mehrere Kilometer weit fliegt.

Wie können Drohnen abgewehrt werden?

Allerdings gibt es durchaus technische Mittel, um der Gefahr aus der Luft zu begegnen, ohne Drohnen direkt abschießen zu müssen. Detektionssysteme, mit denen nun auch die Truppe offenbar massiv aufrüstet, sollen verdächtige Fluggeräte und Piloten aufspüren. Sie basieren unter anderem auf einer Frequenzüberwachung: Dadurch sollen die Funkwellen, die von der Drohne und der Steuereinheit des Piloten abgegeben werden, identifiziert werden. Über sogenannte Jammer können Drohnen zum Boden gebracht werden. Dabei wird versucht, die Funkverbindung zwischen Drohne und Pilot über elektronische Störsignale zu unterbrechen.

Auch die Bundeswehr verfügt über solche Systeme. Allerdings waren sie in der Vergangenheit offenbar teils wirkungslos gegen moderne Drohnen. Mehrere Abwehrversuche über dem Truppenstandort Schwesing im Januar, auf dem wohl ukrainische Soldaten an Patriot-Systemen ausgebildet wurden, schlugen laut der „Süddeutschen Zeitung“ fehl. Demnach konnte etwa der schultergestützte Störsender HP-47 „aufgrund mangelnder Reichweite nicht zum Einsatz gebracht werden“, zitierte die Zeitung aus einem Schreiben an das Verteidigungsministerium. Auch andere Systeme seien in der Erfassung und Störung wirkungslos geblieben.

Der Inspekteur des Heeres, Alfons Mais, sprach im Gespräch mit der F.A.Z. kürzlich von einem „Katz-und-Maus-Spiel“ beim Technologiewettlauf zwischen Drohnen und Drohnenabwehr. „Ich habe noch kein rein elektronisches Abwehrsystem gesehen, bei dem die Wirksamkeit länger als sechs Wochen gedauert hat“, sagte der Chef der Landstreitkräfte. Dann gebe es bei Drohnen durch eine neue Software bereits die „nächste Qualitätsstufe“, und die Abwehrmöglichkeiten seien „wieder verpufft“.

Heereschef: Umfassende Verteidigung nur schwer möglich

Dazu komme der verstärkte Einsatz von Fluggeräten, die über Glasfaserverbindungen oder mit Künstlicher Intelligenz gesteuert werden. „Mit Jamming allein können wir diese Systeme wohl demnächst nicht mehr sicher bekämpfen, weil viele Drohnen keine Steuersignale von außen mehr brauchen, sondern komplett autark Ziele anfliegen können.“ Das führe dazu, dass „eine Entscheidung, die wir heute treffen, möglicherweise morgen schon wieder obsolet ist“. Eine langfristige und umfassende Absicherung gegen Drohnen sei momentan nur schwer zu erreichen.

Ein weiteres Problem ist die rechtliche Situation. Kritiker bemängeln, dass die Zuständigkeit zwischen Bundeswehr und Polizei nicht klar geregelt sei – im schlimmsten Fall schöben sich die Behörden diese hin und her. Grundsätzlich ist die Truppe nur für die Drohnenabwehr über Bundeswehrliegenschaften zuständig, außerhalb obliegt die Verfolgung der Polizei.

Bekommt die Bundeswehr mehr Beinfreiheit?

Das kann hinderlich sein, wie ein Vorfall im April zeigte, über den WDR und NDR berichteten: Demnach hat ein Wachsoldat in der Nähe eines Militärstandorts drei Männer beobachtet, die offenbar mehrere Drohnen aufsteigen ließen. Das Problem: Sie befanden sich außerhalb der Liegenschaft. Das verdächtige Trio soll geflüchtet sein, nachdem der wachhabende Soldat sie durch den Zaun angesprochen hatte – einer der Männer soll ihm noch auf Russisch etwas zugerufen haben. Die Polizei konnte die mutmaßlichen Drohnen­piloten nicht mehr ausfindig machen.

Die scheidende Ampelregierung wollte der Bundeswehr mehr Beinfreiheit geben. Ein bereits vom Kabinett beschlossener Gesetzentwurf sah vor, dass die Bundeswehr zur Unterstützung der Länder gegen Drohnen „Waffengewalt“ einsetzen darf – falls die Polizei technisch nicht dazu in der Lage ist und es sich um eine akute Bedrohung handelt. Bislang dürfen die Streitkräfte Fluggeräte laut Luftsicherheitsgesetz zur Verhinderung „eines besonders schweren Unglücksfalles“ nur abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben. Der Gesetzentwurf der Ampel schaffte es nicht mehr in den Bundestag. Ob die neue Bundesregierung an den Plänen festhält, ist fraglich – die Union hatte sie in der Opposition als unausgegoren kritisiert.

Der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thomas Erndl (CSU), sagte nun der F.A.Z.: Es sei unerlässlich, die Rechtsbefugnisse der Bundeswehr zur Drohnenabwehr zu stärken. Ein Schritt werde mit dem geplanten Gesetz „Militärische Sicherheit“ gemacht. Dadurch soll den Feldjägern erlaubt werden, Drohnenpiloten auch au­ßerhalb von Bundeswehrliegenschaften festzusetzen. Der Gesetzesentwurf soll noch im August dem Kabinett vorgelegt werden.

Erndl will der Truppe darüber hinaus zumindest Abschüsse über Militärstandorten ermöglichen. „Ich strebe eine Regelung an, die es der Bundeswehr erlaubt, auch Drohnen über ihren Liegenschaften abzuschießen.“ Das ist bislang nur unter Wahrung der Verhältnismäßigkeit erlaubt. Und auch nur, wenn die Bundesregierung vorher zugestimmt hat. Ein Prozess, der zu lange dauert, wie es von der Union heißt.