Ganz leger, als einer der wenigen Manager ohne Krawatte, hat Ola Källenius kürzlich mit Kanzler Friedrich Merz geplaudert. Anlass für den Termin im Kanzleramt war die Unternehmensinitiative „Made für Germany“. Der Mercedes -Chef lächelte nicht zuletzt deshalb so entspannt, weil sein Unternehmen auf Milliardenbeträge verweisen kann, die es im vergangenen Jahr in Deutschland investiert hat – und in den kommenden Jahren in seine heimischen Werke investieren will. „Mercedes übernimmt Verantwortung. Gemeinsam mit der Politik möchten wir konkrete Impulse setzen“, das ist die Botschaft des Unternehmens. Auf die hat Källenius bei seinem Besuch in Berlin selbstbewusst hingewiesen.
Der Alltag in Stuttgart hingegen sieht trüber aus. Dort muss der Mercedes-Vorstand die Milliarden erst einmal einsparen, die das Unternehmen in den nächsten Jahren ausgeben will. „Next Level Performance“ heißt das Effizienzprogramm, mit dem das Unternehmen die Kosten bis 2027 um jährlich fünf Milliarden Euro drücken will. Es geht um das Zurückfahren von Lohnbestandteilen und die Flexibilisierung der Werke. Kern ist aber auch ein umfassendes Abfindungsprogramm für indirekte, also nicht in der Produktion beschäftigte Mitarbeiter: Das Unternehmen will sich von Tausenden Beschäftigten trennen – was für miese Stimmung in der Zentrale in Untertürkheim sorgt.
„Ich gehe.“
„Wir wussten, dass in so einer schwierigen Situation, in der wir stecken, auch die Frage aufkommt, ob wir die Zahl der Arbeitsplätze halten können. Ein Stellhebel ist da immer das Personal“, sagt Ergun Lümali im Gespräch mit der F.A.Z. Warum er sich trotzdem auf das Abfindungsprogramm eingelassen hat, erläutert der Gesamtbetriebsratschef gleich in den nächsten Sätzen. Er hat für seine Kollegen und Kolleginnen immerhin etwas Berechenbarkeit herausgehandelt. „Und der Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen bis 2035 gibt uns große Sicherheit“, sagt er. „Da muss man dann auch hinnehmen, dass Gespräche geführt werden, die auf doppelter Freiwilligkeit beruhen.“
Doppelte Freiwilligkeit bedeutet, dass das Unternehmen Verträge mit Beschäftigten nur auflösen kann, wenn diese zustimmen. Nach Informationen der F.A.Z. aus Unternehmenskreisen haben rund 40.000 nicht in der Produktion beschäftigte Mitarbeiter im Frühjahr ein Angebot mit einer Abfindungsprämie erhalten. Das Programm läuft bis März 2026, bis Ende Juli gibt es eine sogenannte Turbo-Prämie für diejenigen, die bis Freitag ihren Auflösungsvertrag unterschreiben.
Wie viele Vertragsauflösungen bislang bei ihr angekommen sind, will Personalvorständin Britta Seeger nicht sagen. Wichtig ist ihr vor allem eines: „Die Sparanstrengungen sind nur eine von fünf Säulen des Programms Next Level Performance“, sagt die Managerin, die Anfang Mai im Vorstand die Verantwortung für das Personalressort übernommen hat.
Gesunkener Gewinn
Am Haupteingangstor der Mercedes-Zentrale in Untertürkheim spiegelt sich die Lage des Unternehmens. Die Mitarbeiter streben durch die Unterführung unter der Bundesstraße 14 hindurch zu ihren Autos. Über ihnen rauscht der Feierabendverkehr. Reden wollen die meisten über das Sparprogramm nicht, viele winken schon bei der ersten Frage ab. Angespannt sei die Situation, sagt einer. „Bei mir ist die Stimmung gut“, sagt ein anderer. „Ich gehe. Beim Rest, der bleibt, ist es aber gerade so, dass jeder auf sich selbst schauen muss.“
Von ihrem Büro im elften Stock der Hauptverwaltung blickt Britta Seeger auf die Bundesstraße 14, unter der die Mitarbeiter abends hindurchmüssen. „Natürlich sehe ich die Verunsicherung – aber ich sehe vor allem eine Riesenbereitschaft, unser Unternehmen nach vorn zu bringen“, sagt die 55 Jahre alte Managerin. „Sie sehen die Herausforderungen, die vor uns liegen.“ Sie könnten angesichts geopolitischer Spannungen, neuer Konkurrenten, der schwächelnden Konjunktur, unklarer Gesetzesvorgaben und der Unsicherheit im Hinblick auf die Elektromobilität kaum größer sein.
Die Mercedes-Mitarbeiter wissen, dass der Gewinn ihres Unternehmens in den ersten Monaten des Jahres drastisch gesunken ist und dass sich nicht einmal Vorstandschef Källenius zutraut, vorherzusagen, wie sich die Geschäfte entwickeln werden. Die nächsten Horror-Nachrichten könnten am Mittwoch kommen. Dann präsentiert Källenius mit seinen Vorstandskollegen die Geschäftszahlen für das erste Halbjahr 2025.
„Leistungsträger sind oft intrinsisch motiviert“
Alles Gründe, die die Mitarbeiter des baden-württembergischen Traditionsunternehmens ins Grübeln bringen, ob sie das Abfindungsangebot nicht annehmen sollten. Denn mit der Turbo-Prämie, die bis Ende der Woche gilt, kommen Beschäftigte auf Abfindungen zwischen 200.000 und 300.000 Euro. Bei Teamleitern mit vielen Berufsjahren kann sich das auch bis zu einer halben Million Euro aufsummieren – auch wenn das Ausnahmefälle sind, wie Betriebsratschef Lümali sagt.
Spricht man mit Beschäftigten und Managern, die zurückbleiben werden, die sich also gegen die Abfindung entschieden haben, weil sie nicht gehen wollen oder können, ist die Ernüchterung allgegenwärtig. „Die, die bleiben, fühlen sich als die Zurückgelassene, als die zweite Garde“, heißt es. „Man nimmt Geld in die Hand, und das Können der Teams verschlechtert sich, weil immer nur die Besten gehen“, sagt ein anderer. „Das Vertrauen in die Strategie des Unternehmens ist verloren gegangen. Luxus funktioniert nicht, Elektro funktioniert.“ Viele seien verunsichert und frustriert.
Eine Einschätzung, die Arbeitnehmervertreter Lümali und Personalvorständin Seeger nicht teilen. „Ich habe nicht den Eindruck, dass unsere Mannschaft frustriert ist“, sagt der Gesamtbetriebsratschef und nimmt einen Schluck aus seiner roten IG-Metall-Tasse. Beim Blick aus seinem Fenster im Werk 5 in Sindelfingen sieht er einen mit fabrikneuen Autos beladenen Zug. Weiße Folien spannen sich über die Modelle der E-Klasse. „Die Mitarbeiter stellen berechtigterweise kritische Fragen an den Vorstand, und sie sind sich bewusst, dass unser Unternehmen vor Veränderungen steht, die sie auch persönlich betreffen.“
Auch die Gefahr, dass vor allem Topkräfte das Unternehmen verlassen, sieht Personalvorständin und Arbeitsdirektorin Seeger nicht. „Leistungsträger sind oft intrinsisch motiviert, und Veränderung bedeutet für sie vor allem: neue Chancen“, sagt sie. „Unserer Erfahrung nach ist es nicht zutreffend, dass ein Abfindungsprogramm zwangsläufig zu einem Braindrain führt.“ Zu einem Verlust der Besten also. Schlüsselbereiche, kritisches Know-how und strategisch wichtige Rollen behalte das Unternehmen im Blick. „Wir sprechen alle an, wir wollen aber Top-Performer und Know-how-Träger nicht verlieren.“
Alle 40.000 Mitarbeiter, die per Mail ein Abfindungsangebot erhalten haben, hat Mercedes zum Gespräch geladen – nicht mit direkten Vorgesetzten, sondern einer höheren Führungskraft. Was einige als sachliches Informationsgespräch erlebt haben, war für andere ein bedrückender Termin. Er könne sich schon vorstellen, dass einige die Termine als unangenehm empfunden haben, sagt Betriebsrat Lümali. Es dürfe aber niemand unter Druck gesetzt werden: „Es gibt die Sicherheit, dass es eingehalten wird, wenn ein Mitarbeiter sagt, es ist genug, ich will keine weiteren Gespräche“, sagt er. „Wenn ich von einem Fall höre, bei dem einer rausgedrängt wird, dann würde ich schon Ärger machen.“
„Wir versuchen alles dafür zu tun, dass Mitarbeiter die Gespräche nicht als Druck empfinden“, sagt auch Personalvorständin Seeger. „Unsicherheit begegnen wir mit offener Kommunikation und ernsthaftem Zuhören. Wir müssen aber immer auch sehr klar aufzeigen, wohin es gehen soll.“ Wenn Seeger beschreiben soll, wohin es ihrer Ansicht nach gehen, wie das Unternehmen umgekrempelt werden soll, dann führt sie wieder die „Winning Attitude“ an. Das sei nicht nur ein Kulturprogramm, sondern auch die Basis für eine schnellere und schlankere Organisation.
Mitarbeiterversammlung in der Abendsonne
Wie sich Mercedes konkret verändern soll, hat eine Führungskraft vor wenigen Tagen auf einer Mitarbeiterversammlung unter freiem Himmel vor dem Mercedes-Museum in Stuttgart erläutert. Beschäftigte in weißen Poloshirts mit dem berühmten Stern auf der Brust saßen bei dieser Gelegenheit in einem Amphitheater und hörten ihren Teamleitern zu. „Es geht um Verantwortung. Und es ist ganz einfach: Wenn ein Dachfenster offen ist, dann suche ich mir eben keinen Chef mehr, der mir erlaubt, das Dachfenster zuzumachen“, sagt der Abteilungsleiter über die Lautsprecher an der Bühne. Und: „Wir dürfen Dinge nicht immer in den Todeszirkel der hierarchischen Abstimmung schicken.“
Wenn Ola Källenius über die Ziele von „Next Level Performance“ spricht, geht es nicht um Dachfenster oder Todeszirkel – dann zitiert der Mercedes-Chef vielmehr einen Investor, der ihm in einem Brief geschrieben habe, dass das Unternehmen „schneller, schlanker und strahlender“ werden müsse. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Mitarbeiter diesen Weg mitgehen. „Sie werden den ganzen Prozess am Ende daran messen, ob sich spürbar etwas zum Besseren verändert“, sagt Seeger. „Wenn wir die Einsparungen an eine effizientere Organisation koppeln, dann empfinden das alle als Mehrwert.“ Es ist eine Hoffnung, die wie ein Appell an die Belegschaft klingt.
Auch bei der Mitarbeiterversammlung in der Abendsonne appelliert der Abteilungsleiter an seine Kollegen. „Die Rahmenbedingen sind härter geworden. Daran müssen wir uns gewöhnen“, ruft der Teamleiter in das weite Rund des Theaters. „Wir müssen einfach den Willen haben, dass wieder was rauskommt aus der Werkstatt.“ Noch ist unklar, wer von den Mitarbeitern dabei helfen wird, dass die Werkstatt Mercedes wieder läuft. Oder wer sie doch lieber verlässt und stattdessen eine stattliche Abfindung annimmt. Davon hängt auch ab, ob die ehrgeizigen Milliarden-Sparpläne realistisch sind. Denn dafür müssten sich schon sehr viele Beschäftigte dafür entscheiden, in den nächsten Monaten ein letztes Mal durch das Haupttor unter der Bundesstraße 14 hindurch zu ihrem Auto zu laufen.