Fehldiagnosen sind häufig – und gefährlich

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Risiko für Fehldiagnosen

Nebenniereninsuffizienz bleibt oft lange unerkannt


Aktualisiert am 29.07.2025 – 13:10 UhrLesedauer: 5 Min.

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Blutdruckmessung: Die oft unklaren Symptome einer Nebenniereninsuffizienz wie niedriger Blutdruck, Leistungsknick und Müdigkeit erschweren die Diagnose. (Quelle: Sean Anthony Eddy)

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Viele Menschen mit Nebenniereninsuffizienz erhalten jahrelang die falsche Behandlung. Lesen Sie, warum das gefährlich ist und welche Therapie nötig wäre.

Die kleinen, über den Nieren liegenden Nebennieren sind in Mark und Rinde unterteilt. Beide Bereiche bilden Hormone, die viele lebenswichtige Körperfunktionen beeinflussen. Erkranken die Nebennieren, kann ihre Hormonproduktion empfindlich gestört sein. Ein Beispiel hierfür ist die Unterfunktion der Nebennierenrinde, auch Nebennierenrindeninsuffizienz oder Nebenniereninsuffizienz genannt.

Die in der Nebennierenrinde gebildeten Hormone – sogenannte Kortikosteroide oder Kortikoide – zählen zu den Steroidhormonen. Diese umfassen drei Gruppen: die den Wasser- und Elektrolythaushalt und somit den Blutdruck steuernden Mineralokortikoide (wie Aldosteron), die zu den Stresshormonen zählenden Glukokortikoide (wie Kortisol) sowie männliche und weibliche Geschlechtshormone. Gesteuert wird die Herstellung der Kortikoide vom Gehirn aus.

Eine Nebenniereninsuffizienz kann eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome verursachen. Grund ist die Bandbreite der Nebennierenrindenhormone und deren Wirkungen: So greift etwa das lebenswichtige Stresshormon Kortisol in den gesamten Stoffwechsel des Körpers ein und beeinflusst damit unter anderem den Blutzuckerspiegel, den Eiweiß- und Fettstoffwechsel sowie das Immunsystem.

Meist verläuft eine Nebenniereninsuffizienz chronisch. Die Funktion der Nebennierenrinde nimmt dann langsam über Monate bis Jahre ab, wobei sich – oft erst spät – eher allgemeine und unklare Symptome wie niedriger Blutdruck, Müdigkeit, Schwäche, Schwindel, Bauchschmerzen, Übelkeit und Erbrechen entwickeln. Daher bleibt die Erkrankung häufig lange unerkannt. Für die Betroffenen ist dies ein lebensbedrohliches Risiko.

Denn unter bestimmten Umständen kann sich eine Nebenniereninsuffizienz binnen weniger Tage akut verschlimmern. Mögliche Anzeichen einer solchen Nebennierenkrise (auch Addison-Krise genannt) sind ein massiv eingeschränktes Allgemeinbefinden mit Magen-Darm-Beschwerden, Herzrasen, Fieber, starkem Blutdruckabfall bis hin zum Schock durch vermehrten Flüssigkeitsverlust und/oder Bewusstseinsstörungen bis hin zum Koma.

Genau genommen ist eine Nebennierenkrise nur dann eine Addison-Krise, wenn die zugrunde liegende Nebenniereninsuffizienz primär – das heißt: durch eine geschädigte Nebennierenrinde – entstanden ist. Die primäre Form der Erkrankung heißt nämlich auch Morbus Addison. Meist werden aber alle Nebennierenkrisen als Addison-Krisen bezeichnet – selbst wenn die Ursachen für das Versagen der Nebennierenrinde woanders liegen.

Jede Nebennierenkrise ist ein Notfall, der sofortige intensivmedizinische Hilfe erfordert, da sich der Zustand der Betroffenen rasch verschlechtern kann. Ohne (die richtige) Behandlung ist ein tödlicher Verlauf praktisch unausweichlich. Doch die Diagnose – und somit eine wirksame Therapie – verzögert sich mitunter erheblich. Das hat mehrere Gründe.

So können die Symptome einer Nebennierenkrise – wie die der chronischen Nebenniereninsuffizienz – ebenso gut auf andere Gesundheitsprobleme hinweisen. Zudem sind Nebennierenkrisen bezogen auf die Gesamtbevölkerung dermaßen selten, dass viele Ärztinnen und Ärzte das Krankheitsbild nicht kennen.

Diese Umstände sind mitverantwortlich dafür, dass selbst Menschen mit bereits diagnostizierter und fachärztlich behandelter Nebenniereninsuffizienz insgesamt eine verminderte Lebenserwartung haben. Denn auch sie können jederzeit eine Nebennierenkrise entwickeln, in der sachgerechte Hilfe bisweilen zu spät kommt.

Dennoch können Menschen mit einer Nebenniereninsuffizienz ein normales und aktives Leben führen, wenn sie die richtige Behandlung erhalten. Wie gut dies gelingt und ob Komplikationen auftreten, hängt auch von ihrem eigenen Mitwirken (und gegebenenfalls dem ihrer Angehörigen) ab. Denn:

  1. Eine Nebenniereninsuffizienz erfordert eine lebenslange Behandlung, um die fehlenden Hormone zu ersetzen.
  2. Trotz dieser Dauerbehandlung können in bestimmten Situationen Nebennierenkrisen auftreten.
  3. Betroffene (und ihre Angehörigen) sollten daher idealerweise auf solche Situationen vorbereitet sein und wissen, was dann zu tun ist.

Nebenniereninsuffizienz fachärztlich behandeln lassen

Damit die Stoffwechselvorgänge im Körper trotz Nebenniereninsuffizienz möglichst ungestört ablaufen, ist in jedem Fall die dauerhafte Einnahme von Glukokortikoiden notwendig. Der gängigste Wirkstoff dieser Hormonersatztherapie ist Hydrokortison. Bei der primären Form der Erkrankung (Morbus Addison) erhalten die Betroffenen zusätzlich Mineralokortikoide – und Frauen nach individueller Abwägung eventuell auch das Geschlechtshormon Dehydroepiandrosteron (DHEA).

Weil eine falsche Dosierung der Hormone schwerwiegende Folgen haben kann, sollte die langfristige Behandlung immer durch spezialisierte Fachleute erfolgen. Darum ist bereits beim ersten Verdacht auf eine Nebenniereninsuffizienz eine Überweisung an eine Praxis oder Klinik für Endokrinologie ratsam, wo das medizinische Personal erfahren im Umgang mit der Erkrankung ist.

Dort sollte nach Festlegung der Hormonersatztherapie auch die weitere Betreuung stattfinden, um eine sichere und wirksame Therapie zu gewährleisten und die Dosis bei Bedarf anzupassen. Dazu sind regelmäßige Kontrolluntersuchungen empfehlenswert – idealerweise in folgenden Abständen:

  • anfangs engmaschig alle 2 bis 4 Wochen,
  • dann alle 3 Monate und
  • später alle 4 bis 6 Monate.

Die Endokrinologie ist die Lehre von den Hormone absondernden Drüsen und den Hormonen sowie deren Regelungs- und Wirkungsmechanismen. Sie befasst sich hauptsächlich mit der Diagnose und Behandlung von Krankheiten und Störungen, die durch ein Hormonungleichgewicht oder eine Hormonresistenz entstehen – wie etwa die Über- und Unterfunktion der Schilddrüse sowie Diabetes.

Frühzeitiges Handeln kann drohende Nebennierenkrise abwenden

Doch egal, wie gewissenhaft Betroffene die ihnen verschriebenen Medikamente einnehmen: In manchen Situationen reicht die Dauertherapie der Nebenniereninsuffizienz nicht aus, um den aktuellen Hormonbedarf des Körpers zu decken. Dann droht eine akute Unterversorgung mit dem Stresshormon Kortisol, die ohne rasche Gegenmaßnahmen zu einer Nebennierenkrise führen kann.