Historiker Melber erklärt Motive der USA

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Zwei Waffen von gewaltiger Zerstörungskraft verwüsteten vor 80 Jahren Hiroshima und Nagasaki in Japan. Seitdem ist der nukleare Schrecken in der Welt. Historiker Takuma Melber erklärt, warum die USA zur Atomwaffe griffen.

Es waren die ersten – und bislang einzigen – jemals in einem Krieg eingesetzten Atombomben: Am 6. und am 9. August 1945 griffen die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki mit Nuklearwaffen an.

Warum entschlossen sich die USA zum Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen? Weshalb war die atomare Verwüstung Hiroshimas und Nagasakis wohl unnötig, um den Zweiten Weltkrieg im Pazifik zu beenden? Und wem wollten die USA zusätzlich ihre Macht demonstrieren? Diese Fragen beantwortet der Historiker Takuma Melber im Gespräch.

t-online: Herr Melber, zu welchem Zeitpunkt hat Japan den Krieg im Pazifik im Prinzip verloren?

Takuma Melber: Japan hatte sich seit dem Überfall auf den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor vom 7. Dezember 1941 riesige Territorien einverleibt und befand sich im Pazifik auf dem Vormarsch. Eine erste entscheidende Wende ereignete sich dann im Juni 1942 mit der Schlacht um Midway: Japan erlitt eine desaströse Niederlage, es büßte vier seiner sechs großen Flugzeugträger ein. Dazu kam der Verlust zahlreicher erfahrener Kampfpiloten, das war wirklich eine Katastrophe.

Dem ersten entscheidenden Wendepunkt folgte ein zweiter?

Am 7. August 1942 landeten die Amerikaner auf Guadalcanal, einer japanisch besetzten Salomoneninsel nordöstlich von Australien. Es war das erste direkte Aufeinandertreffen japanischer und amerikanischer Bodentruppen, diese Schlacht war mörderisch. Zugleich zeigte sich dort auch der Charakter des Krieges im Pazifik, er wurde auf beiden Seiten ideologisch und rassistisch geführt, ja, auch von den Amerikanern. Es gibt glaubwürdige Berichte, dass GIs etwa japanische Soldaten, die sich ergeben wollten, kurzerhand erschossen. Für die japanische Propaganda war es insgesamt Wasser auf die Mühlen, sie schürte die Ängste der Bevölkerung und der Soldaten: Sie sollten bis zur letzten Patrone kämpfen.

(Quelle: privat)

Takuma Melber, Jahrgang 1983, ist promovierter Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Heidelberg Centre for Transcultural Studies (HCTS) der Universität Heidelberg. Der deutsch-japanische Forscher ist Experte für die Geschichte der Weltkriege im asiatisch-pazifischen Raum. 2016 veröffentlichte er sein Buch “Pearl Harbor. Japans Angriff und der Kriegseintritt der USA“, ein Jahr später folgte “Zwischen Kollaboration und Widerstand. Die japanische Besatzung in Malaya und Singapur (1942-1945)“. Sein Sammelband “Kriegsende 1945. Transnationale Analysen einer globalhistorischen Zäsur” (mit Frank Engehausen) erscheint demnächst.

Diese Erfahrung machten die vorrückenden Amerikaner immer wieder, die Eroberung von Inseln wie Peleliu, Iwojima oder Okinawa waren für sie extrem verlustreich, hinzu kamen die gefürchteten Kamikaze-Angriffe. War dies ein Grund für den Entschluss, Japan im August 1945 mit Atombomben anzugreifen?

Das war ein Grund, richtig. Das US-Militär stellte – basierend auf den Erfahrungen im bisherigen Krieg gegen Japan – Berechnungen darüber an, wie aufwendig und verlustreich eine Invasion der japanischen Hauptinseln wäre. Die Zahlen waren zutiefst erschreckend. Mit dem Einsatz der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki wollten die USA folglich ihre absolute Macht und Überlegenheit demonstrieren.

Dies aber nicht nur allein gegenüber dem Kriegsgegner Japan, sondern auch dem Sowjetdiktator Josef Stalin?

In der amerikanischen Politik und Diplomatie schwante zu diesem Zeitpunkt einigen Akteuren bereits, dass die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion nach dem gemeinsamen Sieg über Deutschland zukünftig schwieriger und die Zahl der Konflikte zunehmen würde. Der Abwurf der Atombomben war ein deutlicher Warnschuss an Moskau: Legt euch bloß nicht mit uns an! Darin besteht auch ein Grund, warum gleich zwei Atombomben gegen Japan zum Einsatz kamen. Die USA demonstrierten damit, dass sie nicht nur mehrere Atombomben bauen konnten, sondern sogar technisch unterschiedliche.

Die Atombombe “Little Boy”, die Hiroshima am 6. August 1945 traf, hatte eine Ladung aus Uran, die drei Tage später über Nagasaki abgeworfene “Fat Man” basierte auf Plutonium?

So ist es. In der Öffentlichkeit wird immer eine direkte Verbindung vom sogenannten Trinity-Test am 16. Juli 1945 in New Mexico – der ersten Kernwaffenexplosion überhaupt – zu Hiroshima gezogen. Aber das ist eigentlich falsch. Der Trinity-Test war vielmehr ein Vorspiel für Nagasaki. Die Atombombe auf Hiroshima war, wenn man so möchte, ein riesengroßer Test für die Funktionsweise einer auf Uran basierenden Kernwaffe.

Das klingt ausgesprochen makaber.

Das war es auch. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass es damals in den USA bereits kritische Stimmen in der Regierung, bei den Streitkräften und auch unter den an der Entwicklung der Atombombe im Rahmen des “Manhattan-Projekts” beteiligten Forschern gab: Dürfen wir das der Menschheit antun? Richtig laut wurden diese Stimmen erst nach den Atombombenabwürfen, aber immerhin gab es überhaupt Kritik. Zu der Entscheidung zum Einsatz von “Little Boy” und “Fat Man” trugen zudem die immensen Kosten für die Entwicklung der Atombombe in Höhe von rund zwei Milliarden Dollar und die um sich greifende Kriegsmüdigkeit in den USA bei – erst recht, nachdem mehr und mehr GIs aus Europa zurückgekehrt waren.