Wie Lobbyisten für das Glücksspiel werben

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Es ist längst nicht mehr nur die Lottofee, die am Samstagabend kurz vor der Tagesschau die Gewinnzahlen „6 aus 49“ verkündet. Das Glücksspiel ist inzwischen allgegenwärtig. Man schaltet den Fernseher ein, Werbespot von „Tipico“. Früher gab es auf der Hauptstraße im Heimatort den Metzger und ein Eisenwarengeschäft, jetzt: zwei Spielhallen. Und erst neulich, beim traditionellen Spargelessen eines CDU-Landesverbands, zählte der Dachverband „Die Deutsche Automatenwirtschaft“ wieder zu den Sponsoren. Für jeden Gast lag ein Täfelchen allerfeinster, von Hand geschöpfter Schokolade des Lobbyverbands auf dem Tisch. Aufschrift: „Vielen Dank“.

Das Glücksspiel ist ein Milliardenbusiness. Die deutsche Bevölkerung verspielt jährlich zwischen 13 und 15 Milliarden Euro, auf legale Weise. Einer, der darüber viel erzählen kann, ist Andy Meindl, Präsident des Bayerischen Automaten-Verbands. Der Mann, dessen Familie seit Hunderten Jahren am Tegernsee lebt, wollte erst Pilot werden, dann Medizin studieren. Aber statt in der Schule zu strebern, um den Numerus clausus zu schaffen, ging er lieber segeln und Ski fahren.

Die Wartezeit auf den Studienplatz vertrieb er sich in der staatlichen Spielbank Bad Wiessee – nicht als Spieler, sondern als Croupier. Er blieb es 22 Jahre. So kam er zum Glücksspiel. Mitte der Achtzigerjahre, als die Politik der Branche gewogen war, stieg Meindl parallel ins anschwellende Spielhallengeschäft ein. Neun Stück betreibt er heute. Der Name seines Unternehmens mit gut 60 Mitarbeitern: „Stardust Spielhallen GmbH“.

Meindl nennt es „klassische Lobbyarbeit“

Seit Jahrzehnten ist Meindl außerdem auf Verbandsebene aktiv. „Ich mach gar keinen Hehl draus: Das ist klassische Lobbyarbeit.“ Jede Branche müsse „ihr Angebot in irgendeiner Form an die Politik bringen“, zumal eine, „die ja nicht nur geliebt ist, um es vorsichtig auszudrücken“. Meindl sagt: „Am Anfang unserer Zeit hat man sich noch überlegt, ob man das so richtig offen anspricht.“ Seine Frau, die bei ihm fürs Personal zuständig ist, sei vor Jahrzehnten beim Gastgewerbeverband Dehoga auf einem Damenausflug gewesen: „Da waren’s alle ganz nett, und wie sie gesagt hat, was sie macht, hat keiner mehr mit ihr geredet.“

Im Lauf der Jahrzehnte habe sich allerdings gezeigt, „dass mit den Herrschaften, die sich die Zeit genommen haben, sich unsere Pro­bleme erklären zu lassen, ein fairer Umgang entstanden ist“. Meindl, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Schauspieler Christian Tramitz hat, findet das nur folgerichtig. „Wir machen nix anderes, als dass wir a Unterhaltung anbieten, die seit Jahrtausenden existiert.“

Im Gespräch in einem Aschheimer Gewerbegebiet, wo der Automaten-Verband seinen Sitz hat, wird Meindl beim Reden über die Grundlagen seiner Branche philosophisch: „Die Freude des Menschen am Spielen – ich hab jetzt nicht gewusst, dass wir so tief einsteigen –, da gibt es ja wirklich Untersuchungen: Selbst aus der Eiszeit oder was haben die ja schon Plätze gefunden, wo die sich mit Knöchelchen die langen Abende vertrieben haben. Das ist ja dieser berühmte Homo ludens, der spielende Mensch.“

Eine Spielhalle am südlichen Stadtrand von Friedberg
Eine Spielhalle am südlichen Stadtrand von FriedbergFrank Röth

Mindestens ein Gewerbe gibt es, von dem es heißt, es sei noch älter, „das älteste der Welt“. Den Vergleich mit der Prostitution hört Meindl nicht gern. Aber er weicht ihm auch nicht aus. Hier wie da handele es sich um Phänomene, die sich so oder so ihren Weg bahnten. Da sei es doch viel besser, man regele es auf eine Weise, „wo man sagt, so akzeptiert man das als Gesellschaft“. Auch Vergleichen mit dem Alkohol glaubt Meindl standzuhalten, mindestens: „Wenn einer, der spielt, aufhören kann, dann hat er seinem Körper keinen langfristigen Schaden zugefügt. Einer, der trinkt, schon.“

Anita Diesener vertritt da eine entschieden andere Auffassung. Sie arbeitet aber auch nicht für die „Stardust Spielhallen GmbH“, sondern bei der Stadtmission in Nürnberg und kümmert sich dort um glücksspielsüchtige Männer und Frauen, die meistens schon sehr hohe Schulden angehäuft haben, wenn sie zu ihr kommen. „Oft haben sie schon ihren Partner oder gleich ihre ganze Familie verloren, den Job, die Wohnung“, erzählt Diesener. „Viele haben Suizidgedanken. Das sind existenzielle Krisen, ein unheimliches Leid.“ Denn bei der Spielsucht geht es nicht nur um den Verlust von Geld, sondern auch um den Verlust von Vertrauen: Sobald das eigene Geld aufgebraucht ist, beginnt häufig das Lügen, das Stehlen, das Unterschlagen, auf der Arbeit oder auch in der eigenen Familie.

Die Suchtberaterin ist für ein Werbeverbot

Spielsucht betrifft mehr Männer als Frauen. „Junge Männer, alte Männer, Gutverdiener, aber auch Arbeitslose und psychisch Kranke“, berichtet Diesener. „Auffällig viele davon sind leistungsorientiert. Das ist aber auch kein Wunder. Denn Geld ist das Suchtmittel. Wer eine Glücksspielsucht entwickelt, für den ist Geld ein großes Thema. Da hängt der Selbstwert dran.“

Der Suchtberaterin fällt aber auch auf, dass die Hilfesuchenden immer jünger werden, darunter Achtzehnjährige, die bereits Berge von Schulden angehäuft haben. Die Ursache: der Boom der Sportwetten. „Die glauben dem Versprechen, aus ihrem Fußballwissen Geld zu machen. Damit kann man sich so schnell unfassbar hoch verschulden.“

An der Werbung für solche Wetten kommt kein Fußballfan vorbei, sogar der DFB-Pokal wird neuerdings von „Tipico“ gesponsert. Berühmte Fußballstars wie Oliver Kahn, Sebastian Schweinsteiger oder Lukas Podolski gingen Verträge im Glücksspielbereich ein. „Diese Verbindung von Sportbegeisterung und Wettanbietern ist verheerend und verwerflich, das sehen wir jede Woche in der Behandlung“, beklagt Diesener. Es sei enorm herausfordernd, die Verquickung im Gehirn wieder zu lösen. „Aber gerade junge Leute werden zugeballert mit Werbung. Ich bin deshalb für ein komplettes Werbeverbot.“

Also wieder verbieten, verbieten, verbieten? Spielt der Homo ludens nicht so oder so, wie etwa Meindl glaubt? Zumindest Anita Diesener hält dieses Automatenwirtschaftsaxiom für Quatsch. „Es gibt keinen natürlichen Glücksspieltrieb des Menschen. Was es gibt, ist ein natürlicher Spieltrieb – das ist aber ganz etwas anderes.“

Die Frequenz ist entscheidend

Axel Holthaus steht glücksspielpolitisch irgendwo in der Mitte zwischen Meindl und Diesener. Auch er kommt ursprünglich aus dem Bereich der Spielbanken. „Eine hochinteressante Branche. Das hat schon was, wenn Leute in der Lage sind, hohe Bargeldbeträge auf den Tisch zu legen.“ Holthaus hat aber auch die Abgründe des Gewerbes gesehen und wechselte 2013 an die Spitze von Lotto Niedersachsen. „Bei uns kann man noch davon träumen, radikal sein Leben zu verändern.“

Das kann freilich so und so laufen. Man erinnere sich an „Lotto-Lothar“. Der 48 Jahre alte Sozialhilfebezieher Lothar Kuzydlowski aus Hannover gewann 1994 3,9 Millionen Mark und kaufte sich sofort einen roten Lamborghini. Er starb dann allerdings fünf Jahre später an Leberzirrhose. Das wenige Geld, das er übrig ließ, erbte eine Bardame.

Aber immerhin muss man beim Lotto ein paar Tage darauf warten, ob auch die richtigen Zahlen gezogen werden. Darin liegt ein wichtiger Unterschied zu den Spielhallen, wo, Stand jetzt, alle fünf Sekunden neues Geld eingesetzt werden kann. Erst vor einigen Tagen hat das inzwischen CDU-geführte Bundeswirtschaftsministerium eine Evaluierung vorgelegt. „Der Höchsteinsatz je Mindestspieldauer von fünf Sekunden soll moderat von 0,20 Euro auf 0,30 Euro steigen“, heißt es dort.

Ein Wettgeschäft in Hanau im Oktober 2023
Ein Wettgeschäft in Hanau im Oktober 2023Aaron Leithäuser

Wenn es nach der Automatenwirtschaft geht, würde auch die Frequenz verkürzt, von fünf auf 2,5 Sekunden, um die Dynamik der Spiele zu erhöhen und Symbole wie Diamanten oder Früchte noch schneller über den Bildschirm rattern zu lassen. Der Gedanke – oder der Spin – dahinter: Nur wenn man das legale Glücksspiel attraktiver mache, verhindere man, dass die Glücksspielgeneigten sich illegalen Angeboten zuwenden oder gleich zu Hause online zocken. Dort ließen sich technische Begrenzungen leicht umgehen, dort gebe es keinerlei soziale Kontrolle mehr.

„Würde man all den Forderungen der Glücksspielanbieter nachkommen, so hätte man irgendwann überhaupt keine Regulierung mehr“, erwidert Holthaus. Der Lotto-Manager berichtet, dass in der Glücksspielszene ein ständiger Kampf um die Regulierung herrsche. „Kaum eine Branche ist so klagefreudig, weil es um so viel Geld geht.“ Der Kampf wird mithilfe hoch spezialisierter Kanzleien vor Gerichten in ganz Europa ausgetragen. Auch die staatlichen Lotteriegesellschaften stehen unter Druck.

Anbieter aus Malta wie „Lottohelden“ oder „Lottoland“, die hierzulande illegal sind, versuchen, das staatliche Lotto-Monopol in Deutschland zu knacken. Dieses spült allein in Niedersachsen jährlich rund 380 Millionen Euro in die Kasse des Landes, das die Gelder wiederum an sogenannte Destinatäre wie den Landesmusikrat oder den Landessportbund weiterreicht.

Die Lobbyisten verstehen ihr Handwerk

Die Länder sind in Deutschland auch für die Regulierung des Glücksspiels zuständig, Gesetzesänderungen müssen durch die Landtage. Die Glücksspielbranche hat ihre Lobbyarbeit darauf ausgerichtet und sponsert zum Beispiel gerne Sommerfeste in den Berliner Vertretungen der Länder. Über Charity-Projekte wird außerdem versucht, den moralischen Kredit zu erhöhen. „Sie verstehen ihr Handwerk und sind politisch exzellent verdrahtet“, erzählt Holthaus.

Zuvorderst die FDP tut sich immer wieder mit Vorschlägen für eine laxere Regulierung hervor. Besonders wild ging es einst im damals schwarz-gelb regierten Schleswig-Holstein zu, das sich 2011 als einziges Land zunächst nicht am Glücksspielstaatsvertrag beteiligte, sondern sich mit einem eigenen Gesetz aufmachte, zum Eldorado für private Glücksspielanbieter zu werden. Eine herausgehobene Rolle spielte damals Wolfgang Kubicki.

Aber auch die CSU ist ganz gut dabei. Auf deren Parteitagen, so erzählt Meindl, sei sein Verband mit einem Stand schon viele Jahre präsent. Jedoch musste er irgendwann feststellen: „Uns besucht keiner.“ Anders am Nachbarstand, wo es Kaffee und Kuchen umsonst gab. Da gingen die Leute hin, Spitzenpolitiker wie einfache Parteitagsdelegierte. „Klingt blöd, aber der Mensch ist so“, sagt Meindl. Was die konnten, konnte er freilich auch, besser sogar. „Jetzt kriegen Sie bei uns Würstl: Wiener Würstl, Weißwürstl und a alkoholfreies Bier – alkoholfrei deswegen, weil ja unsere Branche keinen Alkohol ausschenken darf, um die Spieler zu schützen, dass die nicht leichtsinnig werden.“

Strengere Regeln in Bremen

Nachfrage: Geht die bayerische Automatenwirtschaft nur zur CSU? „Nein, wir haben auch kleine Stände gehabt bei der FDP“, sagt Meindl. Und bei der SPD, den Grünen? „Die lassen uns nicht kommen. Wir haben da schon nachgefragt, aber das ist abgelehnt worden.“ Aber wieso? „Da heißt es einfach zur Begründung, das passe von der Branche her nicht.“ Als Bayer könne er sich aber trotzdem vergleichsweise glücklich schätzen. „Ein Beispiel: Bei unserer Siebzigjahrfeier hat der Florian Herrmann für die bayerische Staatsregierung quasi die Festrede gehalten.“ Herrmann leitet die Staatskanzlei, als rechte Hand von Ministerpräsident Markus Söder.

Die politische Richtung im Freistaat sei „a bisserl einfacher, wie wenn ich in einem Land bin wie Bremen“, sagt Meindl. „Da kommen einfach die Ideologien zum Tragen. Wenn ich Rot-Rot-Grün hab, das ist kein fairer Umgang mit einer Branche. Mir san einfach a Gewerbe, das in unseren Gesetzen verankert ist. Aber dieses Land da oben vertreibt uns praktisch.“ Tatsächlich dürfen in Bremen Spielhallen überhaupt keine Getränke ausschenken und keine Speisen servieren, zudem muss ein besonders großer Mindestabstand von 500 Metern zwischen Glücksspielstätten eingehalten werden.

Meindl stammt nicht von irgendwo aus Bayern, auch nicht von irgendwo am Tegernsee, sondern aus Gmund. Also just aus der Gemeinde, in der die Familie von Kanzler Merz ein Häuschen hat. Meindl ist mit ihm per Du. „Der Friedrich is a netter Mensch. Sag ich eana so, wies is.“ Dazu muss man wissen, dass es für Meindl zwar nicht zum Verkehrspiloten gereicht hat, aber Hobbypilot ist er sehr wohl. Wie Merz. Daher kennt man sich.

Und hilft man sich auch, zumal ein früherer Büromitarbeiter von Merz, Georg Stecker, inzwischen der Vorstandssprecher der Deutschen Automatenwirtschaft ist? Meindl verneint, glasklar. Lange vor dem Bruch der Ampelregierung habe er eine Feier in Berlin gehabt und bei der Gelegenheit Merz gefragt: „Mensch, kleine Rede und so? Aber da hamma ganz klar ausgemacht: passt ned. Des is a richtig meines Erachtens, völlig klar.“ Wieso? „Ich weiß nicht, ob die Berührung mit unserer Branche so guad is.“

Debatte über den „Glücksspiel-Survey“

Der Kampf der Branche wird nicht nur auf persönlicher Ebene, sondern auch über Zahlen ausgetragen. Laut dem aktuellen „Glücksspiel-Survey“, auf dessen Zahlen sich auch der Drogenbeauftragte der Bundesregierung stützt, haben inzwischen rund 1,3 Millionen Menschen in Deutschland ein pathologisches oder problematisches Glücksspielverhalten. Das ist ein deutlicher Anstieg gegenüber den früheren Surveys, die nur etwa auf 400.000 Betroffene kamen. Deshalb gab es Streit über die neue Erhebungsmethode der Sozialforscher.

Kritik kam unter anderem vom Forsa-Geschäftsführer Manfred Güllner. Der legte im Auftrag des „Verbands der Deutschen Automatenindustrie“ eine Befragung vor, laut der das Suchtproblem viel kleiner ist. „So wurde versucht, den Glücksspiel-Survey zu diskreditieren“, erzählt Lotto-Geschäftsführer Holthaus, der an seinem Zustandekommen selbst entscheidend beteiligt war: Der Survey wird nämlich vom Deutschen Lotto- und Totoblock finanziert, in dem Holthaus die Arbeitsgemeinschaft Spielerschutz und Prävention leitet. Im europäischen Vergleich lägen die ermittelten Werte eher noch im mittleren Bereich, erläutert Holthaus. „1,3 Millionen ist jetzt die Zahl, die zählt.“

Glücksspiel ist allerdings nicht nur ein Problem oder, neutraler formuliert, eine Angelegenheit des Individuums, sondern auch der Gesellschaft. Stichwort Geldwäsche. Der Glücksspielsektor sei dafür sowohl online als auch offline „besonders anfällig“, heißt es in der „Ersten Nationalen Risikoanalyse“ zum Thema Geldwäsche von 2019. „Geldwäscheaktivitäten erfolgen jedoch nicht nur unter Nutzung legaler Spielangebote, sondern regelmäßig auch als Investition in den Sektor selbst“, heißt es in der Analyse des Bundesfinanzministeriums. Die Möglichkeit, Geld zu waschen, haben also nicht nur diejenigen, die Münzen in die Automaten werfen, sondern auch diejenigen, die diese Automaten aufstellen. In bestimmten Fällen könne sogar die „gesamte Geschäftstätigkeit des Glücksspielveranstalters lediglich simuliert“ sein, heißt es in der Untersuchung von 2019.

Der parteilose Bürgermeister Kjetil Dahlhaus und der Leiter des Amts für Stadtentwicklung, Tobias Brandt, im Juni in Friedberg
Der parteilose Bürgermeister Kjetil Dahlhaus und der Leiter des Amts für Stadtentwicklung, Tobias Brandt, im Juni in FriedbergFrank Röth

Ein weiterer Aspekt ist das Antlitz unserer Städte. Beispiel Friedberg, gut 30 Kilometer nördlich von Frankfurt. Am Rande der Innenstadt thront eine der größten Burganlagen Deutschlands. Friedberg ist eine Stadt mit historischem Erbe, das der parteilose Bürgermeister Kjetil Dahlhaus und der Leiter des Amts für Stadtentwicklung, Tobias Brandt, erhalten wollen.

Die Qualität der Innenstadt, erzählen die beiden bei einem Spaziergang über die zentrale, von Geschäften gesäumte Kaiserstraße, habe sich in den vergangenen Jahren verschlechtert: Wettbüros, Ein-Euro-Shops, immer mehr Friseure und Dönerläden. „Wir arbeiten vehement gegen diesen ‚Tradingdown‘-Effekt an“, sagt Brandt. Die Befürchtung: Wenn immer mehr Wettenanbieter, Spielotheken oder Billigläden eröffnen, verringert das die Auf­ent­halts­qualität in der Innenstadt und die At­trak­tivität, was anderen Geschäften wie­derum Probleme bereitet und potentiell zu Leerstand führt. Eine Abwärtsspirale.

Dahlhaus und Brandt laufen an einem der beiden Wettgeschäfte vorbei, die es auf der Kaiserstraße zwischen Bäckereien, Cafés, Kiosken und Optikern gibt. „Das angrenzende Restaurant wird durch diese Nachbarschaft benachteiligt, die Gäste werden durch die Kundschaft des Wettbüros vergrault“, sagt Dahlhaus. Vor dem Gebäude sitzen drei Männer und unterhalten sich. Kaffeebecher würden auf dem Boden stehen gelassen oder Zigarettenstummel achtlos fortgeworfen, sagt der Bürgermeister. „Genau das ist das Problem.“

Diese Spielhalle in Friedberg musste schließen.
Diese Spielhalle in Friedberg musste schließen.Frank Röth

Dem Niedergang des Stadtzentrums wollen Dahlhaus und Brandt etwas entgegensetzen. Einer Spielhalle etwa verweigerte die Stadt die Verlängerung der Betriebskonzession, es ging unter anderem um einen Geschäftsführerwechsel und Jugendschutz, der Fall landete vor dem Verwaltungsgericht. Ende vergangenen Jahres machte die Spielothek dicht. Ein Erfolg für Dahlhaus und Brandt.

In der Friedberger Innenstadt gibt es nun keine einzige Spielhalle mehr. Auch jenseits dieses Einzelfalls versucht die Stadt, das Zentrum möglichst glücksspielfrei zu halten. Sie hat einen neuen Bebauungsplan erarbeitet, der die Ansiedlung neuer Wettannahmestellen und Spielhallen in der Altstadt verhindern soll. Und mit den Hauseigentümern auf der Kaiserstraße will man auch enger zusammenarbeiten – um besser steuern zu können, wer einzieht in die Ladengeschäfte. Für bestehende Läden gilt jedoch Bestandsschutz, deshalb gibt es die beiden Wettgeschäfte auf der Kaiserstraße nach wie vor.

Die Innenstadt von Friedberg im Juni
Die Innenstadt von Friedberg im JuniFrank Röth

Für den Kampf gegen Glücksspiel nimmt die Stadt auch finanzielle Einbußen in Kauf. Denn hessische Kommunen können von Spielhallen eine zusätzliche Steuer erheben, die Spielapparatesteuer. In Friedberg liegt sie je Automat bei 20 Prozent der Bruttokasse. Der Stadt entgingen „nicht unerhebliche Summen“, sagt Bürgermeister Dahlhaus. Doch das wiege weniger schwer als der „Imageschaden“ durch solche Lokalitäten. „Das ist ein Schaden“, sagt der Bürgermeister, „der nicht bezifferbar ist.“

Die vier Spielhallen, die es in Friedberg noch gibt, liegen allesamt in Gewerbegebieten am Stadtrand. Auch dort seien sie ihm persönlich „ein Dorn im Auge“, sagt Amtsleiter Brandt, besonders mit Blick auf den Jugendschutz. Dennoch: Lieber große Spielhallen am Stadtrand, wo keine Kinder auf ihrem Weg zur Schule vorbeilaufen, als Automatenspielotheken im Herzen der Friedberger Altstadt.

Wie wird es weitergehen? Wird das Friedberger Beispiel Schule machen? Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung steht zum Thema Glücksspiel nur ein Satz: „Wir verbessern gemeinsam mit den Ländern die Bekämpfung von illegalem Glücksspiel.“ Das hört sich so an, als müsste sich das Glücksspiel warm anziehen. Doch Kenner wie Meindl wissen, dass man die Sache auch ganz anders sehen kann. Bekämpfen, sagt er, heiße ja nicht unbedingt, dass das illegale Glücksspiel „wegkommt“. Bekämpfen, das könne auch heißen, „dass das legale Glücksspiel interessanter gemacht wird“.