Die Erwartungen an das Energiewende-Monitoring der Bundesregierung sind hoch. Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) plant ein Gutachten, welches die Grundlage für eine Neuausrichtung der Transformation hin zu mehr „Bezahlbarkeit, Kosteneffizienz und Versorgungssicherheit“ bilden soll. Noch in dieser Woche sollen das beauftragte Energiewirtschaftliche Institut (EWI) an der Universität zu Köln sowie die Beratungsfirma BET Consulting einen ersten Entwurf an Reiches Haus übermitteln.
Im Mittelpunkt steht die erwartete Entwicklung des Strombedarfs bis zum Jahr 2045 in den unterschiedlichen Sektoren. Diese ist in den vergangenen Jahren aufgrund von Effizienzgewinnen, einem Rückgang der Industrieproduktion und einer langsameren Elektrifizierung überraschend gesunken und zentral für die Planung des Ausbaus von Netzen, erneuerbaren Energien und steuerbaren Kraftwerken.
Doch vor der Veröffentlichung des brisanten Gutachtens wächst nicht nur unter Klimaschützern die Sorge, die Wirtschaftsministerin könnte es nutzen, um den Erneuerbaren-Ausbau abzuwürgen. „Auch bei geringem Wachstum der Stromnachfrage bleiben große Anstrengungen beim Ausbau der erneuerbaren Energien in den nächsten Jahren notwendig“, heißt es etwa in einem noch unveröffentlichten, der F.A.Z. vorliegenden Gutachten der Denkfabrik Epico und des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research. Selbst reduzierte Ausbauziele würden weiterhin erhebliche jährliche Zubauraten erfordern. „Wer heute beim Erneuerbaren-Ausbau bremst, zahlt morgen dreifach – in Form höherer Strompreise, stagnierender Industrieinvestitionen und verfehlter Klimaziele“, lässt sich Epico-Chef Bernd Weber zitieren. Denn in dem Fall stünden niedrigere Systemkosten höheren Großhandelspreisen gegenüber. Reiche hatte vor wenigen Tagen im F.A.Z.-Gespräch gesagt, der Ausbaupfad der erneuerbaren Energien und der nur schleppend vorankommende Netzausbau müssten „synchronisiert“ werden.
Nur halb so viele Gaskraftwerke notwendig?
„Angesichts der Unsicherheit über die künftige Stromnachfrage brauchen wir pragmatische No-Regret-Entscheidungen für mehr Kosteneffizienz statt ideologischer Schnellschüsse“, kritisiert Weber. Er schlägt einen stärkeren Fokus auf die günstigeren PV-Freiflächen- statt Aufdach-Anlagen, zeitvariable Netzentgelte und verbesserte Steuerbarkeit von Solaranlagen zur Senkung der Kosten vor. Außerdem brauche Deutschland nicht die von Reiche geplanten 20 Gigawatt an neuen Gaskraftwerken, „sondern ein intelligentes Zusammenspiel von steuerbarer Leistung, Speichern und Flexibilität“. Schon mit der Hälfte der geplanten Gaskapazität lasse sich die in den kommenden Jahren auftretende Versorgungslücke „zuverlässig und kosteneffizient“ schließen.
Auch innerhalb der Koalition gibt es massive Kritik zum Monitoring-Prozess. Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, schrieb in einem Brief an Reiche, die Frage nach der „Neuausrichtung der Energiepolitik“ stelle „alle geltenden energiepolitischen Regelungen pauschal in Frage“ und schaffe damit „Planungs- und Investitionsunsicherheit“. Eine Neuausrichtung sei im Koalitionsvertrag allenfalls mit Blick auf das Heizungsgesetz vorgesehen. „Table.Media“ hatte zuerst darüber berichtet.
Die Organisation „Germanwatch“ kritisiert zudem mangelnde Transparenz der im Monitoring zugrunde liegenden Studien. „Der Monitoringbericht droht zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung für das Ausbremsen der Energiewende zu werden statt zur Grundlage für die Behebung ihrer Schwachstellen“, heißt es in einem am Mittwoch vorgestellten Papier.