Während die Bundesregierung am Mittwoch den Bundeshaushalt 2026 auf den Weg gebracht hat, ist die EU-Kommission noch dabei, das deutsche Budget des laufenden Jahres zu verdauen. Die Prüfung des erst Anfang Juli in Brüssel eingereichten Haushalts 2025 werde nicht vor September abgeschlossen sein, heißt es in der Brüsseler Behörde, also nach Ablauf von drei Vierteln des Haushaltsjahres.
Im Sinne der EU-Budgetregeln ist das nicht, besteht doch deren Zweck darin, dass die Kommission die Haushaltspläne eines Landes möglichst vorab prüft, um auf Fehlentwicklungen reagieren zu können und – idealerweise – das betreffende Land zu Korrekturen an seinen Plänen zu bringen. Das war in diesem Jahr nicht möglich, weil der von der neuen Bundesregierung aufgestellte Haushalt 2025 erst Ende Juni den Bundestag passierte. Angesichts einer Nettokreditaufnahme von rund 143 Milliarden Euro und vor dem Hintergrund der von der schwarz-roten Koalition beschlossenen Sondervermögen für Investitionen und Rüstung von insgesamt 900 Milliarden Euro in den kommenden Jahren passt das nicht zum Anspruch der Kommission, die Budgets der Mitgliedstaaten engmaschig zu überwachen. Das gilt auch, weil Deutschland in diesem und den beiden kommenden Jahren mit Defizitquoten von 3,3 (2025), 3,6 (2026) und 3,8 (2027) Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) plant. Diese liegen alle über dem Maastrichter Referenzwert von drei Prozent des BIP.
Brüssel rief Bund dazu auf, mehr Schulden zu machen
Von Belang ist die Verspätung dennoch nicht und zwar aus einem politischen und einem technischen Grund. Der politische zeichnete sich schon nach der Bundestagswahl im Februar ab, als Schwarz-Rot beschloss, die Schuldenbremse außer Kraft zu setzen. In Brüssel, wo man jahrelang an die Bundesregierung appelliert hatte, mehr zu investieren und es mit der Schuldenbremse nicht so genau zu nehmen, sorgte das für Erleichterung. Paschal Donohoe, der Chef der Eurogruppe, sagte der F.A.Z. schon im März, er und seine Amtskollegen sähen die Berliner Ankündigungen sehr positiv, weil Europa dringend in seine Infrastruktur und seine Sicherheit investieren müsse. EU-Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis bekräftigte kürzlich in der „Financial Times“, seine Behörde werde gegen Deutschland „voraussichtlich“ kein Defizitverfahren einleiten. Es gilt in Brüssel als offenes Geheimnis, dass die Prüfung des deutschen Plans bis September reine Formsache ist.
Der technische Grund liegt darin, dass sich der EU-Stabilitätspakt seit seiner Reform im vergangenen Jahr nicht mehr vorrangig am Staatsdefizit eines Jahres orientiert, sondern längerfristig auf die Nettoausgaben in einem Zeitraum von mindestens vier Jahren ausgerichtet ist. Berlin musste deshalb ohnehin einen Plan für das maximal zulässige Wachstum der Staatsausgaben bis 2029 einreichen. Dieser Plan lasse sich „flexibel“ prüfen, heißt es in der Kommission. Mehr Flexibilität sei schließlich der Grund für die Überarbeitung des Regelwerks bis 2024 gewesen.
Rüstung als Rechtfertigung
EU-Beamte nennen drei Gründe, warum die Kommission den deutschen Haushalt am Ende durchwinken wird. Erstens nimmt die Bundesregierung die „nationale Ausweichklausel“ für Rüstungsausgaben in Anspruch. Nach dieser Klausel können die Mitgliedstaaten binnen vier Jahren – dem Zeitraum, für den Berlin seinen Ausgabenplan vorgelegt hat – 1,5 Prozent ihres BIP zusätzlich für Rüstung ausgeben, ohne dass die EU ein Defizitverfahren eröffnet.
Auch nach Anwendung dieser Klausel erfüllt Deutschland indes noch nicht die Vorgabe der neuen Regeln, seine Schuldenquote um einen halben Prozentpunkt zu senken, solange diese über dem Maastrichter Referenzwert von 60 Prozent des BIP liegt. Deshalb greift die Kommission auf eine zweite Klausel zurück, wonach von dieser Vorgabe zwei Jahre lang abgewichen werden kann, solange die Haushaltslage in einem Land als stabil gelten darf. Die Behörde sieht das in Deutschland als erfüllt an.
Drittens legt die EU-Behörde in ihrer Analyse der deutschen Schuldentragfähigkeit günstigere Daten zugrunde als bisher. Die Prüfung der Schuldentragfähigkeit ist in den neuen Regeln vorgeschrieben, um die mittelfristige Überschuldung eines Landes zu verhindern. Für ihre Analyse rechnet die Kommission bis 2029 mit einem Potentialwachstum – das ist das Wachstum bei normaler Auslastung der Produktionskapazitäten, also eine Art „Durchschnittswachstum“ – von 0,9 statt bisher 0,5 Prozent. Bei einem höheren Potentialwachstum sind auch die Staatseinnahmen höher. Deshalb kalkuliert die Kommission für den betrachteten Zeitraum mit niedrigeren Nettoausgaben.