Frau Dumanska, in der vergangenen Woche haben die Abgeordneten dort mit deutlicher Mehrheit für die Entmachtung der Antikorruptionsbehörden NABU und SAP gestimmt. Ihre Nichtregierungsorganisation Chesno analysiert das Stimmverhalten im ukrainischen Parlament. Haben Sie eine Erklärung dafür, warum sich die Opposition diesem Vorhaben nicht geschlossen verweigert hat?
Die Opposition hat sich nicht fraktionsübergreifend auf ein gemeinsames Handeln geeinigt. Manche waren abwesend. Etwa zehn Abgeordnete haben versucht, die Sprechertribüne zu blockieren, also gar nicht abgestimmt. Wiederum andere haben dagegen gestimmt. Einige der Oppositionsabgeordneten, die für den Entwurf gestimmt haben, haben sich im Anschluss dafür entschuldigt und von einem „Fehler“ gesprochen. Julia Timoschenko hingegen hat sich und ihre Partei „Batkywschtschina“ offen für die Entmachtung der Antikorruptionsbehörden in Stellung gebracht.
In ihrer Rede hat Timoschenko das Gesetz begrüßt. Es beende die „Bevormundung“ durch den Westen und gebe der Ukraine ihre „Souveränität“ zurück. Ist diese Art von antiwestlicher Rhetorik neu?
Ich denke, diese Positionierung war das Ergebnis von Verhandlungen mit der Regierungspartei. Offenbar hat Fraktionschef David Arachamija unterschiedliche Ansätze gefunden, um verschiedene Parteien einzubinden. Batkywschtschina hat nun angekündigt, dem Präsidentenentwurf am Donnerstag nicht zuzustimmen. Auf ihre Stimmen sollten wir also nicht zählen.
Viele Abgeordnete, die für die mittlerweile verbotene prorussische Partei „Oppositionsplattform – Für das Leben“ ins Parlament eingezogen sind, haben für das Gesetz gestimmt. Wie wichtig sind sie inzwischen als Mehrheitsbeschaffer für die Regierung?
Sie sind die wichtigsten Helfer bei vertrackten Abstimmungen. Wir haben das Abstimmungsverhalten analysiert. Normalerweise erhalten die „Diener des Volkes“ nur rund 190 bis 200 Stimmen aus den eigenen Reihen. Für die Mehrheit von 226 Stimmen brauchen sie also weitere Stimmen von Helfern. Die Abgeordneten der „Oppositionsplattform – Für das Leben“ sind grundsätzlich gegen die Antikorruptionsbehörden und westlichen Einfluss. Bei der Abstimmung in der vergangenen Woche passte also beides zusammen: die eigene Position und die Unterstützung der Regierung.

Werden sie der Regierung auch am Donnerstag treu bleiben und für die Wiederherstellung der Unabhängigkeit von NABU und SAP stimmen?
Wir wissen nicht, welche Vereinbarung es zwischen der Regierung und ihnen gibt. Ist es ein „rein politischer“ Deal, oder versprechen sie ihnen Schutz vor Strafverfolgung im Gegenzug für ihre Stimmen? Stehen die prorussischen Abgeordneten unter großem Druck, stimmen sie vermutlich mit der Regierung ab, wie zuvor. Wenn sie aber nach ihren Überzeugungen abstimmen, werden sie versuchen, an der Entmachtung der Antikorruptionsbehörden festzuhalten.
Es gibt im Parlament viele freie Sitze. Wie wirkt sich das auf die Mehrheitsfindung aus?
Chesno hat zusammen mit Dutzenden anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen gefordert, die Plenarsitzungen der Werchowna Rada wieder zu übertragen, mindestens am Donnerstag. Wurde ihr Aufruf erhört?
Der Vorsitzende des Ausschusses für Redefreiheit hat sich in der Folge dafür ausgesprochen. 17 Abgeordnete haben seinen Vorstoß unterstützt. Sie kommen mehrheitlich aus den Fraktionen „Europäische Solidarität“ und „Holos“. Aber auch manche aus der Regierungsfraktion „Diener des Volkes“ sind dafür.
Kann der Gesetzentwurf am Donnerstag überhaupt schon final beschlossen werden?
Aktuell steht in dem Entwurf, er sei „zur ersten Lesung“ zugelassen. In der Ausschusssitzung am Mittwoch könnte man festlegen, dass der Entwurf in einfacher Abstimmung beschlossen werden kann. Wenn am Donnerstag aber tatsächlich nur die erste Lesung stattfinden sollte, würde das Gesetz wohl erst irgendwann im August in Kraft treten. Bis dahin würde die aktuelle Gesetzeslage gelten, es bliebe die Entmachtung der Antikorruptionsbehörden in Kraft. Die Generalstaatsanwaltschaft hätte dann viel Zeit, um alle NABU-Fälle zu überprüfen.
Wird die Opposition diesmal mitstimmen, um sicherzugehen, dass NABU und SAP schnell ihre Unabhängigkeit zurückerhalten?
Es gibt mehrere Alternativvorschläge. Sie können also auch für eigene Gesetzentwürfe stimmen. Das ist schwer vorherzusehen. Es ist aber auch denkbar, dass sie für den Präsidentenentwurf stimmen. Das wäre wohl das Beste für die eigene Reputation.
Glauben Sie, dass eine Ablehnung gegen den Willen des Präsidialamts möglich ist? Es schien stets so, als würde die Regierung das Parlament gut im Griff haben.
Der Preis dafür wäre gigantisch. Ich habe aber Äußerungen gesehen, dass es sich schwierig gestaltet, die Stimmen zusammenzubekommen. 263 Abgeordnete haben in der vergangenen Woche für die Entmachtung gestimmt. Gegen zehn Prozent dieser Abgeordneten laufen gerade NABU-Ermittlungen. Es scheint unwahrscheinlich, dass die Wiederherstellung der Unabhängigkeit für die Behörden in ihrem Interesse wäre.
Zweifeln Sie daran, dass es klappt?
Ich bin fest davon überzeugt, dass die Stimmen für den Gesetzentwurf des Präsidenten am Ende zusammenkommen werden. Das ist für die Ukraine superwichtig, sowohl für die innere Stabilität als auch für das Vertrauen unserer Partner. Das Land kann es sich einfach nicht leisten, in dieser kritischen Phase bei der Korruptionsbekämpfung einen Schritt zurückzugehen.