Deutsche Scale-ups brauchen dringend leichteren Zugang zu Kapital und eine vereinfachte Bürokratie. Nur dann können sie ihr wirtschaftliches Potential voll ausschöpfen. Das legt eine Studie nahe, die der Frankfurter Softwareentwickler Sage jüngst veröffentlicht hat, der auf kleine und mittlere Unternehmen spezialisiert ist. Erhoben hat die Daten dessen Survey-Partner „Strand Partners“.
Vor allem bei der Digitalisierung und beim grenzüberschreitenden Handel sehen sich Scale-ups, also Unternehmen, die über einen Zeitraum von drei Jahren ein durchschnittliches jährliches Wachstum der Beschäftigten oder des Umsatzes von mehr als 20 Prozent hatten, „mit Reibungsverlusten konfrontiert“, wie der Chief Commercial Officer von Sage, Derk Bleeker, sagt. Für die Studie hat „Strand Partners“ mehr als 7500 Scale-ups in 15 EU-Mitgliedstaaten befragt.
Deutsche Unternehmen sind im Vergleich zwar führend bei operativer Infrastruktur und Nachhaltigkeit, hinken aber bei Wachstumsambitionen und der Digitalisierung leicht hinterher. „Dies spiegelt sowohl die besonderen Stärken als auch die systemischen Reibungen der deutschen Wirtschaft wider“, heißt es in der Studie. Hohe Präzision, langsames Tempo.
„Starke Talentpipeline“ in Hessen
Hessische Start- und Scale-ups sind insgesamt digitaler und wachsen schneller als die im Bundesdurchschnitt, außerdem bewerten sie ihre Lage insgesamt positiver. 93 Prozent betrachten digitale Technologien als entscheidend für ihr Geschäft. Das Umsatzwachstum liegt mit 38 Prozent jährlich drei Prozentpunkte über dem in Deutschland insgesamt und genau im EU-Durchschnitt. Außerdem nutzen rund 61 Prozent der Unternehmen KI (deutschlandweit 55 Prozent), was „durch ein starkes Ökosystem für Forschung und Innovation unterstützt“ wird, wie es in der Studie heißt.
Mehr als ein Fünftel der hessischen Scale-ups bietet Finanzdienstleistungen an, deutschlandweit sind das nur 16 Prozent, „ein deutlicher Hinweis auf die Rolle der Region als Finanzzentrum Deutschlands“. Beim Zugang zu Talenten sind 57 Prozent der hessischen Scale-ups zufrieden (bundesweit 53 Prozent), was ein Beleg für die „starke Talentpipeline“ in Hessen sei.
Deutsche und hessische Scale-ups sind mit 97 beziehungsweise 98 Prozent EU-weit Spitzenreiter bei der Nutzung sogenannter ERP-Systeme wie SAP, Oracle, Microsoft Dynamics 365 oder Sage. Knapp 80 Prozent der hessischen Scale-ups vertrauen in den EU-Binnenmarkt als Wachstumstreiber (deutschlandweit 74 Prozent). Diese Zahl spiegle „die hohe Bedeutung des grenzüberschreitenden Handels mit Dienstleistungen und der fortgeschrittenen Fertigung für die Region“ wider.
Zentrale Stärken der deutschen Scale-up-Landschaft im Vergleich zum EU-Ausland sind laut der Studie zum einen, dass viele Unternehmen in der Industrie angesiedelt und dadurch resilienter sind als klassische, stärker von Risikokapital abhängige Tech-Firmen. Überdies wird die Bedeutung der öffentlich-privaten Finanzierungsstruktur in Deutschland hervorgehoben. Institutionen wie die KfW, das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM) oder der High-Tech-Gründerfonds (HTGF) böten eine solide Grundlage für die Geldbeschaffung.
Softwareentwickler fordert „kluge Entscheidungen“
Allerdings geht aus der Studie auch hervor, dass diese Institutionen von Scale-ups mitunter als relativ langsam und bürokratisch wahrgenommen werden. Die befragten Unternehmen fühlten sich nicht ausreichend gesehen: Zwischen Start-ups und Großunternehmen sehen sich viele bei der Förderung im „Niemandsland“ positioniert. Dadurch kämen viele nicht über die Frühphasenfinanzierung hinaus, erreichten also die Schwelle zum Scale-up erst gar nicht. Gelobt werden das duale Ausbildungssystem und die technische Qualifizierung junger Arbeitskräfte, die für ein „tiefes Angebot an digitalem Fachpersonal“ sorgten. Das gelte besonders für Hessen.
Aus der Regulierung und einer hohen Compliance-Belastung, die die Scale-ups hierzulande monieren (Lieferkettengesetz, CSRD u. a.), folgt laut der Studie eine konservative Skalierungsmentalität. Die (digitale) Infrastruktur hinke bei Transport, Einführung von KI, oder auch Entbürokratisierung und Automatisierung hinterher. Vielleicht auch deshalb liegt das durchschnittliche jährliche Wachstum der Scale-ups leicht unter dem EU-Durchschnitt.
Für den Softwareentwickler Sage sind nun „mutige Entscheidungen“ notwendig. Die Start-up- und Scale-up-Strategie der Europäischen Kommission sei schon „ein begrüßenswerter Schritt“. Sie müsse aber langfristig „größtmögliche Wirkung“ entfalten.
Daher leitet Sage aus den Ergebnissen der Untersuchung politische Empfehlungen ab: Zum einen müssten öffentliche Fördermittel zugänglicher gemacht werden, etwa über ein zentrales Portal, das bundesweite und länderspezifische Unterstützung bündele, oder durch Ko-Finanzierungsmodelle explizit für Scale-ups. Die Unternehmen bräuchten auch ein politisches Zuhause im Bundeswirtschafts- und Bundesfinanzministerium, etwa über einen industriepolitischen Schwerpunkt für „mittelgroße digitale Wachstumsunternehmen“, um die Förderlücke zu schließen.
Außerdem müsse die elektronische Rechnungsstellung von Deutschland aus in der EU nicht nur als Berichtswerkzeug, sondern als Einstieg zu KI im Finanzwesen, bei Echtzeitzahlungen und automatisierter Compliance positioniert werden. Zu guter Letzt müssten Hindernisse für ein grenzüberschreitendes Wachstum innerhalb der EU überwunden werden, etwa über eine harmonisierte Besteuerung.