In wenigen Wochen schon wird die Erhebung der Anklage gegen Taleb Al A. erwartet, der Ende 2024 mit einem Mietwagen in den Magdeburger Weihnachtsmarkt gerast ist. Er tötete dabei sechs Menschen und verletzte nach derzeitiger Berechnung 324 Personen körperlich. Fünf dieser Opfer haben in den zurückliegenden Wochen Post von Taleb Al A. erhalten.
Wie die Magdeburger „Volksstimme“ zuerst berichtete, bittet der mutmaßliche Attentäter in einem der Schreiben um Verzeihung, schließt an diese Bitte allerdings Ausführungen rund um gefährdete Regimegegner aus Saudi-Arabien an. Mit aggressiven und wirren Aussagen zu dieser Thematik war der Islamgegner Taleb Al A. schon vor seinem Attentat in den sozialen Netzen aufgefallen. Der Brief endet laut dem Zeitungsbericht mit der Aufforderung an das Opfer, Kontakt mit dem Attentäter aufzunehmen und dafür einen frankierten Rückumschlag beizufügen.
Die Schreiben treffen bei den betroffenen Anschlagsopfern jedoch, soweit bekannt, auf Unverständnis und Ablehnung. Es gibt unter ihnen nicht nur die Furcht vor einer Retraumatisierung, sondern auch Ängste, weil der mutmaßliche Attentäter, der selbst vor der Tat als Psychiater in einer Bernburger Maßregelvollzugsanstalt tätig war, offenkundig ihre Anschrift kennt. „Woher hat er das alles und was heißt das für unsere Sicherheit, falls er mal wieder rauskommt oder die Daten an Helfershelfer weitergibt?“, zitiert die „Volksstimme“ einen der Adressaten. An die Adressen seiner mutmaßlichen Opfer könnte Taleb Al A. über die Ermittlungsakten gelangt sein, in die auch seine Verteidigung Einblick hat.
Wie ist die Gesetzeslage?
Der Vorgang zieht inzwischen Kreise bis in die Landespolitik, wo Vertreter mehrerer Fraktionen kritisieren, dass die Briefe überhaupt zugestellt wurden. Der SPD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Erben zeigt kein Verständnis für das Verhalten der Behörden. „Das Gesetz lässt ausdrücklich zu, dass Briefe eines Untersuchungsgefangenen an ein Tatopfer zurückgehalten werden dürfen, wenn sie den Schutz des Opfers gefährden könnten“, äußert Erben, Obmann im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu dem Magdeburger Attentat. Im sachsen-anhaltischen Justizvollzugsgesetz heißt es, dass einem Inhaftierten Schriftwechsel untersagt werden, wenn „bei Personen, die Opfer der Straftat waren oder im Haftbefehl als Opfer benannt werden, zu befürchten ist, dass der Schriftwechsel mit dem Gefangenen einen schädlichen Einfluss auf sie hat“.
Der Sprecher der zuständigen Generalstaatsanwaltschaft Naumburg, die in dem Fall ermittelt, hält diesen Weg allerdings für nicht gangbar. „Wir können es nicht verhindern“, sagt er der F.A.Z. „Das ist grundsätzlich nicht möglich.“
Eine Entscheidung habe auf der Grundlage der Regelungen jenes Landes zu erfolgen, in dem die Justizvollzugsanstalt liege. Das sei im Falle von Taleb Al A. nicht Sachsen-Anhalt gewesen, sondern über längere Zeit der Freistaat Sachsen und seit kurzer Zeit das Land Berlin. Zu berücksichtigen sei aber vor allem, dass Taleb Al A. nicht verurteilt worden ist, sondern ein Untersuchungshäftling ist. In einem Interview mit der „Legal Tribune Online“ pflichtet der Strafrechtsprofessor Matthias Jahn aus Frankfurt der Generalstaatsanwaltschaft in dieser Einschätzung umfänglich bei. Für einen Eingriff in den Schriftverkehr eines Untersuchungshäftlings gebe es sehr hohe Hürden.
Die Ermittler aus Sachsen-Anhalt dürfen allerdings überwachen, was Taleb Al A. aus seiner Untersuchungshaft heraus schreibt. „Briefkontrolle wird hier auch ausgeübt, und das sehr gewissenhaft“, sagt der Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft. Die Behörden konnten so dafür sorgen, dass die Briefe des mutmaßlichen Attentäters in einem größeren Umschlag mit einem beigefügten Begleitschreiben an die Opfer geschickt wurden.
In diesem Begleitschreiben wurde darauf hingewiesen, dass es sich um einen Brief des mutmaßlichen Täters handelt, dessen Versand man nicht verhindern könne, und es den Empfängern freistehe, den Brief zur Kenntnis zu nehmen. Angesichts der Debatte hat die Behörde den Ablauf nun geändert. Sollte Taleb Al A. weitere Opfer anschreiben, werden diese zuvor gefragt, ob sie eine Zustellung des Schreibens wollen oder nicht.