In Deutschland haben die Versuche des Regimes in Aserbaidschan, Einfluss auf Entscheidungen in westlichen Demokratien zu nehmen, erst im Frühjahr 2021 große politische Wellen geschlagen. Das war eine Folge der Maskenaffäre: Einige der Parlamentarier, die an zweifelhaften Geschäften bei der Beschaffung von Schutzmasken zu Beginn der Corona-Pandemie beteiligt waren, legten auch ein auffälliges Interesse an Aserbaidschan an den Tag. Dadurch wurde der Blick auf weitere Bundestagsabgeordnete der CDU gelenkt, die zwar nicht mit Masken handelten, aber gern nach Baku reisten und sich dann lobend über die demokratische Entwicklung eines Staates äußerten, über den in Wirklichkeit eine Diktatur herrscht, die Opposition und Medien brutal unterdrückt.
Mit dem Aufbau eines Netzes von Politikern in Europa, die seinem Sinne agierten, hatte das aserbaidschanische Regime freilich schon viel früher begonnen – spätestens in der zweiten Hälfte der Nullerjahre, als große Einnahmen aus dem Export von Öl und Gas in das Land zu fließen begannen. Aufgefallen ist das zuerst in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE): In dem Gremium, in dem sich Parlamentarier aus den 46 Mitgliedstaaten versammeln, hatten sich Freunde Aserbaidschans aus verschiedenen EU-Staaten und Parteifamilien darin unterstützt, als Leiter nationaler Delegationen, als Fraktionsvorsitzende und als Mitglieder des Präsidiums entscheidenden Einfluss zu gewinnen.
„Das war ein Fall des klassischen Stimmenkaufs“
Schon im ersten Bericht der Denkfabrik European Stability Initiative über dieses Einflussnetzwerk im Jahr 2012 tauchte der Name des Mannes auf, der vom Oberlandesgericht München am Mittwoch wegen Bestechung von Abgeordneten zu neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt worden ist: Eduard Lintner. Für die CSU war Lintner von 1976 bis 2009 Mitglied des Bundestags; von 1991 bis 1998 war er Parlamentarischer Staatssekretär im Innenministerium. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag gründete er eine Firma mit dem Namen „Gesellschaft zur Förderung der deutsch-aserbaidschanischen Beziehungen“.
Als Lobbyist lud er Abgeordnete zu Reisen nach Aserbaidschan ein und stellte Delegationen für „Wahlbeobachtung“ zusammen. Über mehrere Briefkastenfirmen soll er bis 2016 etwa vier Millionen Euro aus Aserbaidschan erhalten haben. Einen Teil davon hat er weitergeleitet. Laut Anklage floss das Geld an zwei Bundestagsabgeordnete der CDU, die in der PACE mit ihrem Einsatz für die Belange Aserbaidschans aufgefallen waren: Karin Strenz aus Mecklenburg-Vorpommern und Axel Fischer aus Karlsruhe.
Das Gericht sieht es als erwiesen an, dass er im Auftrag Aserbaidschans eine Bundestagsabgeordnete bestochen hat. Lintner habe „wesentliche objektive Beiträge geleistet“, die CDU-Abgeordnete Karin Strenz zu bestechen, sagte der Vorsitzende Richter. „Das war ein Fall des klassischen Stimmenkaufs.“ Lintner deutete nach dem Urteil an, Revision dagegen einzulegen. „Wir überlegen uns das schon ernsthaft“, sagte er.
An einem Verhandlungstag Ende Mai hat Lintner die Weitergabe von Geld vor Gericht zugegeben. Ein Fehlverhalten wollte er darin aber nicht erkennen, er habe das für normalen Lobbyismus gehalten. Der im März 2021 im Alter von 53 Jahren verstorbenen Karin Strenz sei bewusst gewesen, dass das Geld aus der Präsidialkanzlei in Baku stamme, so Lintner. Von ihren Erben sollen die gesamten 111.330 Euro eingezogen werden, die Strenz laut Urteil aus aserbaidschanischen Quellen erhalten hat. Der Karlsruher Abgeordnete Axel Fischer soll zwischen 2014 und 2016 etwa 26.000 Euro erhalten haben.
In den Jahren vor 2014, als solche Zahlungen erst strafbar wurden, sollen sich diese auf etwa 58.000 Euro belaufen haben. Anders als bei Strenz gibt es bei Fischer allerdings offenbar keine unstreitigen Belege für die Zahlungen. Er soll sie laut Staatsanwaltschaft in bar erhalten haben. Axel Fischer, der dem Bundestag seit 2021 nicht mehr angehört, ist wegen Bestechlichkeit angeklagt. Sein Verfahren wurde von dem Prozess gegen Lintner abgetrennt, nachdem er sich an mehreren Verhandlungstagen krankgemeldet hatte. Fischer bestreitet die Vorwürfe.
Regime in Aserbaidschan hatte zwischenzeitlich Erfolg
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Frank Schwabe, der maßgeblich dazu beigetragen hat, die Affäre um das aus Abgeordneten aus vielen Ländern bestehende aserbaidschanische Einflussnetzwerk in der PACE aufzuarbeiten, zeigte sich zufrieden mit dem Urteil. Es zeige, „dass es eine systematische Bestechung von Abgeordneten durch Aserbaidschan“ gegeben habe, sagte er der F.A.Z. Doch die juristische und politische Aufklärung müsse weiter gehen. Auch wegen der Aserbaidschan-Affäre seien zwar Gesetze angepasst worden. „Trotzdem müssen wir auch aus diesem Verfahren weitere Lehren ziehen“, sagte Schwabe.
Zeitweise konnte das aserbaidschanische Regime mit seiner „Kaviardiplomatie“ propagandistische Erfolge erzielen. Dabei dürften freilich nicht nur Geldzuwendungen eine Rolle gespielt haben. Es gibt Zeugenberichte über teure Geschenke und Aufenthalte in Baku mit Übernachtungen in Luxushotels. Politiker des von Baku aufgebauten Netzwerks sorgten dafür, dass Wahlbeobachter der PACE dem Regime bescheinigten, Parlaments- und Präsidentenwahlen in Aserbaidschan seien frei und fair verlaufen.
Wahlbeobachter der OSZE und Menschenrechtsorganisationen waren jeweils zu gegenteiligen Schlüssen gekommen. Anfang 2013 wurde in einer Abstimmung in der PACE ein Bericht des deutschen SPD-Abgeordneten Christoph Strässer über politische Gefangene in Aserbaidschan abgelehnt. In der Folge führte das Regime das als Beleg dafür an, dass es in Aserbaidschan keine politischen Gefangenen gebe.
In der PACE versuchte das Aserbaidschan-Netzwerk nach den ersten Berichten seinen Einfluss in einem Machtkampf zu wahren. Sein Einfluss wurde indes gebrochen, nachdem im Frühjahr 2018 ein von der Versammlung in Auftrag gegebener Untersuchungsbericht dreier ehemaliger Richter veröffentlicht worden war. Darin wurden die Aktivitäten des aserbaidschanischen Netzwerks minutiös nachgezeichnet.
Der spanische Vorsitzende der Versammlung musste zurücktreten. Die CDU hatte Strenz und Fischer wegen ihrer Verstrickungen schon kurz zuvor aus der Versammlung abberufen. Der Korruptionsverdacht gegen die beiden konkretisierte sich 2020. Im Januar jenes Jahres hob der Bundestag die Immunität von Strenz auf. Bei anschließenden Durchsuchungen wurde auch belastendes Material zu Fischer gefunden. Seine Immunität hob der Bundestag im März 2021 auf.