Wie wäre es in der CSU mit Nachdenken statt Bierzelt?

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Über den Zustand der CSU sind zwei gegenläufige Einschätzungen im Umlauf. Die positive geht so: Die CSU regiert unangefochten ein Land, in dem vieles besser läuft als anderswo. Sie ist die Gewinnerin der Koalitionsverhandlungen, den Großteil ihrer Prestigeprojekte hat sie durchgesetzt. Ihre Minister, zumindest zwei von ihnen, gehören zu den Aktivposten der Bundesregierung. Alexander Dobrindt hat Bewegung in die festgefahrene Migrationspolitik gebracht, Forschungsministerin Dorothee Bär schickt sich an, die von CSU-Chef Markus Söder ersonnene Hightech- Agenda auf Deutschland zu übertragen, auch zum Wohle des Freistaats.

Die weniger positive Geschichte lautet: Auch in Bayern wachsen die Bäume nicht mehr in den Himmel. Die Autoindustrie darbt. Auf Sommerempfängen wird vom Auswandern geredet. Die CSU ist programmatisch ausgezehrt. Ein Grund ist, dass der Parteichef selbst zwar weiterhin von Ideenblitzen und Blitzideen durchzuckt wird, bei anderen in der Partei aber Linientreue weit mehr schätzt als eigene Impulse. Alte Sinnstiftungsmuster („Wir gegen Berlin“) funktionieren nicht mehr, neue gibt es noch nicht. Modernisierungsbemühungen laufen zum Teil ins Leere. Ein Runder Tisch, der die Bürgerbeteiligung beschneiden und Großprojekte beschleunigen sollte, endete zuletzt weitgehend ergebnislos, auch weil die CSU selbst auf den Trichter kam, dass nicht nur Effizienz, sondern auch Basisdemokratie zur „bayerischen DNA“ gehört.

Verlorenes Terrain

Söder versucht seit seinem Amtsantritt 2018, verlorenes Terrain rechts der Mitte von den Freien Wählern und der AfD zurückzuerobern. Mal durch Abgrenzung, mal durch Mimi­kry. Jeweils mit überschaubarem Erfolg. Derzeit beschränkt sich die Hoffnung der Christlich-Sozialen darauf, dass die Migration dauerhaft begrenzt und wieder mehr Wirtschaftswachstum generiert werden kann. Das würde helfen, aber nicht mehr reichen. Die AfD hat sich nicht nur professionalisiert. Sie debattiert auch strategisch über die großen Fragen dieser Zeit, während sich Grüne, SPD und die Unionsparteien zu oft im machttaktischen Klein-Klein verzetteln.

Vor diesem Hintergrund ist die jüngste Debatte über die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts, zumal über die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf Krisensymptom und Chance zugleich. Man merkte, dass auch die CSU blank war. Vielen in der Partei fehlt es heute am religiösen und/oder intellektuellen Hintergrund, aus dem sich früher das natürliche Interesse an Wertefragen ergab. In der Debatte ging es nicht zuletzt um die Menschenwürde und ihre Unantastbarkeit. Mit dem Soziologen Hartmut Rosa könnte man auch sagen: um die Unverfügbarkeit bestimmter Lebensbereiche, um die Anerkenntnis, dass nicht alles dem Machbarkeitswillen des Menschen unterworfen ist. Das ist nicht nur konservativ. Das ist laut Rosa auch konstitutiv für eine lebendige, klingende Beziehung zur Welt.

Dobrindts Bonmot

Überdies könnte die Debatte über Brosius-Gersdorf der CSU gezeigt haben, dass es wichtig ist, sich mit den Dingen auseinanderzusetzen. Zu unterscheiden, statt alles zu einem gärigen Brei zu verrühren. Man erinnere sich an Dobrindts Bonmot: „Diejenigen, die gestern gegen Kernenergie, heute gegen Stuttgart 21 demonstrieren, die müssen sich dann auch nicht wundern, wenn sie übermorgen irgendwann ein Minarett im Garten stehen haben.“ Das war zwar ganz lustig, aber halt nicht schlüssig. Man kann gegen bestimmte Großprojekte sein, man kann sogar tagelang kein Fleisch essen und Naturschutz wichtig finden – und trotzdem gegen das Gendern und für Atomkraft sein, für eine längere Lebensarbeitszeit und die Wiedereinführung der Wehrpflicht.

Vielleicht sollten die Politiker, auch die der CSU, auch Söder, einfach mal wieder etwas anderes als Akten und SMS lesen. Nachdenken, statt von einem Bierzelt zum nächsten zu tingeln und die davon veröffentlichten Selfies mit Volksnähe zu verwechseln. Regieren, statt sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was es für die eigenen Machtoptionen bedeuten könnte, wenn eine Bayerin als nächste Bundespräsidentin gehandelt wird.

Söder hatte Glück. Wäre die Bundestagswahl nur minimal anders ausgegangen, dann müsste die CSU jetzt mit den Grünen am Regierungstisch sitzen und ein weiteres Mal erklären, warum es seit den Wittelsbachern zur bayerischen DNA gehört, die eigenen unumstößlichen Überzeugungen der jeweiligen Lage anzupassen. Söder und der CSU bleiben nun noch drei Jahre, um sich von den Klischees zu befreien, an die sie sich selbst gefesselt haben. 2028 und 2029 finden, Stand jetzt, innerhalb eines guten halben Jahres Landtags-, Bundestags- und Europawahlen statt. Diese Ko­inzidenz könnte auch bei der CSU die Erkenntnis befördern, dass man die Ebenen und Herausforderungen, statt sie gegeneinander auszuspielen, zusammendenken sollte.