Sechs Jahre ist es her, dass Donald Trump im NRG Stadion im texanischen Houston Indiens Ministerpräsident vor 50.000 Menschen mit „Howdy Modi“ begrüßte. Der Gegenbesuch im Stadion im indischen Ahmedabad, bei dem sein Amtskollege seinen Gast von 100.000 Zuschauern unter dem Titel „Namaste Trump“ feiern ließ, liegt noch kürzer zurück. Doch seit Dienstag, als der US-Präsident „unserem Freund“ einen verbalen Faustschlag verpasste, fühlt es sich auf dem Subkontinent an, als stamme die Ära der gegenseitigen Liebesbekundungen aus längst vergangener Zeit.
Kurz nach acht Uhr abends Washingtoner Zeit hatte Trump, der an dem Tag aus Schottland zurückkam, auf seinem sozialen Netzwerk „Truth Social“ verkündet, dass er das Land, das Amerika als seinen Verbündeten im Kampf gegen Chinas Aufstieg betrachtet, zu „bestrafen“ gedenkt. Weil die indischen Einfuhrzölle „viel zu hoch“ seien und „zu den höchsten in der Welt“ gehörten und Indien die „strengsten und unangenehmsten“ Handelsbarrieren habe, belege er die Exporte des Landes in die Vereinigten Staaten mit einem Zoll von 25 Prozent. Doch das war noch nicht alles. Weil Indien „zu einer Zeit, in der alle wollen, dass Russland das Töten in der Ukraine einstellt”, den „Großteil seiner militärischen Ausrüstung” aus Putins Reich beziehe und dessen „größter Energiekunde” neben China sei („ALLES NICHT GUT!”), erhalte das Land auch noch „eine Strafe”. Wenige Minuten später ein Nachtrag in Großbuchstaben: „WIR HABEN EIN MASSIVES HANDELSBILANZDEFIZIT MIT INDIEN!!!”
Indien könnte noch schlechter gestellt sein als China
Das stimmt. Um 45,7 Milliarden Dollar hat der Wert der amerikanischen Importe aus Indien im vergangenen Jahr den Wert der Ausfuhren aus Amerika in das Land überstiegen. Damit ist das Handelsbilanzdefizit das fünftgrößte der USA. Davor allerdings liegt das Defizit mit Vietnam, das mit 123,5 Milliarden Dollar fast drei Mal so groß war. Mit dem südostasiatischen Land hat sich Trump jüngst auf einen Zoll von 20 Prozent geeinigt, fünf Punkte niedriger als der Tarif, den nun Indien erhalten hat. Noch größer ist das Ungleichgewicht in der Handelsbilanz mit China. Je nachdem, wie Trumps zusätzliche „Strafe” für Indien ausfällt, könnte der „Freund” also sogar noch schlechter gestellt sein als Amerikas großer Rivale in Fernost, von dem Trump sagt, die Handelsgespräche mit den USA verliefen „sehr gut”.
Am Dienstag hatte sich bereits Stunden vor Trumps Ausraster auf „Truth Social” abgezeichnet, dass sich der Streit zwischen Indien und seinem größten Handelspartner USA nicht mehr nur auf die wirtschaftliche Ebene erstreckt, sondern das Vertrauen Neu Delhis in den angeblichen „Freund“ in Washington in Gänze tief erschüttert hat. Nicht die drohenden Zölle hatten die Debatte in beiden Kammern des Parlaments bestimmt – der Lok Sabha und der Rajya Sabha –, sondern Trumps Behauptung, er habe in der militärischen Auseinandersetzung Indiens mit seinem Nachbarn Pakistan eine „vollständige und sofortige Waffenruhe“ vermittelt. Kein Staatsoberhaupt auf der Welt habe ihn aufgefordert, die indische Militärattacke unter dem Namen „Operation Sindoor“ auf Ziele in Pakistan einzustellen, sagte Modi am Dienstag. Allein der Erfolg der indischen Luftwaffe habe Islamabad zum Einlenken bewegt. Die Zeitung „Times of India“ kommentierte, dies sei das „Äußerste“ gewesen, was ein indischer Ministerpräsident habe sagen können, „um einen US-Präsidenten der Unrichtigkeit zu beschuldigen“.
Indische Regierung reagiert trotzig auf Trumps Angriff
Trumps damalige Behauptung, er habe Indien einen besseren Zoll-„Deal“ versprochen, sei mit seiner Attacke vom Dienstagabend nun von ihm selbst widerlegt worden, schreibt „Times of India“. Aus den Worten klingt der Vorwurf des Verrats. Dass der US-Präsident zwei Tage vor Ablauf der Frist für eine Einigung in den Handelsgesprächen die indischen Unterhändler auflaufen lässt, die seit Monaten in Washington ein Abkommen zu erreichen versuchen, wird auf dem Subkontinent als Zeichen dafür gewertet, dass man sich auf die Amerikaner nicht mehr verlassen kann. Eigentlich hatte Neu Delhi darauf gesetzt, dass man die komplizierten Gespräche – etwa über die von Indien gefürchtete Öffnung seiner Landwirtschaft – im September oder Oktober zu einem erfolgreichen Abschluss bringen könne. Nun jedoch hat Trump dem Land geschrieben, es könne mit Russland „seine toten Volkswirtschaften gemeinsam zu Fall bringen“.
Angesichts solcher Beleidigungen macht sich in Indien das Gefühl von Trotz breit. Es sei gut, dass Ministerpräsident Modi trotz zahlreicher Versuche, Trump zu schmeicheln und Zugeständnisse im Handelsstreit anzubieten, die Ehre der bevölkerungsreichsten Nation der Erde nicht völlig verkauft habe, kommentieren viele indische Medien. Die Regierung werde sicherstellen, alles zu tun, um die „nationalen Interessen“ zu wahren, hieß es am Mittwoch.
Dass Trump am Dienstag auch noch gleich angekündigt hat, mit dem indischen Erzfeind Pakistan die Entwicklung „massiver“ Ölreserven voranzutreiben, könnte die Haltung Neu Delhis noch weiter härten. Trumps Zusatz, Pakistan werde sein Öl sogar „vielleicht eines Tages an Indien verkaufen“, wird in Indien als blanker Zynismus empfunden. „The Art of the No Deal“ sind Berichte in Zeitungen überschrieben. Der „Indian Express“ zitiert einen hohen Regierungsbeamten, der der Zeitung sagte, es gebe für Indien Grenzen des Zumutbaren. Neu Delhi werde abwarten, ob sich die Amerikaner zu einer Einigung durchringen könnten, die kleine indische Unternehmen und die zahlreichen Beschäftigungen in der Landwirtschaft nicht belaste, etwa durch die von Washington verlangte zollfreie Einfuhr von gentechnisch verändertem Mais und Soja. Vor diesem Hintergrund sei „kein Deal besser als ein schlechter“.