Krebsforschung: Wecken Viren schlafende Tumore?

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Stand: 31.07.2025 14:39 Uhr

Dass überstandene Krebserkrankungen zurückkommen können, ist bekannt. Eine Studie zeigt, dass Virusinfektionen wie Covid oder die Grippe dabei eine Rolle spielen könnten. Doch an der Studie gibt es Kritik.

Am Anfang war es nur ein Verdacht, eine Beobachtung: In den ersten Jahren der Corona-Pandemie starben mehr Menschen an Krebs. Ein Grund: Viele konnten nicht zu den Vorsorgeuntersuchungen gehen oder sagten die Termine ab. Aber Forschende um James DeGregori von der medizinischen Fakultät der University of Colorado (USA) vermuteten, dass auch die Virusinfektion an sich einen Einfluss haben könnte. “Uns kam der Gedanke, dass diese massive Entzündung in der Lunge schlafende Krebszellen wecken könnte.”

Corona als Wecker für “schlafende” Krebszellen

Denn auch wenn der eigentliche Tumor, beispielsweise in der Brust, behandelt wurde, können Krebszellen in andere Organe gewandert sein. Dort teilen sie sich erstmal nicht – manchmal über Jahre. Doch solche “schlafenden” Zellen können wieder “aufwachen”, sich teilen, metastasieren. Ein möglicher Wecker für die Zellen: Entzündungsreaktionen. Das wurde zumindest schon länger vermutet.

James DeGregori und sein Team wollten das genauer untersuchen: Sie nutzten dafür Mäuse mit einem langsam-wachsenden Brustkrebs. Dessen Ableger-Zellen schliefen für mehrere Monate in der Lunge der Mäuse, bis die Tiere von den Forschenden mit einem Virus infiziert wurden. “Wir wollten wissen, was passiert, wenn die Tiere eine Virusinfektion bekommen, wie Grippe oder Covid.” Und tatsächlich: Die Krebszellen wachten auf und vermehrten sich stark. “Das war schon ein dramatischer Effekt”, sagt James DeGregori.

Experimentelle Ergebnisse “innovativ und relevant”

Die Entzündung in der Lunge war offenbar ein Weckruf für die schlafenden Krebszellen. Die Forschenden um James DeGregori konnten auch zeigen, welche Signalwege im Immunsystem zu dieser Aktivierung der Zellen führte. Die Ergebnisse veröffentlichten sie jetzt in der Fachzeitschrift Nature.

“Die experimentellen Ergebnisse sind innovativ und von klinischer Relevanz”, sagt Andreas Bergthaler, Professor für Molekulare Immunologie an der Medizinischen Universität Wien. “Diese Daten sprechen eine eindeutige Sprache.” Die Tatsache, dass entzündliche Reaktionen Krebszellen aufwecken könnten, würde schon länger diskutiert. “Diese Studie zeigt das jetzt das erste Mal ziemlich überzeugend.”

Sterben nach Covid mehr Menschen an Krebs?

Die Untersuchungen im Labor, unter kontrollierten Bedingungen, sind das eine. Wie groß ist aber dieser Effekt beim Menschen in der echten Welt?

Das wollten die US-Forscher anhand der Daten von zwei Patientengruppen herausfinden – aus den USA und anhand von Informationen aus der britischen Biobank. James DeGregori und sein Team analysierten, ob jemand, der eine Krebserkrankung überlebt hat und dann an Covid erkrankt ist, in Folge ein erhöhtes Risiko hatte, an Krebs zu versterben. “Wir konnten einen großen Effekt sehen, besonders in den ersten Jahren nach der Covid-Infektion”, sagt der Studienautor DeGregori.

Doch ganz so eindeutig schätzen andere Fachleute den statistischen Zusammenhang zwischen der Virusinfektion und der tödlichen Krebserkrankung in den untersuchten Bevölkerungsgruppen nicht ein. Denn bei echten Patientinnen und Patienten spielen viele Faktoren mit hinein, die das Ergebnis verzerren könnten.

Noch viel Forschung nötig

Andreas Bergthaler von der Universität Wien meint: “Wir wissen zum Beispiel, dass Menschen, die eine Krebsbehandlung hinter sich haben, zum Teil immunsupprimiert sind und dementsprechend leichter Infektionen bekommen, mit schweren Verläufen”, so der Professor für Molekulare Immunologie. Er sei anhand der veröffentlichten Daten nicht sicher, wie groß der in der Maus beobachtete Effekt beim Menschen wirklich sei.

Auch André Karch, Leiter der Klinischen Epidemiologie an der Universität Münster sagt: “Um die eigentliche Hypothese der Autorinnen epidemiologisch untermauern zu können, wären deutlich anspruchsvollere Analysen notwendig.”

Was bedeutet das für Betroffene?

Auch für Krebspatientinnen und -patienten ergeben sich aus der Studie erstmal keine direkten Konsequenzen. DeGregori von der University of Colorado empfiehlt ihnen, sich gegen Grippe und Covid-19 impfen zu lassen – so könnten einige schwere Entzündungsreaktionen in der Lunge verhindert werden.

Für die Forschung sind die Ergebnisse auf jeden Fall interessant: Denn wenn die Mechanismen, die schlafende Krebszellen aktivieren, besser verstanden werden, könnten langfristig neue Ansätze zur Prävention und Behandlung entwickelt werden.