Was am Donnerstag im Parlament in Kiew geschehen ist, war Schadensbegrenzung. Die von den Abgeordneten ohne Gegenstimmen beschlossene Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Antikorruptionsbehörden war das Mindeste, was sowohl die ukrainische Gesellschaft als auch die westlichen Unterstützer des Landes erwarten konnten. Die Eindeutigkeit des Votums zeigt, dass die Parlamentarier (und allem Anschein nach auch die Mannschaft Präsident Wolodymyr Selenskyjs) den Ernst der Lage verstanden haben.
Auf dem Spiel stand die weitere Fähigkeit der Ukraine, sich gegen die russische Aggression zu verteidigen. Hätte Selenskyj nach der Attacke auf die Antikorruptionsbehörden vorige Woche nicht rasch eine Rolle rückwärts gemacht, wären das dafür nötige Mindestmaß an nationaler Einheit und die unabdingbaren Finanzhilfen aus dem Westen in akuter Gefahr gewesen.
Die Verbündeten der Ukraine müssen wachsam sein
Der Schaden ist auch nach dem Beschluss vom Donnerstag noch groß genug. So wichtig die schnelle Wende war, sie kann das zerstörte Vertrauen nicht wiederherstellen. In der ukrainischen Gesellschaft fürchten viele, dass Selenskyj und seine Leute nach diesem missglückten Anlauf, die Antikorruptionsermittler an die Leine zu nehmen, versuchen werden, das gleiche Ziel auf eine weniger offensichtliche Weise zu erreichen. Man kann sicher sein, dass die ukrainischen Medien und die gesellschaftlichen Organisationen jedes Anzeichen dafür aufmerksam registrieren und öffentlich machen werden.
Aber es wird in dem vom Krieg getroffenen und ermüdeten Land schwer fallen, noch einmal einen solchen öffentlichen Druck auf die Regierung zu erzeugen wie in den vergangenen Tagen. Es ist deshalb an der EU und ihren Mitgliedstaaten, solche Warnsignale aus der Ukraine aufmerksam zu registrieren und die ukrainische Führung unverzüglich und deutlich darauf anzusprechen. Es geht dabei um Europas Sicherheit. Denn in der Ukraine wird auch unsere Freiheit verteidigt.