31. Juli 2025 · Während die Reeperbahn im Neonlicht glänzt, fürchten die Bewohner zwischen Verramschung und Investoren zerrieben zu werden. Ein Besuch in St. Pauli.
Ein Kiez ist wie ein Dorf. Es gibt ein überschaubares Quartier, in dem jeder jeden kennt. Ein Gebiet, das nicht nur Wohnort ist, sondern ein Stück Identität. Aber was, wenn dieser Kiez sich verändert? Wenn neue Menschen in dieses großstädtische Dorf kommen? Wie viel Veränderung hält ein Kiez aus, bis die Stimmung kippt?
Das ist eine Geschichte über St. Pauli, Deutschlands wohl bekanntesten Kiez. Doch die Konflikte könnten so oder so ähnlich für jeden anderen Ort stehen, für den sich irgendwann Großinvestoren wie Touristen interessierten. Denn in St. Pauli wurde, das überstrahlen die Neonreklamen zuweilen, immer schon gewohnt.
Einer dieser Bewohner ist Michel Ruge, 55 Jahre alt. Sein Zuhause ist nicht weit von der Herbertstraße entfernt. Ruge wartet an seiner Wohnungstür. Poloshirt, tätowierte Arme, mittellanges Haar, nach hinten gekämmt. Er trägt eine Pilotenbrille mit gelb getönten Gläsern, die er auch nicht absetzt, als er seine Wohnung betritt. Einen Flur gibt es nicht, stattdessen steht Ruge jetzt direkt in seiner kleinen Küche. Er öffnet eine Flasche Weißwein und füllt die Gläser im Esszimmer nebenan.
Die Wände sind voller Porträts. Hamburger Größen hängen hier. Helmut Schmidt, Jürgen Vogel, Rosi von Rosis Bar, und auch Ruge selbst. Mal mit Champagner, mal auf einem Pferd, mal im Morgenmantel, mal im Smoking, immer schillernd. Der Blick nach draußen ist anders. Dort drängt sich eine Touristengruppe an der Wohnung vorbei. „So viele zerfallene Körper und erschöpfte Gesichter“, sagt Ruge und nimmt einen Schluck Wein. Er nennt die Touristen „die Pest“. Ebenso wie die Touristenführer, Airbnb und Massenveranstaltungen. „Das ist die wahre Pest“, sagt er immer wieder mit Blick auf die Gasse vor seinem Fenster.