Elfenbein gilt uns als ein edler Werkstoff. Bevor die Jagd auf damit ausgestattete Tiere geächtet wurde, stellte man vor allem schöne Gegenstände daraus her, oder welche, die sonstwie einem Zweck außerhalb des Alltagsmühsals dienten, Klaviertasten zum Beispiel, oder Billardkugeln. Wie natürlich erscheint da der Einsatz dieses Materials für die frühesten bekannten rundplastischen Kunstwerke.
Die kamen in den Höhlen der Schwäbischen Alb zum Vorschein. Dort siedelten vor dem Höhepunkt der jüngsten Eiszeit Menschen der Kulturstufe des Aurignacien, die relativ kurze Zeit vorher in das bis dahin nur von Neandertalern bevölkerte Mitteleuropa vorgedrungen waren. Als 2004 in einer jener Höhlen auch Fragmente einer elfenbeinernen Flöte gefunden wurde, staunte man weniger über den musischen Kontext als über die fertigungstechnischen Fähigkeiten der eiszeitlichen Handwerker.
Elfenbein zur Elfenbeinbearbeitung
Nur wird ein neuer Fund in einer dieser Höhlen gemeldet – dem Hohle Fels bei Schelkingen unweit von Blaubauren. Hier allerdings war aus dem Stoßzahn eines Mammuts ein vergleichweise profaner Gebrauchsgegenstand angefertigt worden. Nicholas Conard, Professor an der Universität Tübingen und wissenschaftlicher Leiter der Ausgrabungen im Hohle Fels, stellte das 24,7 Zentimeter lange Objekt am Donnerstag im Urgeschichtlichen Museum in Blaubeuren vor. Dort ist das Stück auch noch bis zum 9. November 2025 in einer Kabinettaustelltung zu sehen.
„Der Fund ist datiert auf 39.000 Jahren vor heute und entspricht einem bedeutenden Beleg für die ungewöhnlich häufige und vielfältige Nutzung von Mammutelfenbein bei den ersten modernen Menschen im Oberen Donauraum“, erklärt Conard. Er interpetiert das Objekt als ein großes Werkzeug unbekannter Funktion, das zu einem Meißel ungearbeitet worden war.
„Hart und flexibel“
Tatsächlich ist dies das bisher größte, aber nicht das einzige Elfenbeinwerkzeug von der Schwäbischen Alb. Schon bei Grabungen im Jahr 2019 hatte man im Hohle Fels drei Elfenbeinmeißel mit einer Länge zwischen 14 und 22 Zentimetern gefunden. Und Anfang 2024 veröffentlichte Conard mit einem Fachkollegen den Fund eines gelochten Elfenbeinbrettchens, das wahrscheinlich der Herstellung von Seilen diente. Auch filigranere Gebrauchsgegenstände aus dem Material, etwa Nadeln, sind aus dem schwäbischen Aurignacien belegt und aus späteren Phasen der Altsteinzeit kennt man auch elfenbeinerne Angelhaken.
Das neue Fundobjekt nun könnte selbst der Elfenbeinverarbeitung gedient haben – und zwar, um einen Stoßzahn zu spalten und kleinere Stücke daraus zu gewinnen. Das vermutet die Tübinger Archäologin Sibylle Wolf, Autorin des 2015 erschienenen Standardwerkes über die aurignacienzeitliche Elfenbeinverarbeitung auf der Schwäbischen Alb. „Dieser Werkstoff ist hart und flexibel genug“, erklärt sie.
Allerdings müssen sich solche Elfenbeinmeißel schnell abgenutzt haben, könnten jedoch anschließend umgearbeitet worden sein. „Das zeichnet die Menschen auf der Schwäbischen Alb zu dieser Zeit aus“, sagt Sibylle Wolf. „Sie verfügten hier über eine immense Menge an Elfenbein und hatten eine klare Vorstellung davon, was sie daraus herstellen wollten.“
Fast ist man da versucht, eine eigene „Elfenbeinzeit“ auszurufen. Tatsächlich sprechen Conard und sein Team laut der Pressemitteilung der Universität Tübingen von einem „Zeitalter des Mammutelfenbeins“, meinen damit aber konkret das schwäbischen Aurignacien vor rund 40.000 Jahren, dessen Fundschichten auch voller elfenbeinerner Schnitzabfälle sind. Elfenbein, so könnte man die Sache noch weiter ins Nüchterne wenden, war für die eiszeilichen Schwaben geradezu ein Allerweltsmaterial.