Der Traum vom „Wohlfühl-Sozialismus“: Warum Berlin so links tickt

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Der Stein des Anstoßes trägt die Abkürzung „VergRG Berlin“, umfasst 27 Seiten und ist ein Projekt der Berliner SPD. Die Sozialdemokraten in der Hauptstadt machen Druck, dass aus dem Volksentscheid im Jahr 2021 Taten folgen. Damals hatten sich mehr als 56 Prozent der 1,8 Millionen teilnehmenden Berliner dafür ausgesprochen, große Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen und Vonovia zu enteignen. Als CDU und SPD vor zwei Jahren ihre Koalition schmiedeten, vereinbarten sie, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz auf den Weg zu bringen. Den Entwurf dafür haben die Sozialdemokraten kürzlich lanciert – und er schlägt hohe Wellen.

„Ich bin fassungslos. Da wird Tür und Tor geöffnet, um letztlich unsere freiheitliche Grundordnung zu beerdigen“, sagt Kai Warnecke, Präsident des Eigentümerverbands Haus und Grund. Der Verband der Jungen Unternehmer sieht „zentrale Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft“ verletzt.

Nicht nur Wohneigentum werde infrage gestellt. „Energie, Entsorgung, Verkehr – zentrale Lebensbereiche stehen zur Disposition.“ Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion kritisiert den geplanten „massiven Eingriff in die unternehmerische Freiheit“. Das Recht auf Privateigentum müsse unangetastet bleiben.

Berliner finden Umverteilung gut

Der Vorstoß der SPD kommt nicht überraschend. In Berlin stehen die Parteien schon seit langem deutlich weiter links als ihre Kollegen auf Bundesebene. Das gilt nicht nur für SPD und Grüne, sondern auch für die CDU. Ob es um neue Schulden oder die Regenbogenflagge geht: Der Regierende Bürgermeister Kai Wegner repräsentiert demonstrativ den linken Flügel der CDU.

Eine „neue politische Kultur“ mit einem regelmäßigen Austausch auch mit den Linken will er pflegen. Das dürfte auch taktische Gründe haben: 2026 wird in der Hauptstadt wieder gewählt. Nach den aktuellen Umfragen hätte Schwarz-Rot keine Mehrheit mehr. Auf Platz zwei nach der CDU liegt inzwischen mit 19 Prozent die Linke. Bei der Bundestagswahl im Februar war die Partei sogar die stärkste politische Kraft in der Stadt.

„Berlin hätte gerne einen Wohlfühl-Sozialismus – eine Mischung aus Planwirtschaft und Hedonismus“, konstatiert Ralf Fücks, einst bei den Grünen politisch aktiv, heute Leiter des Thinktanks Zentrum Liberale Moderne. Fücks erklärt den Linksdrall mit der besonderen Sozialstruktur der Stadt. „In Berlin leben überdurchschnittlich viele Menschen von Sozialleistungen. Und auch die Stadt selbst ist ein Transferempfänger. Kein Wunder, dass man da Umverteilung gut findet. Abgesichert vom Länderfinanzausgleich und den Zuschüssen des Bundes kann man sich diese Ideologie leisten.“

Linkssein hat eine lange Tradition

In der jüngsten Bundestagswahl kamen Linke, Grüne und SPD zusammen auf knapp 52 Prozent der Zweitstimmen in Berlin – ein Ergebnis, von dem die Parteien auf Bundesebene nur träumen können. Dort erreichen sie in den Umfragen zusammen aktuell zwar nur gut 35 Prozent. Aber die schwierige Lage der CDU, die eine Zusammenarbeit mit der AfD weiter ausschließt, wird mit Genugtuung beobachtet. Vor allem bei den Grünen wird zunehmend darüber diskutiert, ob man nicht im Bund ein „progressives Bündnis“ des linken Parteienspektrums anstreben sollte. Mit dem auf Schwarz-Grün ausgerichteten Kurs des ehemaligen Spitzenkandidaten Robert Habeck fremdelten schon im Wahlkampf viele Grüne. Zwar ist SPD in den Umfragen zuletzt weiter abgesackt, die Linkspartei hat aber kräftig zugelegt.

Das Linkssein habe in Berlin eine lange Tradition, sagt Hanno Hochmuth, Projektleiter am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. „Bis ins frühe 20. Jahrhundert war Berlin die größte Industriestadt Deutschlands. Siemens, AEG, Borsig, diverse Chemieunternehmen, Bierbrauer: Alle waren hier. Entsprechend groß war die Arbeiterbewegung und der Rückhalt für die Sozialdemokratie – und auch für die Kommunisten aus der KPD.“ Viele Arbeitsplätze in der Industrie seien dann zwar infolge der deutschen Teilung verloren gegangen, weil den Unternehmen der Standort zu unsicher war. Die Mentalität sei aber geblieben. „Ost-Berlin war durch die Funktionärselite der SED geprägt, während West-Berlin ein linksalternatives Milieu anzog.“ Letzteres habe zwei Gründe gehabt: „Wer in Berlin lebte, musste keinen Wehrdienst leisten“, erklärt Hochmuth. „Noch dazu gab es massenhaft leerstehende Wohnungen.“

In den Jahren nach der Wiedervereinigung regierte mit Eberhard Diepgen ein CDU-Politiker – noch dazu ein vergleichsweise konservativer – die Stadt. Doch danach übernahm wieder die SPD das Ruder. „Diepgen hatte zwei Probleme: eine Strukturkrise durch den Wegfall von Subventionen und Gewerbesteuereinnahmen und das Missmanagement rund um den Berliner Bankenskandal“, analysiert Hochmuth. „Das hat letztlich die Tür für Rot-Rot geöffnet.“

Dass linke Positionen in Berlin auch heute so viel Zustimmung bekommen, erklärt der Historiker in erster Linie mit dem Wohnungsproblem. „Diese wahnwitzigen Neuvertragsmieten, die dazu führen, dass kaum noch jemand umzieht: Da ist die Versuchung groß, dieses Problem mit einem radikalen Schritt wie einer Vergesellschaftung zu lösen.“ Hinzu kämen identitätspolitische Fragen, die in Berlin eine große Rolle spielten.

Grünen-Urgestein Fücks beobachtet mit Sorge, wie populär die Überlegungen in seiner Partei sind, nicht nur in Berlin, sondern auch im Bund auf ein Bündnis mit SPD und Linken hinzuarbeiten. Er sieht Ähnlichkeiten zu den Debatten innerhalb der Demokraten in den Vereinigten Staaten. „Auch da sehen wir diese zwei Strömungen: die Neo-Sozialisten und diejenigen, die einen Kurs der Mitte wollen.“ Fücks rät seiner Partei dringend dazu, sich für die Mitte zu entscheiden. „Der Weg nach links führt ins Abseits“, warnt er. „Ein Linksbündnis würde die ökonomischen Grundlagen unseres Wohlstands zerstören. Außerhalb von Berlin ist es auch nicht mehrheitsfähig.“