Katherina Reiche besucht Leag: Realitätstest für die Kraftwerkspläne

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Der Cottbuser Energiekonzern Leag rechnet sich für seine Kraftwerkstandorte in Ostdeutschland trotz der Pläne von Bundeswirtschaftsministerin Ka­therina Reiche (CDU) für einen Süd­bonus gute Chancen bei der Ausschreibung von neuen Gaskraftwerken aus. „Wir gehen fest davon aus, dass die Bundes­regierung trotz des angedachten Süd­bonus den Nordosten mit seinen Standortpotentialen und -bedarfen berücksich­tigt“, sagt Adi Roesch, der Vorstands­vorsitzende der Leag.

Die Bun­desregie­rung will Standorte im Süden bei der geplanten Ausschreibung neuer Kraft­werks­kapazitäten bevorzugt behandeln, um den Anforderungen an das Strom­netz gerecht zu werden. Reiche besucht am Montag zusammen mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) das Kraftwerk Schwarze Pumpe in Spremberg. Die Leag will hier ein wasserstofffähiges Gaskraftwerk er­rich­ten.

„Neue Kraftwerke werden im Norden und Osten des Landes ebenfalls gebraucht“, teilt das Bundeswirtschafts­ministerium zum Südbonus mit. Die geplanten Ausschreibungen im Rahmen der Kraftwerksstrategie der Bundesregierung würden deshalb allen Standorten in der gesamten Bundesrepublik offenstehen. Es gelte dabei aber zu berücksichtigen, dass der netztechnische Süden, dem neben Bayern und Baden-Württemberg auch Nordrhein-Westfalen, Hessen, Rheinland-Pfalz und das Saarland zugerechnet werden, einen größeren Bestand sowohl an Erzeugungs- als auch an Stromverbrauchszentren umfasse und ein erheblicher Teil der dortigen Erzeugungsanlagen im Zuge des Atom- und Kohleausstiegs stillgelegt werde.

Großspeicher im Gigawattmaßstab

Von Stilllegungen ist auch der Nord­osten betroffen. „Bis 2030 gehen allein aus unserem Kraftwerkspark vier Gigawatt vom Netz, und wir brauchen dringend Ersatz für diese gesicherte Leistung“, sagt Roesch über das absehbare Ende der Kohleverstromung bei der Leag. Insgesamt legt der Konzern im Rahmen des gesetzlich festgelegten Kohleausstiegs bis 2038 Braunkohlekraftwerke mit einer Erzeugungskapazität von rund sieben Gigawatt still.

Die Leag will sich bis dahin zu einem der größten Erzeuger von grünem Strom wandeln. Neben dem Aufbau von erneuerbaren Erzeugungskapazitäten und Großspeichern im Gigawattmaßstab hat der Konzern Pläne für wasserstofffähige Gaskraftwerke mit einer Kapazität von zwei Gigawatt in der Schublade.

Die Ausschreibung der Bundesregierung für die Kraftwerkskapazitäten zur Ab­sicherung des Kohleausstiegs lässt weiter auf sich warten. Die Ankündigung der Bundeswirtschaftsministerin, bei der Ausschreibung einen Südbonus anzuwenden, damit zwei Drittel der geplanten Kraftwerkskapazitäten von insgesamt 20 Gigawatt im netztechnischen Süden errichtet werden, sorgte in Cottbus für zusätzlichen Frust.

Der Südbonus war im Herbst zwar schon in einem Referentenentwurf der Ampelregierung zum Kraftwerkssicherheitsgesetz enthalten, mit dem die Ausschreibung der Kraftwerkskapazitäten geregelt werden sollte. Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD war davon aber keine Rede mehr – bis Reiche den Süd­bonus im Rahmen eines Besuchs beim Bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) Anfang Juni wieder ins Spiel brachte.

Kohleregionen wie die Lausitz

„Das hat uns irritiert und die Kolleginnen und Kollegen in den Unternehmen ein weiteres Mal verunsichert“, sagt Stephanie Albrecht-Suliak, Landesbezirks­leiterin Nordost der Industriegewerkschaft IGBCE, in der viele Beschäftigte der Leag organisiert sind. Die Gewerkschaft habe die Erwartung, dass alle Kraftwerksbetreiber unter gleichen Bedingungen an den Ausschreibungen für neue Gaskraftwerke teilnehmen können, sagt Albrecht-Suliak.

Kohleregionen wie die Lausitz oder das mitteldeutsche Kohlerevier müssten besonders berücksichtigt werden, um die gemachten sozialen Versprechen zum Kohleausstieg einzulösen, sagt sie. Bei einer Betriebsversammlung im Fußballstadion in Cottbus mit dem Vorsitzenden der IGBCE, Michael Vassiliadis, forderten Mitte Juni mehr als 2000 Beschäftigte der Leag statt Südbonus einen „Transformations­bonus“.

„Im Rahmen der Ausschreibungen neuer Kraftwerkskapazitäten wird ein Instrument der regionalen Steuerung („Süd­bonus“) Anwendung finden“, stellt das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage klar. Damit schaffe das Ministerium einen Anreiz, Kraftwerke an Standorten zu bauen, wo sie benötigt werden, um die Netze zu entlasten und Netzkosten zu sparen, erklärt Mirko Schlossarczyk, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Enervis, zu den Beweggründen des Ministeriums. Der Südbonus könne kurzfristig einen Beitrag zur Versorgungssicherheit un­ter den gegebenen Bedingungen im Energiesystem leisten, sagt er. Das Grundproblem der zu klein dimensionierten Netze bleibe aber bestehen. „Die Probleme werden verschoben, der Wettbewerb wird konterkariert, und es ist noch nicht klar, ob die EU den Mechanismus überhaupt freigeben wird“, sagt Schlossarczyk.

Der Netzausbau sei unabhängig vom Standort neuer Gaskraftwerke wegen des weiteren Zubaus erneuerbarer Erzeugungskapazitäten erforderlich, sagt Armin Eichholz, Vorstandsvorsitzender der Mibrag . Das Energieunternehmen mit Sitz in Zeitz in Sachsen-Anhalt, das zwei Braunkohletagebaue im Süden von Leipzig und ein Braunkohlekraftwerk in Schkopau sowie Wind- und Solarparks betreibt, zählt wie die Leag zu den Aktivitäten der tschechischen Unternehmensgruppe EPH , die von Daniel Křetínský kontrolliert wird. „Die neuen Gaskraftwerke sollten dort entstehen, wo die günstigsten Standort­bedingungen für die kosteneffiziente Erzeugung gegeben sind“, sagt Eichholz.

Am Kraftwerkstandort in Schkopau, der im netztechnischen Norden liegt, könnte ein neues Gaskraftwerk bestehende Kraftwerksinfrastruktur nutzen, eine gut gefüllte Erdgasleitung wäre vorhanden, und das Umspannwerk im nahe gelegenen Bad Lauchstädt würde für eine günstige Netzanbindung sorgen. In einer Ausschreibung mit Südbonus würde sich der Standort wohl trotzdem nicht durchsetzen. „Wenn wir wirklich mehr Kosteneffizienz in der Energiewende wollen, müssen wir auch der Versuchung widerstehen, immer neue Markteingriffe vorzunehmen“, sagt Eichholz. Eine diskriminierungsfreie Ausschreibung sei die Voraussetzung dafür, dass die besten Kraftwerkstandorte gewinnen.

„Wirtschaftliche Entwicklung im Norden und Osten nicht hemmen“

Diese Einschätzung teilt im Grundsatz auch Casimir Lorenz, Managing Director des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research. „Wir haben im Süden aber einen signifikant größeren Anteil an der Last als im Norden und Osten, deshalb ist es wichtig, dass dort auch genügend Erzeugungsleistung steht“, sagt Lorenz. Es gebe deshalb gute Gründe, die Einführung eines Südbonus zumindest bei der Ausschreibung der kurzfristig benötigten Kraftwerkskapazitäten von fünf bis zehn Gigawatt in Erwägung zu ziehen, sagt er. Vor der Anwendung sollte die Bundes­regierung aber prüfen, welche Menge an Erzeugung im Süden mindestens erforderlich ist und ob diese Menge auch diskriminierungsfrei sichergestellt werden könnte, sagt Lorenz.

Das Bundeswirtschaftsministerium betont, dass Kraftwerksinvestitionen im Osten oder Norden mit der geplanten regionalen Steuerung möglich bleiben. „Sie sollen lediglich in einem ausgewogenen Ver­hältnis gesteuert werden, welches sowohl die Netzengpassproblematik als auch andere Stabilitätsaspekte des Stromsystems berücksichtigt“, heißt es aus dem Minis­terium.

Leag-Chef Adi Roesch wirbt ebenfalls für ausgewogene Verhältnisse, denkt dabei aber nicht nur an das Stromsystem: „Entscheidend ist nun, die Kraftwerks­kapazitäten bundesweit ausgewogen zu lokalisieren, um den begonnenen Strukturwandel und die positive wirtschaftliche Entwicklung im Norden und Osten nicht zu hemmen.“