Immer wieder veröffentlichen die Hamas und der „Palästinensische Islamische Dschihad“ Aufnahmen von Geiseln in ihrer Gewalt – offenkundig mit dem Ziel, die israelische und die internationale Debatte zu beeinflussen. Die Stoßrichtung dreier Videos, die seit Donnerstag öffentlich geworden sind, ist die Hungerkrise in Gaza. In ihnen sind zwei stark abgemagerte Männer zu sehen, Rom Braslavski und Evyatar David. Sie flehen um ihr Leben und sagen ihren baldigen Tod voraus, sollten nicht mehr Lebensmittel in das Kriegsgebiet gelangen. Braslavski ist auch deutscher Staatsbürger.
In Israel haben die Videos starken Eindruck hinterlassen – nachdem die Familien der Veröffentlichung zugestimmt hatten. Sie prägten am Montag auch die Debatte über das richtige Vorgehen in dem seit fast 22 Monaten währenden Krieg. Der einflussreiche Vorsitzende des Justizausschusses, Simcha Rothman von der Regierungspartei „Religiöser Zionismus“, kritisierte es, sich die Videos überhaupt anzusehen. Er selbst habe das nicht getan, denn ihr Ziel sei, „uns zu demoralisieren“, sagte er einem Radiosender.
Empörung und Unverständnis
Rothman zog Vergleiche mit Raketen der Hamas. Wenn eine solche abgefeuert werde, „dann stelle ich mich nicht freiwillig hin, um sie direkt in die Brust oder den Kopf zu bekommen“, sondern er suche Schutz. „Daher lasse ich, wenn die Hamas eine Rakete der psychologischen Kriegsführung abfeuert, auch diese nicht freiwillig in meine Augen oder mein Herz eindringen.“ Angehörige von Geiseln kritisierten Rothmans Äußerungen scharf. Ruby Chen, dessen Sohn Itay entführt wurde, warf dem Politiker vor, er „lebt in einer Parallelwelt“.
Nicht nur in dieser Auseinandersetzung wurde deutlich, wie aggressiv Befürworter eines harten Kriegskurses in der Koalition inzwischen die Forderung der Angehörigen nach einer Waffenruhe zurückweisen. In einem Knessetausschuss kam es zu einem erhitzten Wortwechsel. In dessen Verlauf forderte Tally Gotliv, eine für rhetorische Entgleisungen bekannte Abgeordnete der Likud-Partei von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu, Vertreter von Geiselfamilien zum Schweigen auf. „Wenn die Hamas hört, was Sie sagen, wird sie die Entführten nicht freigeben“, sagte sie.
Die Angehörigen der Verschleppten – laut israelischen Angaben noch 50, von denen demnach noch etwa 20 am Leben sind – reagieren auf solche Äußerungen mit Empörung und Unverständnis. Auch die Ankündigung Netanjahus vom Sonntagabend, in Reaktion auf die Geiselvideos die Offensive im Gazastreifen auszuweiten, kritisierten sie. „Netanjahu führt Israel und die Geiseln ins Verderben“, hieß es in einer Mitteilung des „Familienforums“.
Auch die Armeeführung sieht die Pläne des Ministerpräsidenten angeblich mit Skepsis. Generalstabschef Eyal Zamir sagte israelischen Medienberichten zufolge hinter verschlossenen Türen, er werde sich nicht an Militäraktionen beteiligen, die das Leben der Geiseln gefährden. Zamir soll auch „strategische Klarheit“ von der Regierung gefordert haben, was den Gazakrieg angeht. Wie viele andere aktuelle und ehemalige Vertreter von Armee und Geheimdiensten befürwortet er demnach eine neue Vereinbarung mit der Hamas. Das Sicherheitskabinett sei in dieser Frage aber gespalten. Aus Netanjahus Umfeld wird die Schuld am Stillstand der Verhandlungen der Hamas zugewiesen; sie habe kein Interesse an einer Vereinbarung, heißt es.