Die Arbeit ist hart, die Bedingungen sind vor allem kalt. In den Hallen der Döner-Fabrik Birtat in der kleinen Gemeinde Murr nördlich von Stuttgart stecken die Mitarbeiter Scheiben aus gepressten Hackfleisch und Fleischscheiben auf Metallspieße. Immer und immer wieder bis die Metallstangen aussehen wie die riesigen Fleischspindeln, die sich in Tausenden von Imbissbuden in Deutschland und Europa drehen. Danach wuchten die zumeist nur als Metzgergehilfen angestellten Mitarbeiter die zwischen 15 und 100 Kilogramm schweren Döner-Spieße auf Wagen, um sie in den Schockfroster zu fahren. So beschreibt Magdalena Krüger, die Geschäftsführerin der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) in Stuttgart, die Arbeit beim größten Hersteller von Dönerspießen in Baden-Württemberg – und einem der führenden Anbieter in Deutschland. „Das ist körperlich anstrengend, die Temperaturen sind weit entfernt von angenehmen 20 Grad“, erklärt die Gewerkschafterin im Gespräch mit der F.A.Z. Was die rund 115 Mitarbeiter aber seit einigen Monaten noch mehr empört, sei das ungerechte, willkürliche und intransparente Entlohnungssystem, sagt Krüger. Und deshalb haben die Mitarbeiter zusammen mit Betriebsrat und NGG dem Döner-Produzenten den Kampf angesagt.
Seit Anfang Juli bestreiken die Birtat-Beschäftigten ihren Arbeitgeber immer wieder. Mal sind es nur wenige Stunden, dann wieder ganze Tage. Das Ziel ist ein Tarifvertrag, der für die Mitarbeiter einen angemessenen Lohn in einem transparenten System sicherstellt, wie die Gewerkschaft erläutert. Doch die Gespräche mit der Birtat-Geschäftsführung, die nach Angaben von NGG im Frühjahr in konstruktiver Atmosphäre begonnen haben, sind ausgesetzt. Es herrscht Arbeitskampf – die Mitarbeiter wollen sich ihren Tarifvertrag erstreiken. „Wir halten zusammen, wir kämpfen bis zum Vertrag“, sagt Betriebsratschef Muzayfe Doganer der F.A.Z. „Wir sind überzeugt, dass wir das schaffen.“ Wie es in den nächsten Tagen weitergehen soll, verrät er nicht.
Birtat erreicht 13 Millionen Esser im Monat
Sollten die Birtat-Mitarbeiter allerdings Ernst machen und ihre Streikintensität erhöhen, könnten das Döner-Liebhaber in ganz Deutschland spüren. Birtat erreicht nach eigenen Angaben mehr als 13 Millionen Konsumenten im Monat und gehört zur ebenfalls in Murr ansässigen Meat World SE . „Unsere Produkte kann man fast in jeder großen Stadt in Europa verkosten“, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur dpa. Man sei Marktführer. Meat World machte den Angaben des Sprechers zufolge zuletzt einen Jahresumsatz von 200 Millionen Euro. Als Vorstand der Meat World SE fungiert Sahin Güneser, Geschäftsführender Direktor ist Adem Isbir.
Gegründet Anfang der 1990er-Jahre, stellt Birtat Döner-Spieße aus Kalb-, Puten- und Hähnchenfleisch her und exportiert sie seit 1998 auch ins europäische Ausland. In der Fabrik in Murr marinieren die Mitarbeiter das Fleisch, stecken es auf Spieße, bevor diese dann schockgefrostet und ausgeliefert werden.
„Es ist alles ziemlich katastrophal“
Einen Betriebsrat bei Birtat gibt es seit September 2024. In den Monaten nach der Wahl sei der Wunsch nach einem Tarifvertrag in dem Unternehmen immer größer geworden, erklärt der Betriebsratsvorsitzende. „Natürlich ist unsere Arbeit hart, und wir bekommen wegen der harten Arbeit keine neuen Leute“, erläutert Doganer. Ausschlaggebend sei jedoch die Entlohnung gewesen. „Es gibt kein System, es ist alles ziemlich katastrophal. Einer, der lange dabei ist, bekommt 2300 Euro im Monat, einer der gerade angefangen hat 2600 Euro“, sagt der Betriebsrat. „Das geht nicht.“ Entscheidend für die Bezahlung seien bislang persönliche Beziehungen und individuelles Verhandlungsgeschick.
Vor diesem Hintergrund haben die Gewerkschaftsmitglieder bei Birtat Anfang des Jahres eine Tarifkommission gewählt mit dem Ziel, einen Tarifvertrag auszuhandeln. „Weil sich die Gespräche hinzogen und weil den Leuten der Geldbeutel brennt, haben wir nach drei Gesprächsrunden erst einmal eine Pauschalerhöhung von 375 Euro für jeden gefordert“, erklärt NGG-Geschäftsführerin Krüger. „Wir wollten erst einmal Beinfreiheit haben und Entlastung schaffen, um in Ruhe über ein Entgeltraster zu sprechen, das ja oft viele Jahre genutzt wird.“ Das Ziel sei aber immer noch ein Tarifvertrag mit einem Einstiegsgehalt von 3000 Euro.
Danach eskalierte der Streit mit dem Arbeitgeber aus Sicht der NGG: Als Birtat in der vierten Gesprächsrunde erklärte, das Ergebnis könne aus Unternehmenssicht auf keinen Fall ein Tarifvertrag sein, brach die Tarifkommission die Gespräche ab – und die Beschäftigten intensivierten ihre Streiks. Das Unternehmen wollte sich auf Anfrage der F.A.Z weder zu den Gesprächen noch zu den Arbeitsbedingungen und dem Entgeltsystem bei Birtat äußern. Das Vorzimmer verwies am Montag auf eine tagesfüllende Sitzung der Geschäftsführung. Am Abend meldeten sich die Birtat-Chefs dann bei der NGG und boten für Donnerstag eine weitere Verhandlungsrunde an. Bis dahin will die Gewerkschaft die Streiks nun erst einmal aussetzen.
Es wäre der erste Tarifvertrag der Branche
Der Vorstandsvorsitzende des Verbands der Dönerproduzenten Deutschlands (VDD), Hasan Bangus, war am Montag für die F.A.Z. nicht zu erreichen. Er hätte erläutern können, was der Arbeitskampf bei Birtat für die Branche bedeutet. VDD-Finanzchef Erdogan Koc hatte im Frühjahr im Gespräch mit dem „Westdeutschen Rundfunk“ erklärt, dass die Döner-Preise in den kommenden Monaten in Deutschland drastisch steigen könnten. „Experten prognostizieren, dass der Endpreis für Döner – als repräsentatives Produkt der Fleischverarbeitung – in naher Zukunft kurzfristig die Zehn-Euro-Grenze erreichen und mittelfristig sogar überschreiten wird“, hatte Koc als Sprecher des Verbands mit Sitz im baden-württembergischen Remchingen im März gesagt. Durch die Streiks bei Birtat und den daraus folgenden Lieferschwierigkeiten könnte das nun schneller gehen. Und sollten die Arbeitnehmer bei dem Unternehmen in Murr Erfolg haben und sollte das Beispiel Schule machen, wird das den Preis für die Brottasche mit dem Fleisch vom Drehspieß zusätzlich verteuern. Nach Angaben der NGG wäre in der Branche ein Tarifvertrag bundesweit einmalig. Es handle sich um ein Pilotprojekt. Nach Angaben des Verbands der Dönerproduzenten gibt es in Deutschland etwa 400 Dönerhersteller.
Dass die Beschäftigten bei Birtat überhaupt so weit gekommen sind, dass sie nach der Wahl eines Betriebsrats nun zudem für einen Tarifvertrag kämpfen, hält NGG-Geschäftsführerin Krüger für „eine Riesenleistung“. Allein sprachlich sei das keine einfache Aufgabe gewesen, sagt die Gewerkschafterin. In der Firma wird neben Deutsch unter anderem auch Türkisch, Bulgarisch und Rumänisch gesprochen. Nun wollen die Birtat-Mitarbeiter mit Trommeln, Trillerpfeifen und Warnwesten weiterkämpfen – gegen einen Arbeitgeber, der ebenfalls mit harten Bandagen antritt. Mit einer Antrittsprämie von 200 Euro versucht die Geschäftsführung von Birtat, Streikbrecher zu gewinnen. Das sei für die Beschäftigten in dieser Branche nach Angaben der NGG sehr viel Geld. „Aber bis jetzt hat sich keiner darauf eingelassen, wir sind einig, wir wollen den Tarifvertrag“, sagt Betriebsratschef Doganer, der gleichzeitig Mitglied der Tarifkommission ist. Der Arbeitnehmervertreter geht davon aus, dass die Beteiligung an den Ausständen weiter hoch bleibt. Und die Stimmung bei der Geschäftsführung weiter sinkt. „Die sind schon missmutig“, erklärt Doganer. „Das sehen ich an den Gesichtern, wenn sie in den Hallen unterwegs sind.“