Nach der umstrittenen Freilassung eines wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen gesuchten libyschen Polizeichefs hat die italienische Justiz ihre Ermittlungen gegen Regierungschefin Giorgia Meloni eingestellt. Meloni teilte am Montagabend auf mehreren Onlineplattformen mit, das für mögliche Vergehen von Regierungsmitgliedern zuständige Gericht sei zu dem Schluss gekommen, dass sie nicht „im Voraus“ über die Vorgänge informiert gewesen sei. Sie sei deswegen nicht an der Entscheidung beteiligt gewesen, den Libyer abzuschieben.
Der Chef der libyschen Kriminalpolizei, Osama Almasri Nadschim, war im Januar in einem Hotel in Turin festgenommen worden. Nadschim soll Leiter des Mitiga-Gefängnisses in Tripolis gewesen sein und wird wegen Mordes, Vergewaltigung und Folter gesucht, die er seit Februar 2015 begangen haben soll. Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Italien ist Unterzeichnerstaat des Römischen Statuts, des Gründungsdokuments des IStGH, und somit zur Festnahme per Haftbefehl gesuchter Verdächtiger verpflichtet.
Wegen Verfahrensfehlers freigelassen
Nadschim wurde aber zwei Tage nach seiner Festnahme wieder freigelassen, nachdem das Berufungsgericht in Rom einen Verfahrensfehler festgestellt hatte. Er wurde dann mit einem von der italienischen Regierung gecharterten Flugzeug nach Libyen abgeschoben. Das Vorgehen löste Empörung aus.
In der Folge wurden in Italien Ermittlungen nicht nur gegen Meloni, sondern auch gegen Justizminister Carlo Nordio, Innenminister Matteo Piantedosi und den für Geheimdienste zuständigen ranghohen Beamten Alfredo Mantovano eingeleitet. Der Verdacht lautet, dass sie auf die Freilassung und Abschiebung Nadschims hinarbeiteten.
Meloni erklärte am Montagabend, während die Ermittlungen gegen sie eingestellt worden seien, werde das zuständige Gericht Prozesse gegen Nordio, Piantedosi und Mantovano beantragen. Die Regierungschefin bezeichnete dies als „absurd“.
Allerdings gilt es als höchst unwahrscheinlich, dass den beiden Ministern und dem Beamten der Prozess gemacht wird. Dem müsste das Parlament zustimmen, in dem Melonis rechtskonservative Regierungskoalition über eine klare Mehrheit verfügt. Überdies arbeitet Melonis Regierung eng mit libyschen Sicherheitskräften zusammen, wenn es darum geht, Migranten an der Überfahrt nach Italien zu hindern.