Hundert Tage nach Regierungsantritt sind fast drei Viertel der deutschen Unternehmen mit dem Start der neuen Koalition zufrieden. Auch sagen deutlich mehr als zwei Drittel, dass sich die Stimmung der Wirtschaft seitdem aufgehellt habe. Die Betriebe sehen für sich selbst aber keine Verbesserung und glauben auch nicht an die von der Koalition angekündigte Investitionsoffensive: Weit mehr als die Hälfte plant keine zusätzlichen Investitionen. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Ifo-Instituts im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen, die der F.A.Z. vorliegt. Daran haben sich 1200 Betriebe beteiligt, rund 1000 davon sind in Familienhand. Dieses Verhältnis entspreche der Wirtschaftsstruktur in der Bundesrepublik, teilt die Stiftung mit.
Die wichtigsten Forderungen der Geschäftswelt an die neue politische Führung in Berlin betreffen den Bürokratieabbau und eine effizientere Verwaltung. Mehr als 42 Prozent der Befragten verlangen, dass dieses Themenfeld zuerst angegangen werde. Dahinter folgen mit knapp 21 und 19 Prozent die Modernisierung der Infrastruktur und die Senkung der Energiepreise. Jeweils mehr als 15 Prozent dringen auf geringere Steuern und eine Reform der Sozialversicherungen. Überraschenderweise bezeichnen weniger als zehn Prozent die Sicherung von Arbeits- und Fachkräften als prioritär.
Entlastung der Beschäftigten an erster Stelle
Fragt man danach, für wie geeignet die Umfrageteilnehmer einzelne Pläne der Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD halten, sieht das Ergebnis etwas anders aus. Jeweils annähernd 90 Prozent bewerten steuerliche Entlastungen der Arbeit und die Stabilisierung der Lohnzusatzkosten als sinnvoll, mehr als 80 Prozent sagen das von der Verringerung der Stromsteuer. 70 Prozent unterstützen die Idee, die Körperschaftsteuer zu reduzieren. Die Stiftung Familienunternehmen teilt zu den Präferenzen mit, es sei „überraschend, dass die Unternehmen nicht die eigene Entlastung, sondern die Entlastung der Beschäftigten an erster Stelle nennen“.
Rund zwei Drittel der Befragten befürworten es, eine wöchentliche statt eine tägliche Höchstarbeitszeit festzulegen. Ähnlich groß ist die Unterstützung für degressive Abschreibungen (Turbo-Afa). Hingegen findet die geplante Einführung einer Digitalen Agentur für Fachkräfteeinwanderung (Work-and-Stay) keine Mehrheit in der Wirtschaft: Dieses Regierungsvorhaben halten nur 47 Prozent für geeignet oder sehr geeignet.
„Es ist zwar erfreulich, dass sich die Stimmung in den Unternehmen etwas verbessert hat, die wirtschaftliche Trendwende lässt aber auf sich warten“, sagte Rainer Kirchdörfer vom Vorstand der Stiftung Familienunternehmen zu den neuen Zahlen. „Die bisher beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung führen nicht dazu, dass Unternehmen hierzulande mehr investieren.“ Die Ankündigungen der Politik weckten Hoffnung, aber die Unternehmen machten ihr Handeln lieber an Fakten fest. „Wir brauchen in der Politik mehr Tempo und einen deutlich breiteren Reformansatz“, regte Kirchdörfer an.
Den Beginn der neuen Regierung bewerten mehr als vier Prozent aller Betriebe mit der besten Schulnote Eins. Jeweils etwa ein Drittel vergaben eine Zwei oder eine Drei, sodass fast drei Viertel aller Befragten den Start von Schwarz-Rot für gelungen halten. Fast 64 Prozent gaben zu Protokoll, dass sich die Stimmung in der deutschen Wirtschaft seit Merz’ Amtsantritt „etwas verbessert“ habe. Neun Prozent sprachen von „deutlich verbessert“. Mehr als die Hälfte erwartet innerhalb der kommenden Monate eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschlands durch die Politik.
Mehr als die Hälfte plant keine Neuinvestitionen
Für das eigene Unternehmen sehen das aber fast 54 Prozent nicht voraus. Auch antworteten rund 60 Prozent mit Nein auf die Frage, ob sie aufgrund des Handelns der neuen Bundesregierung zusätzliche Investitionen in Deutschland beabsichtigten; die Politik habe keinen Einfluss auf den Zeitplan der Projekte, hieß es.
Nach der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar dieses Jahres, nach der konstituierenden Sitzung des neuen Bundestags am 25. März und dem Unterzeichnen des Koalitionsvertrags am 5. Mai wurde der CDU-Bundesvorsitzende Friedrich Merz am 6. Mai 2025 zum zehnten Kanzler der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Noch am selben Tag wurden er und seine Minister von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier ernannt und im Bundestag vereidigt. So gerechnet, ist der 13. August, also Mittwoch in einer Woche, der hundertste Tag nach Amtsübernahme der neuen Bundesregierung unter der Verantwortung von Friedrich Merz und Vizekanzler Lars Klingbeil (SPD).
In den kommenden Tagen werden weitere Bilanzen zu den ersten drei Monaten der Koalition aus Union und SPD erwartet. Andere Wirtschaftsvereinigungen wie der Industrieverband BDI, der Industrie- und Handelskammertag DIHK sowie die Fachverbände der Automobilindustrie VDA oder des Anlagen- und Maschinenbaus VDMA stellen ähnliche Forderungen wie die Familienunternehmen: einen schnelleren Bürokratieabbau, mehr Flexibilisierung sowie Erleichterungen bei Steuern und Sozialabgaben.