Donald Trumps zunehmend kritische Haltung gegenüber Russland führt zu Irritationen im Verhältnis zu Indien. Als wichtiger Partner der USA in Asien hatte Neu Delhi der zweiten Trump-Regierung mit Zuversicht entgegengesehen. Umso größer ist nun das Entsetzen über die Zolldrohungen und die rhetorischen Angriffe Trumps auf Indien über seine Plattform Truth Social. „Die gezielten Maßnahmen gegen Indien sind ungerechtfertigt und unangemessen“, sagte ein Sprecher des indischen Außenministeriums am Montag, nachdem Trump angekündigt hatte, die Zölle wegen des Kaufs russischen Öls weiter anheben zu wollen.
Zuvor hatte Trump erklärt, die indischen Exporte mit Zöllen in Höhe von 25 Prozent sowie „Strafen“ in ungenannter Höhe belegen zu wollen. Diese Zölle liegen deutlich über denen gegen andere asiatische Länder wie Indonesien, den Philippinen, Vietnam und Japan. „Donald Trump sollte in seiner zweiten Amtszeit gut für Indien sein“, kommentierte die Zeitung „The Indian Express“. „Er hat sich jedoch als Albtraum erwiesen.“ Auch in Washington zeigten sich erfahrene Asienkenner über die verbalen Angriffe gegen Indien erschrocken. Trump riskiere, die Arbeit von 25 Jahren zu ruinieren, warnte der Asien-Fachmann Evan Feigenbaum von der Denkfabrik Carnegie Endowment for International Peace.
In Indien reagierten viele Politiker und Kommentatoren vor allem empört auf den Versuch, Druck auf das Land auszuüben, das mit wachsendem Selbstbewusstsein auf der Weltbühne agiert. Der Ministeriumssprecher warf den USA Doppelmoral vor – und den Europäern gleich mit. Es sei „aufschlussreich“, so der Ministeriumssprecher, „dass genau die Länder, die Indien kritisieren, selbst Handel mit Russland betreiben“. Indiens Importe sollen den Verbrauchern vorhersehbare und erschwingliche Energiekosten sichern. Das Land werde weiter alles tun, um seine nationalen Interessen zu schützen, so der Sprecher. Damit verweist Indien auf seine teils noch sehr arme Bevölkerung.
Öllieferungen waren zuvor nicht Teil der Zollverhandlungen
Die Konfrontation schien aus dem Nichts zu kommen. Erst vor einem halben Jahr war Trumps „echter Freund“ Narendra Modi als einer der ersten Regierungschefs von Trump im Weißen Haus empfangen worden. Zwar hatte Trump Indien wegen hoher Handelsbarrieren und des Handelsbilanzüberschusses gegenüber Amerika schon damals als „Tarif-König“ bezeichnet. Doch Ende Juli verschärfte er plötzlich seine Rhetorik. Indien habe „die strengsten und unangenehmsten nichtmonetären Handelsbarrieren aller Länder“, so Trump.
Die russischen Öllieferungen hatten Medienberichten zufolge bis dahin in den Handelsgesprächen noch gar keine Rolle gespielt. Doch seitdem Trumps Frustration über den russischen Präsidenten Wladimir Putin wächst, hat sich seine Einschätzung offenbar geändert. Am Montag hatte Trump Indien auf Truth Social vorgeworfen, nicht nur riesige Mengen an russischem Öl zu erwerben, sondern einen Großteil auf dem freien Markt mit hohen Gewinnen weiterzuverkaufen. „Es ist ihnen egal, wie viele Menschen in der Ukraine durch die russische Kriegsmaschinerie getötet werden“, schrieb der Präsident.
Trump halte es für „nicht akzeptabel“, dass Indien den Krieg durch den Kauf von Öl aus Russland „weiter finanziert“, hatte zuvor auch der Vize-Stabschef im Weißen Haus, Stephen Miller, gesagt. Die indische Seite konnte ihren Ärger kaum kaschieren. Der Schritt werde als „unverhohlene Nötigung, grobe Einmischung in die indische Außenpolitik“ und angesichts des Ölimportbedarfs Indiens „als unrealistisch“ gesehen, so der Asien-Fachmann Feigenbaum. Es werde in Neu Delhi außerdem als zynischer Versuch verstanden, „für das kollektive Versagen des Westens (und Trumps selbst)“ dabei, Moskau zur Beendigung des Kriegs zu bewegen, Indien die Schuld zu geben.
Indien strebt eine multipolare Weltordnung an
Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar, der für seine analytische und rhetorische Schärfe bekannt ist, stellte seinerseits den Führungsanspruch der USA infrage. „Unser gemeinsamer Wunsch ist eine faire und repräsentative Weltordnung, die nicht von einigen wenigen dominiert wird“, so Jaishankar am Montag. Diese Haltung entspricht der von Neu Delhi seit Langem verfolgten Politik der „strategischen Autonomie“. Darunter verstehen die Inder, dass sie zahlreiche Freundschaften pflegen, sich aber nicht in formalen Bündnissen abhängig von einzelnen Mächten machen wollen. Sie streben eine multipolare Weltordnung mit mehreren Machtzentren an.
Dazu gehört auch, dass Neu Delhi trotz der Invasion der Ukraine weiter enge Beziehungen zu Russland unterhält. Die Verbindungen gehen noch auf die Zeit der Sowjetunion zurück, als Indien der sogenannten Blockfreien-Bewegung angehörte. „Indien und Russland verbindet eine stabile und bewährte Partnerschaft“, hatte Außenministeriumssprecher Randhir Jaiswal am Freitag bei einer Pressekonferenz gesagt. In seinen Bemerkungen schien er auszuschließen, dass sich daran etwas ändern würde.
Tatsächlich hat Indien seit Kriegsbeginn den russischen Angriff nicht verurteilt, sich in den relevanten UN-Abstimmungen enthalten und stets darauf beharrt, dass Russland in Verhandlungen mit einbezogen werde. Modi hatte auch vor gut einem Jahr wieder Moskau besucht, seit einiger Zeit bereiten die indische und die russische Regierung den Gegenbesuch Putins in Neu Delhi vor. Seitdem das russische Öl infolge der von den USA und Europa verhängten Sanktionen billiger geworden ist, ist Indien zudem zum zweitgrößten Importeur russischen Rohöls nach China aufgestiegen. Russisches Öl soll rund 35 Prozent aller indischen Ölimporte ausmachen.
Indien sieht Annäherung von USA und China als Schreckensszenario
Besonders eng sind die Beziehungen zu Russland zudem im Verteidigungsbereich. Rund 60 Prozent des indischen Waffenarsenals soll aus Russland stammen. Dabei hat sich Indien seit einiger Zeit darum bemüht, seine Abhängigkeit von Moskau zu verringern und mehr Rüstungsgüter in den USA, Frankreich und Israel zu kaufen. Auch strategisch hat sich das Land stärker in Richtung Westen orientiert. In Washington gilt Indien schon seit längerer Zeit als Schlüssel für eine zukünftige Machtordnung in Asien. Dem Land mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern trauen die USA am ehesten zu, einen Gegenpol zu China zu bilden.
Ein sichtbares Ergebnis der Annäherung war die Wiederbelebung eines Sicherheitsdialogs zwischen den USA, Japan, Australien und Indien, der sogenannten Quad. Zu den unausgesprochenen Zielen dieses Bündnisses gehört, die aufstrebende Hegemonialmacht China in Asien einzuhegen. Dabei erscheint Trump China, mit dem sich die USA nach eigener Ansicht in einem Systemwettbewerb befinden, derzeit sogar freundlicher gesonnen als dem Partner Indien. Nach einer Handelseinigung zu Seltenen Erden hatte Trump die Beziehungen mit Peking im Juni als „ausgezeichnet“ charakterisiert.
In Indien gilt dabei eine Annäherung zwischen den beiden führenden Mächten USA und China als Schreckensszenario. Auf der anderen Seite waren sich die Inder von Beginn an des Wankelmuts des US-Präsidenten bewusst. Sie stärken ihre Beziehungen auch zu anderen Akteuren, darunter der EU. Am Dienstag hat der philippinische Präsident Ferdinand Marcos Jr. in Neu Delhi eine „strategische Partnerschaft“ seines Landes mit Indien unterzeichnet. Nach jahrelanger Eiszeit haben Indien und China, die sich fünf Jahre zuvor einen blutigen Grenzkonflikt im Himalaya geliefert hatten, ihre Beziehungen wieder aufgenommen.
Modi kann keine Schwäche zeigen
Ein weiterer Störfaktor in den Beziehungen zwischen Indien und den USA ist die rasante Annäherung der USA an Indiens Nachbarn und Erzfeind Pakistan. Trump hatte wiederholt für sich in Anspruch genommen, den Waffenstillstand zwischen den beiden Atomwaffenstaaten im Mai mit seiner Diplomatie herbeigeführt zu haben. Während ihn Pakistan deshalb für den Friedensnobelpreis vorschlagen will, hat Indien eine entscheidende Rolle Trumps wiederholt bestritten. Trump empfing schließlich gar Pakistans Armeechef im Weißen Haus und kündigte eine Zusammenarbeit an, um Pakistans „massive Ölvorräte gemeinsam zu entwickeln“.
In Neu Delhi klang es wie eine Ohrfeige, als Trump dann noch darüber spekulierte, dass Indien vielleicht irgendwann pakistanisches Öl kaufen würde. In Neu Delhi wird gemutmaßt, dass die Trump-Regierung gleichzeitig näher an Peking und Islamabad heranrücke, um Pakistan von China abzukoppeln. Eine Folge der Rhetorik ist, dass die Beziehungen zu den USA in Indien nun auch zu einem brisanten innenpolitischen Thema geworden sind. Die Opposition, die Medien und die indische Öffentlichkeit haben die Regierung aufgefordert, angesichts der Drohungen Trumps keine Schwäche zu zeigen. „Warum hat Modi solche Angst vor Trump?“, fragte die oppositionelle Kongresspartei auf der Plattform X.
Für Modi, dessen Macht auf dem Image der Unbeugsamkeit beruht, erscheint es schwierig, unter diesen Umständen weitere Zugeständnisse an die USA abzusegnen. Als Trump in Washington vor Journalisten erklärte, er habe gehört, dass Indien kein Erdöl von Russland kaufen wolle, wurde dies in Neu Delhi zurückgewiesen. Wie die Agentur Reuters berichtete, sollen zwar einige indische Unternehmen ihre Einfuhren bereits gesenkt haben. Das soll allerdings mit einem Preisanstieg für das russische Öl zu begründen sein.
Bei alledem erscheint die Tür für weitere Verhandlungen zwischen den USA und Indien nicht geschlossen. Die Chancen stünden gut, dass Indien und die USA ihre Verhandlungen fortsetzten, um eine bessere Position zu erreichen, schreibt der Politikwissenschaftler Harsh Pant von der indischen Denkfabrik Observer Research Foundation. Es sei typisch für Trump, erst einmal Druck zu erzeugen, sagte der ehemalige stellvertretende US-Handelsminister Ray Vickery der indischen Nachrichtenagentur ANI. Am Ende werde es womöglich doch zu einer Lösung kommen, die Trump dann als seinen Erfolg verbuchen könne.