Polens Wirtschaft läuft fast wie geschmiert, das Wachstum liegt über drei Prozent. Dennoch hat Andrzej Domański, der neue „Superminister“ für Wirtschaft und Finanzen im Kabinett von Ministerpräsident Donald Tusk, ein paar gravierende Probleme: Die Inflation ist hartnäckiger als erwartet, das Staatsdefizit türmt sich mit über sechs Prozent höher auf, als es dem Land auf Dauer guttut und die EU akzeptiert, auch sinkt die Zustimmung der Wähler im zweiten Jahr der Reformkoalition Tusk. Nun wird an diesem Mittwoch auch noch ein neuer Präsident ernannt. Der dürfte ein noch größeres Problem werden.
Denn Karol Nawrocki, der Mann der oppositionellen PiS, hatte schon im Wahlkampf klargemacht, er habe mit der Regierung und ihren Plänen nicht viel am Hut. Dass der polnische Präsident einer Regierung leicht Knüppel zwischen die Beine werfen kann, hat schon Nawrockis Vorgänger Andrzej Duda bewiesen. Duda unterzeichnete Gesetze nicht, mit denen Tusks Regierung solche ihrer PiS-Vorgänger ändern wollte, verweigerte die Ernennung von Botschaftern. Da Tusks Koalition nur über eine einfache Mehrheit im Parlament verfügt, kann sie das präsidentielle Veto nicht überstimmen.
Der lähmenden Blockade und Zweifeln an der Überlebensfähigkeit seiner Koalition will Tusk nun per Kabinettsreform und mit neuem Schwung entkommen. Statt bisher 26 gibt es nun nur noch 21 Minister. Der konservative Flügel wurde mit der Berufung des Außenministers zum Vizeministerpräsidenten gestärkt, die Energiepolitik in einem neuen Ministerium gebündelt, vor allem aber wurden Wirtschaft und Finanzen in einer Hand zusammengeführt – mit Andrzej Domański als zentraler Figur.
Zuständig für die Zukunft
„Dies ist eindeutig eine Reaktion auf die Niederlage bei den Präsidentschaftswahlen und die Wahrnehmung, dass die Regierung Schwierigkeiten hat, ihre Aufgaben zu erledigen“, sagt Richard Grieveson. Er ist Vizedirektor des auf Osteuropa spezialisierten Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW). In Tusks neuem politischen Dreiklang von „Ordnung, Sicherheit und Zukunft“ ist Domański für die Zukunft zuständig.
Ein Kabinettsneuling ist der vor 44 Jahren in Krakau geborene neue „Superminister“, den manche einen Keynesianer nennen, nicht. Mit der Wahl im Herbst 2023 wurde er nicht nur erstmals ins Parlament, den Sejm, gewählt, der Politnovize wurde auch direkt Finanzminister. Premier Tusk vertraut dem ehemaligen Chefökonomen des Civic Institute, einer Denkfabrik von Tusks’ Bürgerplattform, für die er auch den Wirtschaftsteil im Wahlprogramm mitformulierte. Mit dem Versprechen einer Steuerreform warb die Plattform um jene marktorientierte Wählerschaft der Mittelschicht, die nicht der Hauptadressat der Sozialpolitik der PiS war.
Domańskis Leben hat viele Bezüge zur Wirtschaft, vor allem zum Kapitalmarkt. Nach dem Masterabschluss an der Wirtschaftsuniversität Krakau arbeitet er als Kapitalmarktanalyst und Fondsmanager in der TFI-Investmentgesellschaft, dann drei Jahre als Vorstand. Der ministerielle Lebenslauf gibt zudem Tätigkeiten als Aufsichtsrat in Start-ups an, Auszeichnungen als „bester Börsenfondsmanager“ sowie Lehrtätigkeiten an der Universität.
Rennrad statt Sportwagen
Finanziell hat sich der bisherige Werdegang des verheirateten Vaters einer Tochter offensichtlich ausgezahlt. In seiner Vermögensaufstellung nennt Domański Bar- und Kapitalanlagen in Höhe von mehreren Hunderttausend Euro sein Eigen sowie zwei Wohnungen samt Parkplatz. Ein Auto dafür besitzt er allerdings nicht. Wohl aber ein Rennrad. Das ist ein sieben Jahre altes Colnago XC-Zeor aus Italien.
Zum Radtraining dürfte er allerdings zuletzt nicht viel gekommen sein. Die Bewältigung des schwer defizitären Haushalts, die Preissubventionen für Energie, nicht zuletzt auch das Werben in Brüssel dafür, die über vier Prozent des Bruttoinlandproduktes liegenden Rüstungsausgaben nicht voll auf die Schulden angerechnet zu bekommen, haben ihn in Atem gehalten. Der Streit mit dem Notenbankchef um die Zinspolitik kommt hinzu. Erst unlängst bekräftigte Domański: „Tatsache ist, dass die Realzinsen in Polen hoch sind.“ Der Leitzins beträgt seit der letzten Senkung im Juli fünf Prozent, die Inflation 3,1 Prozent nach 4,1 Prozent im Juni.
Politische Niederlagen waren unausweichlich. Statt Einsparmöglichkeiten nutzten die Ministerien lieber die Möglichkeit, ihre Ausgaben zu erhöhen. Das Etatdefizit stieg 2024, dem ersten Jahr, in dem Domański den Haushalt verantwortete, nicht von umgerechnet 39 Milliarden Euro auf geplante 43 Milliarden Euro, sondern auf 58 Milliarden Euro, woran die staatliche polnische Nachrichtenagentur PAP erinnert. Das waren 6,7 Prozent des BIP, gut doppelt so viel, wie im EU-Raum zulässig ist. Das sorgte nicht nur bei der EU-Kommission für Stirnrunzeln, auch wenn die Lehrer sich um eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent freuten.
Zweithöchstes Defizit in der EU
Die im Wahlprogramm versprochene, Domański offenkundig am Herzen liegende, mehrfach angekündigte Erhöhung des Freibetrags auf die Kapitalertragsteuer („Belka-Steuer“) blieb er bis heute schuldig. Jetzt ist vom Wahljahr 2027 die Rede, vielleicht auch 2026. Denn im Etat fehlt das Geld für diese Steuersenkung.
Die wachsende Staatsverschuldung und die Haushaltslücke Polens seien für Domański eine Herausforderung, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Grieveson. Denn die Anleger fürchteten, „dass der erwartete Kampf zwischen Tusk und dem neuen, von der Opposition unterstützten Präsidenten Karol Nawrocki die Bemühungen zur Reduzierung des Haushaltsdefizits behindert“. Das sei immerhin das zweithöchste in der EU, nach Rumänien.
Tusk will das fehlende Geld im Haushalt über eine Steigerung des Wachstums organisieren. Doch dessen Tendenz zeigt dafür in die falsche Richtung. Im vergangenen Monat hatte das Finanzministerium seine Jahresprognose für den Zuwachs des Bruttoinlandproduktes von 3,7 auf 3,4 Prozent gesenkt. Keine andere Volkswirtschaft in Ostmitteleuropa wächst so kräftig wie die polnische. Der robuste und widerstandsfähige Binnenmarkt sei in der Lage, externe Schocks gut abzufedern, beobachten Ökonomen.
Dennoch sind die ausländischen Investitionen in den vergangenen Jahren gesunken. Domański soll das ändern. Die „wichtigste Initiative“ sei der „Aufbau eines echten finanziellen und wirtschaftlichen Zentrums der Regierung“, sagte Tusk. Das neue Wirtschaftsministerium solle die zentrale Anlaufstelle für in- und ausländische Wirtschaftsinstitutionen und Unternehmen sein. Um Investitionen anzukurbeln, hatte die polnische Regierung bereits Ende Juni neue Fördermaßnahmen für Investoren in ausgewählten Regionen beschlossen. Das hält Domański nicht davon ab, mit dem Aufbau eines „Kompetenzzentrums“ gegen Steueroptimierung von Konzernen vorzugehen, die mithilfe hoher interner Verrechnungspreise ihre in Polen ausgewiesenen Gewinne und damit die zu zahlende Körperschaftsteuer minimierten.
Solange das Wirtschaftswachstum stark bleibe, sei das Defizit beherrschbar. Dennoch könne die Regierung die Haushaltskonsolidierung trotz der spätestens 2027 anstehenden Parlamentswahlen „nicht ewig aufschieben“, sagt Grieveson: „Die Ernennung von Domański und die Schaffung des Superministeriums spiegeln zum Teil den Wunsch wider, entschlossenere Maßnahmen zur Haushaltskonsolidierung ergreifen zu können, falls diese notwendig werden sollten – aber sie werden hoffen, das vermeiden zu können.“