Drogenbanden in Frankreich: „Wir werden sogar die Fünfjährigen töten“

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Im Kampf gegen die organisierte Kriminalität verhängen immer mehr französische Kommunen nächtliche Ausgangssperren für Minderjährige. Auch linke Bürgermeister haben sich in diesem Sommer dazu entschlossen. „Viele Eltern bedanken sich bei mir“, sagt Karim Bouamrane, der sozialistische Bürgermeister von Saint-Ouen bei Paris. Zwischen 23.30 und 6 Uhr dürfen sich Minderjährige unter 16 Jahren in dem Pariser Vorort nicht mehr allein im öffentlichen Raum aufhalten. Wer aufgegriffen wird, wird auf das Polizeirevier mitgenommen, wo ihn seine Eltern abholen und ein Bußgeld von 35 Euro entrichten müssen.

Bürgermeister Bouamrane begründet die Ausgangssperre mit dem Anstieg der Jugendkriminalität um acht Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Viele Minderjährige seien während der Ferien eine leichte Beute für Rauschgiftbanden, die sie mit guter Bezahlung lockten und als Späher einsetzten. Der Sozialist verweist auf den Film von Spike Lee „Do the Right Thing“, der eine städtische Revolte in New York mitten im Sommer nachzeichnet. „Oftmals verschärfen sich in dieser Jahreszeit die Spannungen aufgrund der Hitze und der Langeweile, weil man nicht in den Urlaub fahren kann“, meint er. In Saint-Ouen sei die Strategie, so viele Sommeraktivitäten wie möglich anzubieten und zugleich die Eltern in die Verantwortung zu nehmen. Die Ausgangssperre bleibt bis zum 31. Oktober in Kraft.

Der Vorort im Nordosten von Paris ist längst kein Einzelfall. Bandenkriege, Rauschgifthandel und nächtliche Jugendkrawalle haben in diesem Sommer auch einst beschauliche Provinzstädte wie Limoges, Compiègne, Vendôme, Rennes, Pau oder Nîmes erreicht. In annähend 20 Kommunen sind während der Ferienzeit nächtliche Ausgangssperren für Minderjährige in Kraft. In Nîmes dient das Verbot auch dem Ziel, Kinder und Jugendliche vor Gewalt zu schützen.

Rauschgiftbanden drohen: „Wir werden sogar die Fünfjährigen töten“

Immer wieder erschüttern Schießereien von Dealern Wohngebiete in Nîmes. Gegen die Gewalt hat sich auch ein Law-and-Order-Mann wie Jean-Paul Fournier von der rechtsbürgerlichen Partei Les Républicains (LR) machtlos erwiesen. Der 79 Jahre alte Bürgermeister hat seit 21 Jahren die Verschlechterung der Sicherheitslage mehr begleitet denn aufhalten können. Mit der Ausgangssperre will er verängstigte Ladenbesitzer und Eltern beruhigen. In den sozialen Netzwerken verbreiteten Rauschgiftbanden Drohungen: „Wir werden sogar die Fünfjährigen töten, halten Sie Ihre Kinder in Sicherheit. Jeder wird mit Kugeln durchsiebt.“

Die Polizei in Nîmes hat die Urheber bislang nicht gefasst. Die Drohung wird jedoch ernst genommen, denn im Internet kursieren Videos, in denen schwarz gekleidete Männer am helllichten Tag mit Kalaschnikows bewaffnet durch die Gassen eines Viertels von Nîmes laufen. Die Ausgangssperre solle Minderjährige schützen, die nichts mit dem Drogenhandel zu tun haben, heißt es aus dem Rathaus. Der Erlass betrifft sechs besonders vom Rauschgifthandel betroffene Wohnviertel.

„Wir müssen uns etwas anderes einfallen lassen, damit die Bevölkerung sich nicht zu Hause eingesperrt und im Stich gelassen fühlt“, forderte Raouf Azzouz, der das Sozialzentrum Les Mille Couleurs in Nîmes leitet. Der linke Bürgermeister von Carpentras, Serge Andrieu, verteidigt die Ausgangssperre als soziale Maßnahme. „Viele Eltern haben in der Erziehung ihrer Teenager aufgegeben“, sagte er der Zeitung „Midi Libre“. „Wenn ein Dreizehnjähriger nachts von der Polizei aufgegriffen und auf das Polizeirevier gebracht wird, dann wirkt das“, so der Bürgermeister. Er wolle die Jugendlichen vor den Gefahren schützen. „Man kann links sein, aber nicht naiv“, meint Andrieu. Er habe die Augen nicht vor der grassierenden Rauschgiftkriminalität in seiner 30.000-Einwohner-Stadt schließen können.

Frankreich will Häftlinge nach Guayana schicken

Innenminister Bruno Retailleau (LR) hat der Rauschgiftkriminalität wiederholt den Krieg erklärt und Justizreformen angekündigt. Doch auch Frankreich wird von einer Welle von Kokain und synthetischen Drogen überschwemmt, seit die Vereinigten Staaten ihre Maßnahmen verschärft haben. Seit Jahresbeginn kam es zu Rekordbeschlagnahmungen der verbotenen Drogen. Der Staat habe die Kontrolle in vielen Vierteln verloren, warnt die rechte Polizeigewerkschaft Alliance. Die Ankündigungen der Politiker seien gut, aber es fehle an Personal, um die Rauschgiftkriminalität effektiv zu bekämpfen, sagte Alliance-Sprecher Eric Henry. Für die Polizeigewerkschaft Unité ist die Ausgangssperre „keine dauerhafte Lösung gegen den Rauschgifthandel“. „Junge Straftäter schießen am helllichten Tag ungestraft auf Menschen“, sagte der Unité-Sprecher Wissem Guesmi. „Eine Ausgangssperre wird sie sicherlich nicht davon abhalten.“

Um „den Kampf gegen die Rauschgiftkriminalität radikal zu verändern“, setzt Justizminister Gérald Darmanin auf einen besseren Strafvollzug. Denn viele Drogenringe werden von verurteilten Straftätern geleitet, die ihre Aktivitäten in Haft fortsetzen. Das soll im neuen Hochsicherheitstrakt der Haftanstalt in Vendin-le-Vieil in Nordfrankreich nicht mehr möglich sein. Ende Juli wurden „die ersten 17 Drogenhändler“ in den Hochsicherheitstrakt überführt, wie der Minister mitteilte. Darunter ist der Drogenhändler Mohamed Amra mit dem Decknamen „The Fly“, dessen blutige Flucht im Mai 2024 zwei Gefängnisbeamten das Leben kostete. In einer weiteren Haftanstalt in Condé-sur-Sarthe im Westen des Landes wird ein weiterer Hochsicherheitstrakt eingerichtet.

Darmanin sagte, er warte zudem auf die Baugenehmigung für ein neues Gefängnis in Guayana für gefährliche Insassen, die er vom französischen Mutterland „dauerhaft entfernen“ wolle. Der Plan, Straftäter nach Südamerika zu verfrachten, kommt in Guayana nicht gut an. Das heutige Übersee-Departement diente der ehemaligen Kolonialmacht 150 Jahre lang als Straflager für etwa 70.000 Häftlinge. Der Justizminister hat nach eigenen Worten eine Liste von „500 bis 600 Drogenhändlern“ erstellt, die zu den gefährlichsten des Landes zählen. Damit will er Clans in Marseille wie DZ Mafia und Yoda das Handwerk legen, die auf Telegram Killer anwerben, um Verteilungskämpfe zu regeln.

Doch die großen spektakulären Säuberungsaktionen haben bislang kaum Ergebnisse gezeigt. Der Lockdown während der Corona-Pandemie hat zudem eine „Uberisierung“ des Rauschgifthandels beschleunigt. Kunden bestellen ihre verbotene Ware im Internet und werden von „Drogentaxis“ beliefert. „Die Bedrohung ist massiv und auf alle Landesteile verteilt“, heißt es in dem gerade veröffentlichten Bericht der Anti-Drogen-Behörde OFAST. Die Drogenkriminalität habe im vergangenen Jahr 110 Tote und 341 Verletzte gefordert. Der größte kriminelle Markt Frankreichs erreiche fortan einen Umsatz von sieben Milliarden Euro.