Wie sinnvoll sind Gutschriften auf Plastik?

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Stand: 06.08.2025 11:07 Uhr

Weniger Abfall, mehr Recycling: In Genf verhandeln zahlreiche Staaten über ein UN-Plastikabkommen. Eine Idee ist ein Gutschriftsystem für Plastik. Ist das der richtige Weg? Forschende sind skeptisch.

Getränkeflaschen, Lebensmittelverpackungen oder Spielzeug: Auch in Entwicklungs- und Schwellenländern besteht eine Menge aus Kunststoff. Was es in vielen dieser Länder aber nicht gibt, ist eine Abfallwirtschaft auf Augenhöhe mit dem Abfallaufkommen.

Viel Müll bleibt gleich am Straßenrand liegen. Oder er landet auf Müllkippen – nicht zu verwechseln mit Deponien, die seitlich und nach unten gegen das Grundwasser abgedichtet sind. Wind und Regen tragen Plastiktüten und ähnliches davon. So landet rechnerisch jede Minute eine Lastwagenladung Plastik im Meer, sagt der UN-Weltabfall-Bericht. Immer wieder wird der Müll auch einfach angezündet. Dann entstehen toxische Abgase und Schadstoffe können in den Boden oder in Gewässer sickern.

Plastik ist nicht gleich Plastik

Ein Gutschriftsystem soll helfen, zumindest den Plastikmüll aus der Umwelt zu holen: Firmen, die Kunststoff in Umlauf bringen, etwa als Verpackungen, können eine Tonne solcher Produkte ausgleichen durch eine Tonne eingesammelten Kunststoffmüll. Mit diesen sogenannten Plastic Credits finanzieren sie Projekte in Ländern, denen es an einer Abfallwirtschafts-Infrastruktur fehlt.

Allerdings werden dabei gut recycelbare PET-Getränkeflaschen gleichgesetzt mit einer Mischung aus allem, was am Straßenrand oder am Strand zu finden ist – und von dem sich vieles nicht recyceln lässt. “Sehr viele Verpackungen bestehen aus mehreren Kunststoffschichten, die sich nur schwer trennen lassen”, sagt Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung, die sich seit langem mit Plastikmüll im Meer beschäftigt. Weltweit liegen die Recyclingquoten unter zehn Prozent. In der Umwelt wird Plastik nicht abgebaut, sondern nur zu immer kleineren Teilchen zerrieben; sie breiten sich in Gewässern und Böden aus.

Um Kunststoffabfall wieder zu neuem Kunststoff zu recyceln, muss er sortenrein getrennt werden und darf auch nicht zu schmutzig sein. Aus bunten Mischungen lässt sich zumindest aber auch Energie zurückgewinnen – im Kunststoff steckt schließlich Erdöl. Auch bei uns landet der Sortierrest aus den Gelben Säcken und Tonnen als Ersatzbrennstoff in Zementwerken. Diese betreiben eine aufwändige Abgasreinigung.

Giftige Abgase statt Recycling

Danone Aqua, Marktführer für Wasser in Flaschen in Indonesien, wollte in seinem Plastic Credit-Projekt Ersatzbrennstoff in Form von Kunststoffbriketts vermarkten. Schon bei der Herstellung entstanden giftige Abgase. Und die Briketts landeten dann nicht etwa in Zementwerken, sondern in den einfachen Öfen von Wäschereien – ohne die nötige Abgasreinigungs-Technik. Nach Protesten von Anwohnern und Umweltorganisationen wurde das Projekt gestoppt.

In anderen Projekten werden sortenrein getrennte Kunststoffabfälle geschreddert und die Pellets in Länder wie Südkorea exportiert, wo neuer Kunststoff daraus entsteht. Aber das geht, anders als etwa bei Glas, nicht beliebig oft. Letztlich wird der Kunststoff doch wieder zu Abfall, landet vielleicht wieder am Straßenrand, auf der Müllkippe oder gleich im Meer.

Verlagerung der Verantwortung auf den Privatsektor

“Plastic Credits verschieben die Verantwortung vom Staat auf den Privatsektor”, sagt Sangcheol Moon, Umweltwissenschaftlerin an der University of California in Berkeley. “Kurzfristig mag das die Belastung der Länder verringern. Aber langfristig gefährdet es das Ziel, eine öffentliche Infrastruktur aufzubauen, um Plastikabfall adäquat behandeln zu können.” Dieses langfristige Ziel ist: eine Abfallwirtschaft, die das Müllaufkommen wirklich bewältigen kann – mit Sammlung, Verwertung und, wenn nötig, Beseitigung in sicheren Anlagen.

Auch hierzulande kümmern sich Unternehmen um Abfall, der aus ihren Produkten entsteht – beispielsweise im System der Gelben Säcke und Tonnen oder beim Elektroschrott. Erweiterte Herstellerverordnung heißt dieses Konzept, das aber ein Teil der Abfallwirtschaft ist und sie nicht, wie in Entwicklungsländern, ersetzen muss. Zudem ist ein Ziel dieser Konzepte auch, die Recyclingfähigkeit etwa von Kunststoffverpackungen zu verbessern oder sie gleich zu vermeiden. Entsprechende Innovationen werden mit geringeren Gebühren belohnt. Solche Anreize fehlen bei den Plastic Credits.

Sehr viel Geld wird gebraucht

Melanie Bergmann und Sangcheol Moon gehören zur “Scientists Coalition for an Effective Plastics Treaty” die an den Verhandlungen zum UN-Plastikabkommen vom 5. bis 14. August 2025 in Genf teilnimmt.

Zwar bringen Plastic Credits Geld in Länder, die vom Müllaufkommen überfordert sind. Aber in einzelne private, freiwillige Projekte, nicht in den Aufbau einer öffentlichen Infrastruktur. “Es ist kein verlässlicher Finanzstrom”, gibt Bergmann zu bedenken, „und kann den geschätzten jährlichen Finanzierungsbedarf von circa 240 Milliarden US-Dollar bis 2040 nicht decken.”

Dieses Geld wird gebraucht, damit in all den Ländern ohne eine Müllabfuhr der Müll nicht mehr auf der Straße oder auf unzulänglichen Müllkippen landet. Damit er nicht mehr Böden, Wasser und Luft belastet, sondern im besten Fall recycelt wird. Und um eine Abfallwirtschaft aufzubauen, die all dies gewährleistet und möglichst auch Anreize für besser recycelbare Abfälle schafft – oder dafür, sie gar nicht erst entstehen zu lassen.