Schöne Steckdosen | FAZ

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Es gibt Dinge, die so allgegenwärtig sind, dass man sie im Alltag kaum wahrnimmt. Vielleicht, weil sie immer gleich aussehen – und meistens langweilig. Zum Beispiel Steckdosen: Die verstecken sich hinter Sideboards, unter Schreibtischen, in Wandnischen und Fußleisten, und wenn sie sich doch mal zeigen, dann nur selten in einer Aufmachung, die ihrer zentralen Rolle in unserem doch zunehmend verkabelten Alltag gerecht wird.

Kurios eigentlich in einer Welt, in der selbst Zahnbürsten und Kaffeevollautomaten wie Designerstücke aussehen. Die Steckdose bleibt ihrem Wesen als ungekrönte Königin der visuellen Langeweile treu. Gut, es gibt Ausnahmen. Aber wenige. So stellte die für ihre humorigen Stücke bekannte Designerin India Mahdavi im März einen rosafarbenen Sessel vor, in dem scheinbar wahllos zehn strahlend gelbe Steckdosen eingelassen sind.

Experimentelle Oberflächen

Ein weiterer Lichtblick kommt von der dänischen Marke Pedestal. Die hat sich mit dem Designer Willem van Hooff zusammengetan, um dem Stromanschluss etwas mehr Präsenz zu verpassen. Herausgekommen ist eine Serie von skulpturalen Steckdosenleisten mit dem Namen „Power Gems“. Die haben mit der üblichen Mehrfachsteckdose so viel gemeinsam wie ein Chipperfield-Bau mit einer schnöden Reihenhaussiedlung.

Denn van Hooffs „Power Gems“ sehen aus wie Felsformationen. Der Niederländer, der für seine ausdrucksstarken Keramiken gefeiert wird, ließ den Ton dafür bewusst in sich zusammensinken wie vulkanisches Gestein nach einem Erdstoß. So entstanden organische Formen, in die transparente Drei- oder Sechsfachstecker aus Kunststoff wie Fossilien eingelassen sind.

Van Hooff gab den Keramikkörpern 3D-gedruckte Vertiefungen, die er so dimensionierte, dass sie die Schrumpfung des Tons im Brennofen berücksichtigen. Statt die Farbe der Glasur an die Farbe der Stecker anzupassen, wie er es ursprünglich vorhatte, arbeitete der Niederländer mit experimentelleren Oberflächen, die an gesprenkelten Granit und Sedimentschichten erinnern.

„Altäre des Alltags”

Die wuchtigen Keramikkörper sind bewusst so konzipiert, dass sie so viel Platz wie möglich einnehmen. Schließlich seien Steckdosen und WLAN-Router die „Altäre des Alltags“, argumentiert der Designer. Nur wenige Gegenstände in Haus oder Wohnung seien heute so wichtig. Und deshalb dürften sie ihren Platz im Raum auch durchaus behaupten. So sind die Keramik­kolosse des Designers weniger Gebrauchsgegenstand denn Statement.

Natürlich bleiben auch sie vor allem Liebhaberstücke. Die Kollektion ist limitiert, handgefertigt, und vermutlich teurer als die meisten Kaffeemaschinen, die daran angeschlossen werden. Was zählt, ist der Gedanke. Der lautet: Auch Strom darf schön sein. Oder zumindest sichtbar. Und wer weiß: Vielleicht bekommt bald auch der WLAN-Router einen Altar aus Stein. Oder generell ein schöneres Outfit. Verdient hätte er es ­allemal.

„Was für ein Ding“ erscheint alle zwei Wochen.

„Was für ein Ding!“

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