Für die SPD ist es ein politischer Durchbruch. Mit Unterstützung von CDU und CSU hat sie am Mittwoch gleich zwei große Gesetzesvorhaben durch das Bundeskabinett gebracht, mit denen sie in der Ampelkoalition an Bedenken der FDP gescheitert war: Zum einen wird der Nachhaltigkeitsfaktor in der Rentenformel bis zum Jahr 2031 ausgeschaltet, damit die Renten stärker steigen.
Zum anderen hat sie neue Lohnvorschriften für Unternehmen durchgesetzt, die Staatsaufträge ausführen wollen, also etwa öffentliche Investitionen. Mit beiden Projekten, dem Renten- und dem sogenannten Tariftreuegesetz, stand sie seit vielen Jahren bei den Gewerkschaften im Wort. Beide sollen nach der Sommerpause im Bundestag beschlossen werden.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zeigte sich allerdings nur teilweise zufrieden. Er sieht in der nun vom Kabinett beschlossenen Steigerung der Rentenerhöhungen nur einen ersten „wichtigen Schritt“ auf dem Weg hin zu einer vollständigen Revision der Rentenreformen, die um die Jahrtausendwende beschlossen wurden, um die Alterssicherung demographiefest zu gestalten. „Für eine bessere Absicherung im Alter ist eine Anhebung des Rentenniveaus auf 50 Prozent erforderlich“, sagte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. „Die im Koalitionsvertrag vereinbarte Rentenkommission hat jetzt die Chance, Fehler der Rentenpolitik der 2000er-Jahre zu beheben.“
Weitere Erhöhung der Mütterrente
Die nun geplante Stilllegung des Nachhaltigkeitsfaktors wird politisch auch als „Haltelinie“ oder „Stabilisierung des Rentenniveaus bei 48 Prozent“ bezeichnet. Dieser Faktor, den die rot-grüne Regierung 2003 beschlossen hat, dient dazu, den Anstieg der Rentenausgaben etwas zu verlangsamen, wenn es mehr Rentner und weniger Zahler gibt. Er sorgt dann dafür, dass die jährlichen Rentenerhöhungen etwas geringer ausfallen als der Anstieg des allgemeinen Lohnniveaus, um die Beitragszahler nicht zu überfordern.
Derzeit beträgt die Kenngröße Rentenniveau – eine mathematische Relation zwischen Renten und Löhnen – 48 Prozent. Wenn diese nun auf 48 Prozent festgeschrieben wird, schaltet dies den Nachhaltigkeitsfaktor aus. Diese Größe verringert sich, sobald die Renten langsamer steigen als die Löhne. Die Forderung des DGB nach einem Rentenniveau von 50 Prozent zielt indes sogar darauf, die Renten in den kommenden Jahren regelmäßig stärker zu erhöhen als die Löhne.
Die aktuell geplante „Haltelinie“ erhöht die beitrags- und steuerfinanzierten Rentenausgaben bis zum Jahr 2040 um insgesamt mehr als 130 Milliarden Euro. Sie werden der Rentenversicherung dem Kabinettsbeschluss zufolge aus dem Bundeshaushalt erstattet. Gleiches gilt für die weitere Erhöhung der sogenannten Mütterrente, mit der sich die Mehrausgaben bis 2040 auf 200 Milliarden Euro erhöhen. Hierbei geht es um Rentenansprüche, die Müttern für Erziehungszeiten gutgeschrieben werden, in denen sie keine Beiträge gezahlt haben.
„Fehler mit langfristigen Folgen“
Für diesen Teil des Pakets hatte vor allem die CSU gekämpft. Das machte es der SPD politisch leichter, Bedenken der CDU zu überwinden. Ihr Generalsekretär Carsten Linnemann hatte sich zu Ampelzeiten gegen „zu viel Sozialpolitik mit der Gießkanne“ gestellt, weshalb es keine weitere Erhöhung der Mütterrente geben werde. Beide Teile des Rentenpakets gelten auch deshalb als problematisch, weil sie nicht gezielt Bedürftigen helfen: Von den Mehrausgaben fließt der Großteil an Bezieher mittlerer und höherer Renten.
Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) sprach von einer „klaren Botschaft an alle Generationen: Die Rente bleibt stabil und gerecht.“ Wichtig sei, dass die bis 2031 anfallenden zusätzlichen Rentenerhöhungen auch später nicht gekürzt würden. „Davon profitieren besonders die Jüngeren, die heute arbeiten und unser Land am Laufen halten“, sagte sie.
Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger stufte das Paket hingegen als „Fehler mit langfristigen Folgen“ ein, als „Boomerang für kommende Generationen“. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bleibe aufgefordert, seinen Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Die Regierung müsse noch in diesem Jahr Reformvorschläge vorlegen, „damit unser Sozialstaat finanzierbar bleibt“.
Abgeleitet aus einzelnen Tarifverträgen
Ein zweiter Meilenstein für die SPD ist das sogenannte Tariftreuegesetz, das nun ebenfalls vom Kabinett beschlossen wurde. Neben anderen Vergabebedingungen müssen Unternehmen damit künftig Vorgaben zu Lohnhöhen, Sonderzahlungen und Urlaubsansprüchen einhalten, um öffentliche Aufträge des Bundes ausführen zu dürfen. Bisher vergeben Behörden und Unternehmen des Bundes jährlich etwa 16.000 Aufträge im Umfang von mehr als 50.000 Euro. Mit dem neuen schuldenfinanzierten Investitionsprogramm sollen es deutlich mehr werden.
Die konkreten Vorgaben für einzelne Branchen leitet das Ministerium dabei aus vorhandenen Tarifverträgen ab. Betrieben, für die diese Tarifverträge ohnehin gelten, entsteht damit geringer Mehraufwand. Andere hingegen müssen ihre Arbeitsbedingungen für die mit dem Auftrag befassten Arbeitnehmer ändern und dies umfangreich belegen. Das trifft auch Betriebe mit Tarifvertrag, falls dieser die ministeriellen Vorgaben nicht erfüllt.
Deutliche Kritik daran kommt nicht nur aus der Wirtschaft, sondern ebenso vom Normenkontrollrat, dem Bürokratiewächtergremium der Regierung. Mit dem Gesetzentwurf werde „überflüssige Bürokratie verursacht, weil er auch bereits tarifgebundene Unternehmen erfasst“, schreibt der Rat in einer Stellungnahme. Er fordert, alle Betriebe mit Tarifvertrag als tarifgebunden anzuerkennen. Überdies gebe die Regierung die zu erwartende Bürokratiebelastung im Entwurf unvollständig an.
Arbeitsministerin Bas vertrat die Auffassung, dass das neue Regelwerk die Tarifbindung stärke und „den Wert sozialpartnerschaftlicher Lösungen“ unterstreiche. Der Maschinenbauverband VDMA wertete das Gesetz hingegen als Dokument des „Misstrauens gegenüber Unternehmen in Deutschland“. Dies werde auch nicht durch geplante Vereinfachungen anderer vergaberechtlicher Regeln aufgewogen. Statt Bürokratieabbau liefere die Koalition „Bürokratieverschiebung“.