Jonathan Koomey forscht seit drei Jahrzehnten zur Energieeffizienz von Computern. Er hält es für unwahrscheinlich, dass der Welt wegen Rechenzentren der Strom ausgeht. Techfirmen wirft er vor, mit einer falschen Dringlichkeit für KI zu werben.

Auf dieser Baustelle in Fayetteville, im US-Gliedstaat Georgia, entsteht ein riesiges Rechenzentrum der Firma QTS. Das Projekt ist auf Widerstand durch Anwohner gestossen, die sich gegen den Bau neuer Stromleitungen über ihren Grundstücken wehren.
Jonathan Koomey ist Experte zum Thema Energieeffizienz im IT-Sektor. 2010 formulierte er das nach ihm benannte Koomeysche Gesetz. Dieses beschreibt, wie die Energieeffizienz von IT-Systemen seit der Erfindung des digitalen Computers 1946 exponentiell zugenommen hat. Koomey forschte lange am Lawrence Berkeley National Laboratory in Kalifornien und hatte Gastprofessuren an den Universitäten Stanford, Yale und Berkeley in den USA inne. Heute ist er als Geschäftsführer seiner eigenen Forschungsfirma, Koomey Analytics, tätig.
Herr Koomey, keine Technologie bekommt heute so viel Aufmerksamkeit wie die künstliche Intelligenz. Täglich lesen wir von ihren Versprechungen, aber auch von Risiken wie dem rasant wachsenden Energieverbrauch von KI-Rechenzentren. Droht tatsächlich eine Energiekrise?
Nein. Der Stromverbrauch von KI bewegt sich zurzeit global gesehen auf tiefem Niveau. Gemäss der Internationalen Energieagentur (IEA) machen Rechenzentren rund 1,5 Prozent des weltweiten Stromverbrauchs aus. Davon entfällt zirka ein Fünftel auf KI. Das heisst, KI nimmt heute nur etwa 0,3 Prozent der globalen Stromproduktion in Anspruch. Selbst wenn sich der Energieverbrauch von KI in den nächsten Jahren verdoppelt oder gar verdreifacht, ist das noch lange keine Krise.
Jonathan Koomey, Experte für Energieeffizienz im IT-Sektor.
In Ländern wie Irland stellen Rechenzentren inzwischen rund 20 Prozent des Stromverbrauchs. Ist das nicht besorgniserregend?
Ja, eine ähnliche Situation hat man zum Beispiel im Gliedstaat Virginia in den USA. Auch dort machen Rechenzentren einen grossen Teil der Stromnachfrage aus. Aber es ist ein lokales Problem, auf nationaler Ebene wächst der Stromverbrauch von Rechenzentren in den USA nur moderat. Zwischen 2023 und 2024 lag der Anstieg bei 2 Prozent. Das Gleiche gilt ungefähr auch für Europa. Es gibt zwar eine Konzentration von Rechenzentren in Irland. Aber auf europäischer Ebene sehe ich auch keinen Grund dafür, von einem explosionsartigen Wachstum der Stromnachfrage durch Rechenzentren zu sprechen.
Wie erklären Sie sich denn den öffentlichen Diskurs um einen rasant steigenden Stromverbrauch durch Rechenzentren und KI?
Ich denke, die Stromversorger freuen sich über solche Prognosen. Sie profitieren davon, wenn die Stromnachfrage wächst. Und auch die Techfirmen haben ein Interesse daran, dass neue Kraftwerke gebaut werden. So können sie sicher sein, dass sie den Strom auch bekommen, wenn sie ihn brauchen. Beide Seiten profitieren also davon, das Narrativ von stark wachsender Stromnachfrage zu fördern. Kürzlich hat Eric Schmidt, der ehemalige CEO von Google, in einer Anhörung im Kongress gesagt, man müsse dringend die Stromerzeugungskapazität ausbauen, um den Bedarf von KI zu decken. Ich halte das für falsch.
Warum sind Sie so skeptisch?
Zum Teil deshalb, weil ich mich seit dreissig Jahren mit der Energieeffizienz von Computersystemen beschäftige. Und es ist nicht das erste Mal, dass solche alarmistischen Szenarien propagiert werden. Wir hatten Ende der neunziger Jahre die gleiche Diskussion. Damals sagten manche voraus, die Stromnachfrage würde durch die Verbreitung des Internets massiv ansteigen. Das nutzte man dann als Argument, um für den Bau neuer Kohlekraftwerke zu plädieren.
Und was ist in Wirklichkeit passiert?
Der Stromverbrauch von Rechenzentren verdoppelte sich zwischen 2000 und 2005. Aber dann folgte eine Phase von nur mässigem Wachstum. Von 2010 bis 2018 zum Beispiel nahm der Stromverbrauch von Rechenzentren nur um 6 Prozent zu. Und das, obwohl sich im selben Zeitraum die Anzahl Internetnutzer versechsfachte und der Datenverkehr im Internet sogar um das Zehnfache wuchs. Ein wichtiger Faktor dabei war die Umstellung auf die Cloud. Dadurch konnten viele kleine, ineffiziente Rechenzentren in weniger grösseren, dafür effizienteren Rechenzentren gebündelt werden.
Was macht Sie so zuversichtlich, dass wieder Ähnliches passieren wird?
Ich sehe einfach keinen Grund zur Sorge. Niemand weiss, wie effizient Rechenzentren in Zukunft sein werden. Aber es ist klar, dass sie noch um das Hundert- bis Tausendfache effizienter werden können. Zum Beispiel, indem die Hardware noch stärker auf die rechenintensivsten Aufgaben zugeschnitten wird. Google hat seine Rechenzentren für das Beantworten von Suchanfragen optimiert und dadurch grosse Effizienzgewinne erzielt. Bei KI liegt da noch viel Potenzial brach. Neben den Computern selbst liessen sich auch die Software und die Algorithmen schlanker machen. KI-Firmen sind im Moment darauf fokussiert, die Technologie möglichst leistungsfähig zu machen. Aber irgendwann werden sie auf die Effizienz achten müssen. Zudem weiss niemand, ob die Nachfrage nach KI wirklich so riesig sein wird, wie die Techfirmen annehmen.
Denken Sie, dass die Techfirmen das Potenzial von KI überschätzen?
Die Techfirmen gehen davon aus, dass die Nachfrage nach KI praktisch unendlich ist. Zumindest wollen sie das uns weismachen. Deshalb reden sie von drohender Energieknappheit. Interessant ist übrigens auch, dass fast alle Prognosen über den Stromverbrauch von Rechenzentren auf der gleichen, hoch ungewissen Datengrundlage beruhen, nämlich auf den erwarteten Absatzzahlen der Hersteller von KI-Computern, allen voran Nvidia. Das ist aus zweierlei Gründen problematisch. Erstens, weil niemand weiss, ob diese Verkäufe tatsächlich stattfinden werden. Und zweitens, weil, selbst wenn die Computer verkauft werden, niemand weiss, ob Firmen sie auch im geplanten Umfang für KI einsetzen werden.
Zurzeit boomt die Nutzung von KI aber. Warum sollte sich das ändern und die Nachfrage in Zukunft abnehmen?
Vielleicht nicht abnehmen, aber zumindest weniger schnell wachsen als erwartet. Die Technologie ist ja noch nicht ausgereift. KI-Chatbots sind nicht hundertprozentig zuverlässig, sie machen Fehler und erfinden Fakten. Eine grossflächige Nutzung in der Wirtschaft ist also noch ungewiss. Zudem gibt es ethische und juristische Fragen, etwa rund um das Thema Urheberrecht. Vor 25 Jahren hatten wir in den USA den Fall der Musiktauschbörse Napster. Da wurden junge Leute verhaftet, weil sie Musik illegal herunterluden. Wenn ich mir anschaue, wie KI-Firmen heutzutage mit dem Urheberrecht umgehen, dann frage ich mich: Wie lange kann das denn noch gutgehen?
Angenommen, die Techfirmen haben recht und die Nachfrage nach KI wächst exponentiell – was würde das für die Energiewirtschaft und für den Klimaschutz bedeuten?
Es hängt davon ab, wie schnell genau die Nachfrage wächst. Aber eine Verdoppelung der Stromnachfrage in wenigen Jahren könnte das Energiesystem in einem Land wie den USA höchstwahrscheinlich nicht verkraften. Man würde da überall an Grenzen stossen. Ich sehe nicht, wie die Erzeugungskapazität und das Stromnetz so schnell ausgebaut werden könnten. Sollte die Nachfrage so schnell wachsen, kann man nur hoffen, dass die Techfirmen sie mit Erneuerbaren abdecken.
Ist so ein schneller Ausbau der Erneuerbaren überhaupt realistisch?
Wir haben in den USA eine riesige Warteschlange von Kraftwerken, die auf die Bewilligung für den Netzanschluss warten. 95 Prozent davon sind Solar- oder Windkraftwerke sowie Anlagen für andere Erneuerbare. Das zeigt, dass auch der Markt sauberen Strom bevorzugt. Ich halte es auch für sinnvoll, bestehende Kernkraftwerke weiter laufen zu lassen, wenn die Sicherheit gewährleistet ist. Neue Kernkraftwerke zu bauen, wird hingegen keine realistische Lösung sein – einfach deshalb, weil der Bau mindestens zehn Jahre dauern würde.
Denken Sie nicht, dass vermehrt auch fossile Kraftwerke bei der aktuellen politischen Lage zum Zug kommen könnten? Schliesslich wirbt die Trump-Regierung mit dem Slogan «Drill, baby, drill» offen dafür.
Natürlich ist das möglich. Die Macht des amerikanischen Präsidenten ist sehr gross. Aber noch einmal: Wir sollten nicht auf das Narrativ der Dringlichkeit von Techfirmen hereinfallen. Die Entwicklung von KI ist für diese Firmen dringend, aber nicht für die Gesellschaft als Ganzes.
Die Techfirmen argumentieren, dass KI einen positiven Nettoeffekt für das Klima haben werde, weil die Technologie so viel Innovation und Effizienz ermöglichen werde. Wie sehen Sie das?
Auch das ist schwer vorherzusagen. Es könnte durchaus so kommen. Aber es ist auch möglich, dass gerade Öl- und Gasfirmen KI nutzen, um fossile Energieträger noch kostengünstiger zu fördern. Deshalb: Niemand kann sagen, ob KI unter dem Strich dem Klima nutzen oder schaden wird.
Wie optimistisch sind Sie, dass die IT-Branche jenseits von KI auch in Zukunft die Energieeffizienz vorantreibt?
Dank der Miniaturisierung von Transistoren haben wir über Jahrzehnte gleichzeitig die Rechenleistung und die Energieeffizienz exponentiell verbessert. In den letzten zwanzig Jahren hat sich dieser Trend etwas verlangsamt, aber die Effizienz ist weiter gestiegen. Und die Innovation steht nicht still. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Letztes Jahr haben Forscher einen neuen Sortieralgorithmus erfunden, der um ein Vielfaches effizienter ist als der bisher beste. Ein solcher Algorithmus kann die Datenverarbeitung in vielen Anwendungen beschleunigen und somit effizienter machen. Auch die Matrix-Multiplikation, die bei KI den Grossteil des Rechenaufwands ausmacht, könnte durch Optimierungen bis zu 60 000 Mal effizienter werden. Ich bleibe also optimistisch.
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