Verstoß gegen WTO-Regeln: Wie die EU und Amerika das Handelsrecht brechen

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In den USA sind die von Präsident Donald Trump angeordneten höheren Zölle auf Importe aus Dutzenden Ländern in Kraft getreten. Die US-Zoll- und Grenzschutzbehörde begann um 6.01 Uhr deutscher Zeit mit der Erhebung der neuen Zölle, die zwischen zehn und 50 Prozent betragen. Für die meisten Waren aus der Europäischen Union gilt nun ein Basiszollsatz von 15 Prozent. Sie sind Teil einer Einigung zwischen den USA und der Europäischen Union.

Doch fast zwei Wochen nach dem Rahmenabkommen sind viele Details der Handelsvereinbarung offen und müssen verhandelt werden. Schon jetzt ist klar, dass beide Partner sich nicht mehr an die ­Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) halten. Für die Vereinigten Staaten unter Präsident Donald Trump war das zu erwarten. Trump hält nicht viel von internationalen Organisationen und hatte schon in seiner ersten Amtszeit die Welthandelsorganisation auflaufen lassen.

Für die Europäische Union, die sich als Hüter eines regelgebundenen Welthandels präsentiert, ist die Einigung mit den USA indes eine Abkehr von der politischen Rhetorik. „Was die EU macht, ist ein Anschlag auf die WTO“, sagt Rolf Langhammer vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Die EU verhalte sich dabei nicht anders als etwa Japan. „Jeder sucht sein Heil in bilateralen Verträgen mit den USA und schließt Dritte davon aus. Die WTO ist geschreddert.“

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Deutlich wird das daran, dass die Europäer mit dem Prinzip der Meistbegünstigung brechen. Danach müssen Vorteile, die einem Handelspartner gewährt werden, auch allen anderen WTO-Mitgliedern eingeräumt werden. Die EU hat den Amerikanern in den Gesprächen einen Nullzoll auf Industriegüter zugesichert. Darüber herrscht nach den knappen schriftlichen Erläuterungen beider Seiten Einigkeit. Der bestehende – im Durchschnitt geringe – EU-Zoll auf Industriewaren soll in Richtung Amerika fallen. Diesen Vorteil will die EU indes nur den USA geben, nicht aber anderen WTO-Mitgliedern. Erst diese Woche hat die Kommission das in Brüssel bestätigt. Die Europäer und Amerika streben nach den Brüsseler Angaben auch an, für eine Reihe von strategisch wichtigen Gütern wie Flugzeugteilen oder Maschinen für die Halbleiterproduktion beidseitig Nullzölle festzulegen. Auch diese Nullzölle müssten EU und USA nach WTO-Recht Drittstaaten gewähren.

Die EU hat das Vertrauen in die WTO verloren

Die Meistbegünstigungsklausel ist das oberste Prinzip der WTO und in Artikel 1 des relevanten GATT-Vertrags verankert. Ein Verstoß dagegen ist nur in Ausnahmefällen erlaubt, wie etwa im Fall eines umfassenden Freihandelsabkommens zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten. Das hatte die Europäische Union in den vergangenen Monaten den Vereinigten Staaten ohne Erfolg angeboten. Die angestrebten Nullzölle in eng begrenzten Bereichen erfüllen die Erfordernis eines umfassenden Freihandelsabkommens nach Meinung von Ökonomen nicht.

Gelegentlich wird auch argumentiert, dass die Europäische Union mit der Zusage, Energie für 750 Milliarden Dollar in den Vereinigten Staaten zu kaufen, mit einem Staatshandel gegen den freien Güteraustausch verstoße. Langhammer hält diesen Vorwurf für weniger plausibel, weil völlig unklar sei, ob private oder staatliche Unternehmen diese Kaufzusagen erfüllen sollten und unter welchen Bedingungen. Dem erfahrenen Handelsökonomen sind keine Fälle bekannt, in denen vor der WTO Kaufzusagen gegen Zollsenkungen verhandelt worden seien.

Trump schert sich nicht, WTO-Regeln zu prüfen

Auch die Vereinigten Staaten verstoßen mit den pauschalen Zöllen, die sie an diesem Donnerstag inklusive der Europäischen Union mehr als 90 Ländern in unterschiedlicher Höhe auferlegt haben, gegen die Regeln der Welthandelsorganisation. Amerika hat sich wie alle WTO-Mitglieder zu maximalen Zollsätzen verpflichtet. Der neue generelle Mindestzoll von zehn Prozent oder der 15-Prozent-Zollsatz auf Waren aus der EU bricht diese Zusage. Trump rechtfertigt die höheren Zölle juristisch mit amerikanischen Gesetzen, von denen manche derzeit vor Gericht geprüft werden. Inhaltlich begründet er die Zölle im Kern mit der nationalen Sicherheit. Diese mache Einfuhrhemmnisse notwendig, um bestimmte Industriezweige in den Vereinigten Staaten zu stärken. Trump macht sich nicht die Mühe, eine Kompatibilität mit den WTO-Regeln zu prüfen.

Artikel 19 des GATT-Vertrags erlaubt den Mitgliedstaaten temporäre Handelshemmnisse, wenn in einem Notfall plötzlich so viele Güter eingeführt werden, dass die heimische Industrie Schaden nehmen könnte. Diese Ausnahmeregel bezieht sich auf einzelne spezifische Güter und rechtfertigt keine pauschalen Zölle für fast alle Importgüter. Trump müsste demnach schon für jedes einzelne Gut begründen, dass die Einfuhr unerwartet stark gestiegen sei. Ein solches Vorgehen würde wohl vor dem Schiedsgericht der WTO landen, das aber wegen der amerikanischen Blockade in zweiter Instanz handlungsunfähig ist.

Länder berufen sich zunehmend auf eigene Gesetze

Trump könnte zur Rechtfertigung seiner Zölle auch auf Artikel 21 des GATT-Vertrags zurückgreifen, der den Mitgliedstaaten im Interesse der nationalen Sicherheit handelspolitisch weitreichende Rechte zugesteht. Dieser Artikel sei früher nicht gezogen worden, sagt Langhammer. Es sei im Grunde klar gewesen, dass eine supranationale Institution nicht über die Sicherheitsbelange eines Landes urteilen könne. Ob Artikel 21 WTO-konform die pauschalen amerikanischen Zölle rechtfertigen könnte, müsste demnach erst einmal juristisch geprüft werden.

Langhammer beklagt, dass nicht nur die Vereinigten Staaten, sondern auch die Europäische Union sich in ihrer Handelspolitik zunehmend auf eigene Gesetze oder – im Fall der EU – Instrumente beriefen. Diese seien nie daraufhin abgeklärt worden, ob sie mit WTO-Recht vereinbar sind. Beispielhaft für die EU nennt Langhammer die Antisubventions- oder Antidumpingregeln, aber auch das Antierpressungsinstrument. „Die EU geht nicht so pauschal vor wie Trump, aber sie macht im Grunde das Gleiche: Sie zieht ihre eigenen Instrumente denen der WTO vor“, sagt der Ökonom.