Strafprozessordnung: Regeln für Staatstrojaner-Einsatz sind in Teilen verfassungswidrig

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Das Bundesverfassungsgericht sieht nicht alle aktuellen Einsätze des sogenannten Staatstrojaners als mit dem Grundgesetz vereinbar an. Die Quellen-Telekommunikationsüberwachung sei nur bei besonders schweren Straftaten zulässig, urteilten die Karlsruher Bundesverfassungsrichter. Auch die Vorgaben zur Onlinedurchsuchung rügten sie teilweise. “Die angegriffenen Regelungen der Strafprozessordnung sind teilweise verfassungswidrig”, schrieb das Gericht. Der Gesetzgeber muss nun nachschärfen.

Die Verfassungsbeschwerde gegen die
Strafprozessordnung hatte der Verein Digitalcourage eingebracht,
unterstützt von Journalisten, Rechtsanwältinnen und
Künstlern. Die Klage richtete sich gegen die
Quellen-Telekommunikationsüberwachung sowie Onlinedurchsuchungen durch
sogenannte Staatstrojaner. Diese Möglichkeiten zur digitalen Überwachung
beim
Verdacht auf schwere Straftaten waren 2017 in die Strafprozessordnung
aufgenommen worden. Nach Angaben des Vereins Digitalcourage handelt
es sich um eine bereits 2018
initiierte Beschwerde.

Teilweise verfassungswidrig

Laut dem nun ergangenen Urteil ist Quellen-Telekommunikationsüberwachung “zur Aufklärung solcher Straftaten,
die lediglich eine Höchstfreiheitsstrafe von drei Jahren oder weniger
vorsehen, nicht verhältnismäßig im engeren Sinne und wurde vom Senat
insoweit für nichtig erklärt”, schreiben die Richter. Denn dann seien die Taten nur “dem einfachen Kriminalitätsbereich zuzuordnen”.

Zudem genüge die Ermächtigung zur Onlinedurchsuchung “nicht dem Zitiergebot”, “soweit sie (auch) zu Eingriffen in das durch Art. 10 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte Fernmeldegeheimnis ermächtigt”, und sei daher mit dem Grundgesetz unvereinbar. Nach dem Zitiergebot müssen eingeschränkte Grundrechte in dem Gesetz, das sie einschränkt, explizit genannt werden. Auch wird ein “unzureichender Kernbereichsschutz wegen eines fehlenden Abbruchgebots” gerügt, der Bereich der privaten Lebensgestaltung von überwachten Personen wird durch mögliche Überwachungsmaßnahmen und deren Rahmenbedingungen also nicht ausreichend geschützt.

Eine
weitere Beschwerde des Vereins, über die das Bundesverfassungsgericht
heute ebenfalls entschied, richtete sich gegen das novellierte
Polizeigesetz in Nordrhein-Westfalen. Hier stellte sich ebenfalls die
Frage nach der Rechtmäßigkeit staatlicher Überwachungsbefugnisse. Das
Bundesverfassungsgericht wies die Beschwerde zurück: Die Vorgaben, die in der Klage zulässig angegriffen worden seien, seien vollständig mit dem Grundgesetz vereinbar.

Polizeigewerkschaft zufrieden

“Das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts ist aus meiner Sicht grundsätzlich positiv zu
bewerten”, sagte der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der
Polizei (GdP), Jochen Kopelke, dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland. Das Gericht bestätige die
Verfassungsmäßigkeit und Notwendigkeit sowohl präventiver als auch
strafprozessualer Überwachungsinstrumente für die Gefahrenabwehr und
Strafverfolgung wie der Telekommunikationsüberwachung.

Die Onlinedurchsuchung sei lediglich aus formellen
Gründen verfassungswidrig, was lösbar sei, sagte Kopelke weiter. Die geforderte Änderung des Bundesverfassungsgerichts betreffe nur “kleinere Kriminalität” und sei deshalb zu
verkraften. Die geprüften Instrumente seien weiterhin für die Verfolgung schwerer
Kriminalität erlaubt.

Einführung durch Schwarz-Rot

Im Sommer 2017 hatte die damalige schwarz-rote Koalition im Rahmen des Gesetzes zur effektiveren und
praxistauglicheren Ausgestaltung des Strafverfahrens die
Strafprozessordnung geändert. Die Reform löste großen
Protest aus. Viele Betroffene und Verbände hielten die
Regelungen für verfassungswidrig und wandten sich an das Bundesverfassungsgericht. Die klagenden Journalisten fürchten,
dass bei ihnen Überwachungssoftware installiert wird, wenn sie beruflich
Kontakt mit Beschuldigten haben.

Als Staatstrojaner wird
Späh-Software
bezeichnet, die ohne Kenntnis des Verdächtigen auf seinem Computer oder
Smartphone installiert wird. Diese ermöglicht mehr als die klassische
Telekommunikationsüberwachung von Telefon, E-Mail oder Chat-Nachrichten.
Möglich
wird über Staatstrojaner auch
eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung, also das Mitlesen von
Nachrichten, die zwischen
Geräten verschlüsselt übermittelt werden, und die Onlinedurchsuchung sämtlicher Daten auf
dem Gerät.

Wenige Fälle

Der
Einsatz solcher Trojaner setzt den Verdacht einer schweren oder – im
Fall der
Onlinedurchsuchung – besonders schweren Straftat voraus. Diese sind in
dem Gesetz aufgelistet. Dazu zählen Mord, Totschlag oder
Geldfälschung. Außerdem muss die Tat auch im Einzelfall schwer oder
besonders schwer wiegen, und die Ermittlungen müssten auf
anderem Wege wesentlich erschwert oder aussichtslos sein. Die Maßnahmen
müssen jeweils von einem Richter angeordnet werden.

Im Jahr 2023 wurden insgesamt 104 richterliche
Anordnungen zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung angeordnet, tatsächlich durchgeführt wurden demnach 62.
Im Jahr davor waren es 94 Anordnungen, von denen 49 durchgeführt
wurden. Onlinedurchsuchungen kommen der Statistik
zufolge deutlich seltener vor: Sie wurden 2023 nur
26-mal richterlich angeordnet und sechsmal durchgeführt. In den
meisten Fällen ging es um den Vorwurf der Bildung einer kriminellen
Vereinigung.

Streit um Überwachung

Über die Befugnisse des Staates, Bürgerinnen und Bürger im digitalen Raum zu überwachen, gibt es regelmäßig Diskussion. So
enttarnte schon 2009 der Chaos Computer Club einen Staatstrojaner aus
Bayern, der mehr Daten auslesen konnte, als gesetzlich erlaubt war. 2021 beschloss der Bundestag weitere Gesetze, nach denen deutsche Nachrichtendienste und die Bundespolizei per Staatstrojaner digitale
Kommunikation von verdächtigen Personen überwachen dürfen, und Kommunikationsunternehmen kooperieren sollen. 

Aktuell erwägt der Bundesinnenminister den Einsatz der Analysesoftware Palantir,
die zwar kein Trojaner ist, durch das Zusammenführen vieler Daten über
Menschen in Deutschland aber gegen Grundrechte verstoßen
könnte. Ermittlungs- und Strafverfolgungsbehörden könnten große
Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen vereinheitlichen und
auswerten. Erste Einsätze solcher Software wurden aber als
verfassungswidrig eingestuft.