Frauke Brosius-Gersdorf verzichtet auf Kandidatur als Verfassungsrichterin

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Die von der SPD nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf will nicht länger für die Richterstelle am Bundesverfassungsgericht kandidieren. Dies teilte die Juristin über ihre Bonner Anwaltskanzlei mit.

„Nach reiflicher Überlegung stehe ich für die Wahl als Richterin des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr zur Verfügung“, erklärte die Potsdamer Juraprofessorin demnach. „Mir wurde aus der CDU/CSU-Fraktion – öffentlich und nicht-öffentlich – in den letzten Wochen und Tagen sehr deutlich signalisiert, dass meine Wahl ausgeschlossen ist. Teile der CDU/CSU-Fraktion lehnen meine Wahl kategorisch ab.“

Auch drohe ein „Aufschnüren des ,Gesamtpakets’“ für die Richterwahl. Das gefährde die beiden anderen Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht, „die ich schützen möchte“, hieß es weiter. Es müsse verhindert werden, dass sich der Koalitionsstreit wegen der Richterwahl zuspitze „und eine Entwicklung in Gang gesetzt wird, deren Auswirkungen auf die Demokratie nicht absehbar sind“.

Miersch bedauert Brosius-Gersdorfs Entscheidung

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch teilte mit, er bedauere die Entscheidung Brosius-Gersdorfs, ihre Kandidatur für das Bundesverfassungsgericht zurückzuziehen, zutiefst. Brosius-Gersdorf sei eine herausragende Juristin mit exzellenter fachlicher Qualifikation, großer persönlicher Integrität und einer klaren demokratischen Haltung. „Die Angriffe, denen sie in den vergangenen Wochen ausgesetzt war, hatten mit einer sachlichen Auseinandersetzung nichts mehr zu tun. Sie wurde Ziel einer beispiellosen Kampagne.“

Miersch betonte, dass die SPD-Bundestagsfraktion zu jeder Zeit geschlossen hinter ihrer Nominierung gestanden habe. „Dass es am Ende keine Mehrheit gab, lag allein an der kategorischen Ablehnung durch Teile der CDU/CSU-Fraktion, obwohl die Union der Einigung ursprünglich zugestimmt hatte. Nicht einmal ein persönliches Gespräch mit der Kandidatin wurde von der Unionsfraktion ermöglicht.“

Miersch bezeichnete es als „alarmierendes Signal“, dass Brosius-Gersdorf sich nun aus dem Verfahren zurückziehe, „nicht nur für die politische Kultur, sondern auch für die Unabhängigkeit unserer Institutionen“. Miersch kündigte an, dass die SPD-Bundestagsfraktion einen neuen Vorschlag für eine geeignete Besetzung unterbreiten werde, „weiterhin mit klarer Orientierung an fachlicher Exzellenz“. Die SPD erwarte von ihrem Koalitionspartner, dass Absprachen künftig Bestand haben. „Ein solcher Vorgang darf sich nicht wiederholen.“

Wahl wurde kurzfristig abgesagt

Die Wahl von Brosius-Gersdorf und zwei weiteren Nominierten für das höchste deutsche Gericht war im Juli im Bundestag kurzfristig abgesetzt worden. Teile der Unionsfraktion hatten Vorbehalte gegen die von der SPD nominierte Brosius-Gersdorf. Als Grund wurden unter anderem Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch und zu einer möglichen Impfpflicht in Corona-Zeiten angeführt. Auch meldete sich kurz vor der geplanten Wahl der Plagiatssucher Stefan Weber mit Fragen zur Dissertation der Staatsrechtlerin zu Wort.

Brosius-Gersdorf hatte zunächst an ihrer Nominierung festgehalten. Sie hatte in der ZDF-Sendung „Markus Lanz“ aber auch erklärt, sie würde verzichten, falls dem Gericht in der Debatte Schaden drohen sollte. „Das ist ein Schaden, den kann ich gar nicht verantworten.“ Das Bundesverfassungsgericht müsse in Ruhe arbeiten können und funktionsfähig bleiben.

Obwohl die Fraktionsführung der Union die Nominierung von Brosius-Gersdorf zunächst mitgetragen hatte, konnte sie die mit dem Koalitionspartner verabredete Unterstützung unmittelbar vor der geplanten Wahl nicht mehr garantieren. Auch die Wahlen des Unionskandidaten Günter Spinner und der zweiten SPD-Kandidatin Ann-Katrin Kaufhold wurden von der Tagesordnung genommen. Wie die Koalitionspartner CDU, CSU und SPD das Dilemma auflösen würden, war damit völlig unklar. Die Unionspolitiker hielten an ihrer Kritik fest, die SPD an ihrer Kandidatin. 

In einer früheren schriftlichen Stellungnahme hatte die Juristin die gegen sie erhobene Vorwürfe deutlich zurückgewiesen. „Die Bezeichnung meiner Person als “ultralinks” oder “linksradikal” ist diffamierend und realitätsfern“, heißt es darin. In manchen Medien sei zudem falsch über ihre Position zum Schwangerschaftsabbruch berichtet worden. Im ZDF betonte Brosius-Gersdorf: „Ich vertrete absolut gemäßigte Positionen aus der Mitte unserer Gesellschaft.“ Dies könne jeder nachlesen.

Brosius-Gersdorf hatte auch berichtet, sie habe Drohungen und verdächtige Poststücke erhalten. „Ich musste vorsorglich meine Mitarbeitenden bitten, nicht mehr am Lehrstuhl zu arbeiten“, sagte die Juristin im ZDF. Die Berichterstattung über die Verfassungsrichterwahl und ihre Person sei „nicht spurlos an mir vorbei gegangen, nicht an mir, nicht an meinem Mann, an meiner Familie, meinem gesamten sozialen Umfeld.“

Für die schwarz-rote Koalition war die geplatzte Richterwahl eine Schlappe. „Die Dimension der grundlegenden und inhaltlich fundierten Bedenken gegen eine der Kandidatinnen haben wir unterschätzt“, hatte Unionsfraktionschef Jens Spahn (CDU) in einem Brief an seine Fraktion geschrieben. Er gab aber auch der SPD eine Mitverantwortung für die gescheiterte Suche nach einem Kompromiss.