Während der Bundesinnenminister den bundesweiten Einsatz der Polizei-Software prüft, fordern Kritiker, auf Alternativen zu setzen. Doch diese müssen erst noch entwickelt werden.

Sie wird entweder geliebt oder gehasst: die Analyse-Software von Palantir.
Europa muss technologisch wieder unabhängiger werden – das fordern Politiker verschiedener Couleur seit Donald Trumps zweiter Amtszeit. In Deutschland liegt der Fokus der Debatte dieser Tage auf der amerikanischen Software-Firma Palantir. Die Software verletze Grundrechte im Bereich Datenschutz, monieren Kritiker. Und Deutschland müsse eigene Software-Alternativen entwickeln.
Derweil überlegt sich Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) den bundesweiten Einsatz der Palantir-Software zur Datenanalyse. Und Ermittlerinnen und Ermittler sehen sie längst als Game-Changer ohne Alternative, wenn es darum geht, rasch grosse Datenmengen zu verarbeiten.
Doch was hat es mit der vieldiskutierten Software auf sich? Und warum ist sie so umstritten?
Für die Strafverfolgungsbehörden bietet die Software von Palantir einen grossen Vorteil: Sie bringt Daten aus verschiedenen Quellen und Formaten zusammen, analysiert diese und stellt Zusammenhänge her.
Auf Anfrage sagt Palantir, seine Software stütze sich auf bereits vorhandene Informationen innerhalb der Polizei. Neue Daten sammle das Tool keine. Aus Sicht des Unternehmens hilft die Software den Polizeien dabei, immer grössere Datenmengen innert nützlicher Frist zu verarbeiten und so die Lücke zu kriminellen Akteuren zu schliessen.
Bis jetzt setzen die Behörden von Bayern, Nordrhein-Westfalen und Hessen Versionen der Palantir-Software ein. In Baden-Württemberg ist die Einführung geplant.
Kriminalkommissar Tobias Lichtlein vom Bayerischen Landeskriminalamt sagt, die Software solle Informationsdefizite verkleinern und das tun, was früher manuell habe gemacht werden müssen: verschiedene Quellen zusammenführen. Gemäss Lichtlein liegt die Hauptaufgabe der Software in Bayern darin, die Daten aus sechs verschiedenen Quellen zu verknüpfen. Früher habe es je nach Ereignis zwei bis drei Tage gedauert, um Daten zu analysieren und daraus Schlüsse zu ziehen. Heute sei dies in wenigen Minuten möglich.
In Bayern begrenzt sich der Einsatz der Software auf die verschiedenen Kriminalpolizeien. Palantir und das Bayerische Landeskriminalamt betonen auf Anfrage der NZZ, dass Beamte, die mit der Software arbeiteten, nur Daten sähen, die für ihre Arbeit freigegeben seien.
Geht es nach den Behörden, die die Palantir-Software nutzen, zahlt sich die schnelle Datenanalyse immer wieder aus. So verweist etwa das Hessische Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz bei einer Ermittlung gegen Reichsbürger explizit auf die Rolle der Software.
Massenhafte Auswertung von Daten wird kritisiert
Wenn Palantir und Polizeibehörden die Software beschreiben, hört es sich an wie bei einem Wundermittel ohne Nebenwirkungen. Das Tool werde nur unter klar definierten Umständen genutzt, und der Zugriff sei streng begrenzt.
Doch ausserhalb Palantirs und der Behörden klingt das anders. Die Kritiker der Software sind zahlreich. Personen, die die Sachlage derweil unvoreingenommen einschätzen, sucht man allerdings vergebens. Ebenso wie transparente Angaben dazu, wie oft und wofür die Polizeibehörden die Palantir-Software verwenden. Als Reporter der «Süddeutschen Zeitung», des NDR und des WDR kürzlich Einblick in einen Teil der Daten erhielten, kamen sie zu dem Schluss: Bei den Anfragen in Bayern gehe es oft um niederschwellige Straftaten, «etwa im Eigentumsbereich».
Die Software werde oft bei Ereignissen genutzt, die ausserhalb der eigentlichen Anwendungsbereiche wie Staatsschutz oder Terrorismusbekämpfung lägen, sagt auch Manuel Atug. Er ist IT-Sicherheits-Experte, berät die Bundesregierung, den Bundestag und zahlreiche Landtage.
Atug verweist auf einen weiteren Kritikpunkt zu der Software: Sie fördere Dinge zutage, die sie nicht zutage fördern dürfte. Er spricht von «Rasterfahndung» und meint damit: Bei Suchanfragen innerhalb der Palantir-Software werden die Daten von zahlreichen Menschen in die Analysen mit einbezogen, die gar nicht Gegenstand der Ermittlungen sein dürften. Immer wieder würden Daten zu Personen ausgewertet, die in keinem Zusammenhang mit einer Straftat stünden.
Vor wenigen Tagen hat nun der Verein Gesellschaft für Freiheitsrechte eine Verfassungsbeschwerde erhoben. 2021 hatte das deutsche Bundesverfassungsgericht in einem Urteil Regeln für den Einsatz von Analyse-Software wie jener von Palantir festgelegt. Der Verein sagt, Palantir halte die Regeln nicht ein. Die massenhafte Datenauswertung verletze Grundrechte wie jenes, über die eigenen Daten bestimmen zu dürfen.
Palantir widerspricht und sagt, Kritiker erbrächten keine Belege für ihre Behauptungen. Die Datenverarbeitung innerhalb seiner Software finde stets unter Einhaltung der geltenden Datenschutzgesetze statt. Die Software lasse sich problemlos konfigurieren und an die lokalen Polizeigesetze anpassen.
Für den Bundesinnenminister ist Palantir alternativlos
Nun berichten deutsche Medien übereinstimmend, Bundesinnenminister Dobrindt prüfe, die Palantir-Software bundesweit einzusetzen. Die Bayerische Polizei entschied sich einst im Rahmen eines europaweiten Vergabeverfahrens für Palantir, weil es keine Alternative gab. Gemäss einem Sprecher des Innenministeriums ist dies noch immer der Fall: Nur Palantir erfülle die Ansprüche des Innenministeriums.
Politiker der Grünen und der SPD, aber auch andere Stimmen kritisieren die Überlegungen, Palantir bundesweit einzusetzen. Und zahlreiche Kritiker würden die Software am liebsten ganz aus Deutschland verbannen. Einer der Gründe ist die Nähe Palantirs zu den amerikanischen Geheimdiensten seit der Firmengründung 2003. Ein Risikokapitalfonds der CIA war damals einer von Palantirs ersten Investoren, er steuerte 2 Millionen Dollar bei.
Ein weiterer Kritikpunkt am Unternehmen: der Gründer Peter Thiel. Der Tech-Investor äussert sich immer wieder demokratiekritisch und ist ein entschiedener Unterstützer von US-Präsident Trump. Wer tatsächlich technologisch von den USA unabhängiger werden wolle, könne nicht Software von einem Trump-Vertrauten kaufen, lautet die Kritik.
Was dabei oft vergessengeht: Thiel ist seit der Gründung des Unternehmens 2003 Chairman, das operative Geschäft wird aber vom Mitgründer Alex Karp geleitet. Und dieser ist ein Unterstützer der Demokraten. Im vergangenen US-Präsidentschaftswahlkampf spendete Karp zunächst für Joe Bidens Kampagne. Danach unterstützte er Kamala Harris.
Die deutsche Palantir-Alternative verzögert sich
Die Polizeibehörden, die die Palantir-Software bereits nutzen, sehen die Sache gänzlich anders als die Kritiker. Für die Ermittlerinnen und Ermittler ist das Tool ebenso alternativlos wie für den Bundesinnenminister. Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt sagte etwa in einer Stellungnahme, es sei zwar bedauerlich, dass Europa die vergangenen Jahre nicht genutzt habe, um heimische Produkte dieser Leistungsstärke zu entwickeln. Aber die USA seien ein verlässlicher Partner.
Dass Palantir derzeit alternativlos ist, bestätigt auch der IT-Sicherheits-Experte Atug. Palantir habe im Vergleich zur Konkurrenz zwanzig Jahre mehr Erfahrung. Zeit, in der das Unternehmen das Zusammenführen sowie Verknüpfen unterschiedlichster Daten perfektionieren und sich am Markt etablieren konnte.
Doch Atug fände es ohnehin falsch, ein europäisches Produkt zu entwickeln, das genauso funktioniert wie jenes von Palantir. Es brauche eine Anwendung, die verfassungskonform und transparent sei und die nur auf Daten zugreife, auf die sie tatsächlich zugreifen dürfe.
Atug verweist auf die Initiative P20. Sie wurde 2016 vom Bund und von den Innenministern der Länder mit dem Ziel lanciert, eine gemeinsame und einheitliche Informationsarchitektur zu schaffen. Durch das Projekt sollten beispielsweise Polizeidaten so aufbereitet und gekennzeichnet werden, dass die Behörden diese nutzen können, ohne gegen Datenschutzvorschriften zu verstossen. Doch kommt P20 nur schleppend voran. Ursprünglich war geplant, das Projekt bis 2020 abzuschliessen. Mittlerweile ist von 2030 die Rede.