Seit Monaten beschwört CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann einen Herbst voller durchgreifender Reformen auf dem Feld der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, die für den Fortbestand der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland und damit auch für den Wohlfahrtsstaat unabweisbar geworden sind. Stattdessen hat das Kabinett am Mittwoch wieder einmal Gesetzesvorhaben beschlossen, die selbst in den Augen von Ökonomen, die sich selten einig sind, jeden Mut vermissen lassen.
Linnemann wird dadurch nicht zum Lügenmann, wie die Linke Reichinnek höhnt. Vielmehr ist der verhinderte Arbeits- und Sozialminister das Gesicht eines dreifachen Dilemmas, aus dem es einstweilen kein Entrinnen gibt.
Da ist zum ersten der Koalitionspartner SPD. Jeder in der Union konnte wissen, dass dessen personelle Auszehrung ein existenzbedrohendes Ausmaß erreicht hat. Die Sozialdemokratie, die einst die Kraft für die Agenda 2010 aufbrachte und noch im Kabinett Merkel/Müntefering eine zukunftsweisende Rentenreform auf den Weg brachte, gibt es nicht mehr.
Heute ist die SPD nicht willens, sondern vielleicht auch nicht mehr fähig, einen Staat zu reformieren, der die Fundamente, auf denen er ruht, eigenhändig unterminiert.
Kein Verlass ist aber auch auf die Schwesterpartei CSU. Wie jetzt mit der letzten Stufe der Mütterrente, so hat die bayerische Staatspartei noch in jeder Legislaturperiode verhindert, dass die Union an Stellen Geschlossenheit zeigte, an denen sie kampagnen- und handlungsfähig hätte erscheinen können.
Und dann ist da noch die eigene Partei. Dass die CDU ohne den starken Rückhalt unter den Wählern fortgeschrittenen Alters unterginge, ist eine Binsenweisheit. Aber daraus den Schluss zu ziehen, die Anliegen und Sorgen der nachwachsenden Generationen ignorieren zu können, ist nicht vom Ende her gedacht. Wie Linnemann welchen Politikwechsel forcieren will, bleibt einstweilen sein Geheimnis. Und damit auch die Antwort auf die Frage, den Herbst welchen Jahres er wohl gemeint haben könnte.