Bärbel Bas: Die Frau für Bürgergeld und Rente

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Es wirkte ein wenig, als wäre ihr selbst nicht ganz wohl bei der Sache. Nachdem das Kabinett am Mittwochvormittag ihre Rentenpläne beschlossen hatte, suchte Sozialministerin Bärbel Bas nicht – wie das manche Kollegen gemacht hätten – die große Bühne der Bundespressekonferenz. Es gab auch keinen großen Auftritt im Ministerium, nur ein paar Sätze vor den Kameras auf der Straße, das war’s.

Die von der SPD gewünschte steuerfinanzierte Rentenstabilität bis 2031, die von der CSU herbeigesehnte volle Mütterrente auch für die älteren Jahrgänge: Das sollte so aussehen wie Routine, bloß noch Vollzug des Koalitionsvertrags. Sogar die Tagesschau fand dann neue Detailregeln zur Altenpflege und mehr Schwarzarbeitskontrollen wichtiger als die milliardenschweren Beschlüsse zugunsten der Ruheständler.

Die sommerliche Rentenruhe hat allerdings auch damit zu tun, dass die wirklich großen Fragen in der Sozialpolitik erst noch zu entscheiden sind. Kanzler Friedrich Merz hat für die Zeit nach den Parlamentsferien einen „Herbst der Sozialreformen“ angekündigt. Das erst kürzlich eingeführte Bürgergeld soll wieder auf den alten Namen Grundsicherung hören und an strengere Regeln geknüpft werden.

Neu einzusetzende Kommissionen sollen die bürokratischen Mechanismen des Sozialstaats durchleuchten und dann auch längerfristige Vorschläge für die Rente machen. Veränderungen in der Zukunft als Ausgleich für den gerade beschlossenen Status quo in der Gegenwart, das ist ein bisschen wie 2008 in der Finanzkrise der Doppelpack aus Rekordschulden und Schuldenbremse.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.


In Merz’ Sommer-Pressekonferenz vor drei Wochen klang es so, als verlange der Kanzler jetzt mehr Tempo. Er wolle „mit den Arbeiten in den Kommissionen und parallel auch mit den politischen Diskussionen schneller vorankommen“, die Zeit dränge, „die Demographie wartet nicht“. Die Koalition müsse sich „über die Frage verständigen, wie weit wir uns denn zu gehen trauen“. Darüber werde man „im Herbst nicht final entscheiden, aber sehr wohl erste Weichen stellen“.

Also ein Besuch bei der Frau, die für all das jetzt zuständig ist, wenn man von den parallel tagenden Kommissionen für Gesundheit und Pflege mal absieht: Bärbel Bas, seit drei Monaten Bundesministerin für Arbeit und Soziales, zuständig für 38 Prozent des Bundeshaushalts. Ihr Amt hat sie vor allem dem Umstand zu verdanken, dass Vorgänger Hubertus Heil neben Finanzminister Lars Klingbeil und Verteidigungsminister Boris Pistorius ein sozialdemokratischer Mann aus Niedersachsen zu viel war, noch dazu einer, dessen Name allzu eng mit dem in Ungnade gefallenen Bürgergeld verknüpft war. Bas amtiert zudem seit fünf Wochen gemeinsam mit Klingbeil als SPD-Vorsitzende.

An einem der verregneten Julitage sitzt Bas in einem Besprechungsraum ihres Ministeriums, eines trutzigen Baus aus der Zeit des Nationalsozialismus. Sie macht nicht den Eindruck, als wolle sie sich durch Merz irgendwie zur Hektik antreiben lassen. Klar, die Rückverwandlung des Bürgergelds in die alte Grundsicherung will sie zügig angehen, zumindest soweit es im Koalitionsvertrag steht und ohne den Bundesrat möglich ist.

Sie dämpft die Hoffnungen. Oder Befürchtungen

Die Hoffnungen oder Befürchtungen, je nach Perspektive, mit Blick auf eine große Rentenreform dämpft sie aber entschieden. „Die Rentenkommission soll Anfang 2026 starten und ihre Ergebnisse 2027 vorlegen“, sagt sie, also nicht schneller als im Koalitionsvertrag vereinbart.

Und das Rätsel, wie angesichts der nahenden nächsten Wahl dann noch Beschlüsse gefasst werden sollen, löst sie auch gleich auf: womöglich gar nicht. „Da geht es vor allem um die Zukunft: Was brauchen wir über die laufende Legislatur hinaus?“, so umschreibt sie den Zweck der Kommission. „Welche Pflöcke wir in dieser Regierung noch einschlagen können, werden wir sehen. Alles andere ist dann Sache der nächsten Regierung.“

Sie sagt das mit jener Aura der Unbeeindruckbarkeit, mit der sie in der vergangenen Wahlperiode als Bundestagspräsidentin schon die Sitzungen des Parlaments leitete und die Abgeordneten von Rechtsaußen bändigte. Dabei hätte vor vier Jahren kaum jemand für möglich gehalten, dass diese Frau erst ins zweithöchste Staatsamt und dann ins mächtigste Ministerium aufsteigt.

Da war Bas eine der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, zuständig für Gesundheit und Bildung, bestenfalls ausgewiesenen Berliner Polit-Nerds bekannt. Schon an der Parlamentsspitze schien die Fallhöhe zum Vorgänger Wolfgang Schäuble groß, aber mit ihrer Sitzungsleitung verschaffte sich Bas schnell einen Respekt, der im Kontrast zur selfieverliebten Nachfolgerin Julia Klöckner im Nachhinein bei vielen noch wuchs.

Der Triumph könnte eine Belastung sein

Den Job an der Spitze des Großressorts, noch dazu die halbe Nachfolge August Bebels an der Spitze der traditionsreichen Sozialdemokratie: Das erschien einigen dann doch zu viel, und wenn man es recht versteht, war sie selbst von solchen Bedenken nicht frei – vor allem in Bezug auf den heiklen Parteijob. Vorgedrängt hat sie sich jedenfalls nicht. Sie sagte zu, nachdem andere abgewunken hatten. Umso eindrucksvoller fiel das Wahlergebnis auf dem Parteitag aus, stolze 95 Prozent der Delegiertenstimmen bekam sie, im Gegensatz zu Klingbeils demütigenden 65 Prozent.

Was aussah wie ein Triumph, könnte sich allerdings noch als Belastung erweisen. In ihrem Amt als Ministerin macht es sie jedenfalls unfreier. Sie, die Parteilinke, soll jetzt die Seele der Partei wärmen, die sich durch Klingbeils Machtpolitik und seine Orientierung am mutmaßlichen Mehrheitswillen herausgefordert sieht. Ihren Handlungsspielraum als Ressortchefin erhöht das nicht gerade.

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Beide Koalitionspartner, Union und SPD, stecken gerade in einem ähnlichen Dilemma zwischen Mitglieder- und Wählerwillen. Viele in der CDU fühlen sich unter dem Vorsitzenden Friedrich Merz trotz dessen bemerkenswerter Flexibilität weltanschaulich wieder zu Hause. Allerdings um den Preis, dass die Partei in der breiteren Wählerschaft hinter den Resultaten der früheren Kanzlerin Angela Merkel zurückbleibt. Unter den Sozialdemokraten ist es noch nicht entschieden, in welche Richtung das Pendel ausschlägt. Allerdings wird mit jeder schlechten Umfrage der Rückzug aufs Kernmilieu wahrscheinlicher.

Politik für die „arbeitende Mitte“?

Dabei schien die Sache, vor allem aus Klingbeils Sicht, doch eigentlich klar zu sein. Es geht um jene früher mal SPD-affine „arbeitende Mitte“, von denen Parteistrategen umso lieber reden, je mehr sie ihnen abhandenkommt. Deren Bild vom Sozialstaat ist widersprüchlich, aber nicht schwer zu entschlüsseln. Sie möchte vor allem, dass die Leute arbeiten, und sie will, dass Transfers vor allem denen zugutekommen, die geschuftet und ins System eingezahlt haben – egal, ob damit Beiträge oder Steuern gemeint sind.

Eines der größten Ärgernisse an der alten Hartz-Reform bestand darin, dass ein sechzigjähriger Arbeitsloser mit langer Erwerbsbiographie genauso schnell in die karge Grundsicherung fallen sollte wie ein Zwanzigjähriger, der noch nie gearbeitet hatte. Das war auch der erste Punkt, der zurückgenommen wurde, auf Druck aus der CDU übrigens und gegen den Willen des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering.

Für die anstehenden Sozialstaatsbeschlüsse hat das konkrete Konsequenzen. Beim Bürgergeld sind mehr Anreize zur Arbeitsaufnahme tendenziell populär. Bei der Anpassung der Rente an demographische Gegebenheiten kann es dagegen schnell schwierig werden. Schließlich beruht sie auf Ansprüchen, die durch Beiträge erworben werden. Da ist das Wort von der „Lebensleistung“ schnell bei der Hand.

Die Frage ist, welche Konsequenzen sie zieht

Die Frage ist, welche Konsequenzen Bas daraus zieht. In ihrem Fall kommt eine biographische Komponente hinzu. Sie zählt zu den wenigen Politikern, die keine akademische Ausbildung durchlaufen haben. Als Sachbearbeiterin bei den Verkehrsbetrieben im heimischen Duisburg hat sie angefangen und sich in der Betriebskrankenkasse, die später mit anderen fusionierte, bis in die Führungsebene hochgearbeitet. Ihr Vater arbeitete als Busfahrer.

Nach der Trennung der Eltern brachte die Mutter die sechs Kinder mit Nebenjobs und zusätzlicher Sozialhilfe durch. Heutzutage würde man von einer „Aufstockerin“ reden. „Es gibt viele Alleinerziehende, die arbeiten gehen, aber das Geld reicht trotzdem nicht zum Leben“, sagt sie. „Da muss es einen Staat geben, der hilft.“

In den ersten drei Amtsmonaten hat sie schon mal Pflöcke eingeschlagen, wo Schluss sein sollte mit dieser staatlichen Hilfe. Sie schimpfte über „mafiöse Strukturen“ im heimischen Duisburg oder dem benachbarten Gelsenkirchen, wo skrupellose Geschäftemacher in heruntergekommenen Schrottimmobilien vorzugsweise Roma-Familien aus Südosteuropa unterbringen und dafür kräftig Staatsgeld kassieren.

Gerade erst hat sie das auf Sommertour im Ruhrgebiet wiederholt. „Grundsicherung beziehen und schwarzarbeiten: Da werde ich richtig reingehen“, hatte sie gleich zu Beginn ihrer Amtszeit angekündigt. Erst dieser Tage begleitete sie den Finanzminister zu einer Zollrazzia auf eine Großbaustelle.

Die CDU will mehr

Aber da geht es um klare Verstöße gegen jetzt schon geltendes Recht. Die CDU will mehr, und zum Teil ist es im Koalitionsvertrag vereinbart. Mitwirkungspflichten und Karenzzeiten wolle sie zügig angehen, sagt die Ministerin, auch den Namenswechsel vom Bürgergeld zurück zur Grundsicherung, schon weil er „technisch sehr aufwendig“ sei. Schließlich hatten sich schon am Namen die Gemüter erhitzt, weil er in den Ohren vieler zu sehr nach einem bedingungslosen Grundeinkommen klang.

Für veränderte Hinzuverdienstregeln hingegen, die eine Arbeitsaufnahme attraktiver machen, brauche es langwierige Verhandlungen mit den Bundesländern. Einen kompletten Entzug der Grundsicherung für Arbeitsverweigerer lehnt Bas ebenso ab wie eine Mietkostenpauschale. „Zur Höhe der Regelsätze gibt es außerdem Gerichtsurteile, die das Existenzminimum sichern“, sagt sie. „Ich habe nicht vor, die Menschen in die Obdachlosigkeit zu schicken.“

Was die Sozialstaatskommission von Bund, Ländern und Kommunen betrifft, die schon zum Jahresende ihre Ergebnisse vorstellen soll, will Bas „keine Erwartungen wecken, die wir am Ende nicht erfüllen können“. Da geht es aus ihrer Sicht weniger um Neues in den Inhalten als vielmehr „um schlankere Prozesse, einfachere Zugänge und weniger Bürokratie“. Die Leute sollten nicht auf jedem Amt von Neuem ein Formular ausfüllen, und es solle auch nicht mehr für jede Sozialleistung ein anderer Einkommensbegriff gelten. Das wäre immerhin schon was. „Am Ende sind da auch der Digitalminister und der Chef des Kanzleramts gefragt“, fügt sie vorsichtshalber gleich hinzu.

„Mir macht der Job Spaß“

Bleibt also die Rente. Auch hier hatte die Ministerin gleich zu Beginn ihrer Amtszeit viele aufgeschreckt, als sie verlangte, dass auch die Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen sollten. Dass das den Staat auf kurze Sicht mehr Geld kosten würde, als es ihm einbrächte, weiß sie selbst. Aber es gibt eben auch kaum einen Angestellten, vom Niedriglöhner bis zum Gutverdiener, der sich nicht schon über die Ungleichbehandlung aufgeregt hätte. „Früher hatten wir ein Rentenniveau von 70 Prozent und Beamtenpensionen in vergleichbarer Höhe. Die Renten sind immer weiter gesunken, die Pensionen gleich geblieben“, sagt sie – und will den Beamtenstatus auf die Sicherheitsbehörden beschränken. Ein „Gerechtigkeitsthema“ nennt sie das – also eines, das die SPD wieder stark machen soll.

Bleibt noch die Rentenkommission. Auf eine „gute Mischung von Expertinnen und Experten“ will die Ministerin achten, nicht ohne gleich anzufügen: „Es liegen zu dem Thema ja schon viele Ideen auf dem Tisch.“ Die Wahrscheinlichkeit, dass die Vertreter der gegensätzlichen Positionen plötzlich einig werden, bloß weil sie ein Jahr lang beisammensitzen, gilt allerdings als gering. Nach einer leichten Aufgabe klingt das nicht.

Wohl auch deshalb fügt die Ministerin, bevor sie zum nächsten Termin aufbricht, ungefragt noch etwas an. „Mir macht der Job Spaß“, sagt sie. „Sie sehen: Ich könnte stundenlang über diese Themen reden.“ Das wird sie nun auch müssen.